Internationalisierung am Nil

Ägypten auf dem Weg zum regionalen Bildungs-Hub

Der Wunsch nach Innovation und weltweiter Vernetzung ist derzeit auch im Bildungsbereich in Ägypten deutlich zu spüren: Die Regierung mobilisiert die lokale Hochschul- und Forschungslandschaft mit umfassenden Internationalisierungsbestrebungen, das Jahr 2019 wurde offiziell als das „Year of Education“ proklamiert.

 

Seit Anfang des Jahres überschlagen sich die hiesigen Hochschulen landesweit mit hauseigenen Konferenzen zum Thema Internationalisierung im weitesten Sinn, präsentieren ihre bereits etablierten Kooperationen mit dem Ausland und bemühen sich um neue Fördermittel. Bisheriger Höhepunkt der aktuellen Internationalisierungswelle war Anfang April die groß angelegte dreitägige Konferenz „Global Forum“ des Ministry of Higher Education and Scientific Research (MHESR) in der neuen administrativen Hauptstadt, die rund 70 Kilometer vom eigentlichen Stadtkern Kairos gebaut wird und ab 2020 die Schaltstellen der Macht sowie die wichtigsten Partner und Institutionen auf einem gemeinsamen Raum vereinen und auch attraktiven neuen Wohnraum für tausende Menschen bieten soll. Der Ort war nicht zufällig gewählt – denn Konzentration, Innovation, Investition und Reformwille waren und sind klare politische Botschaften an die Partner und Gäste aus aller Welt. Hinzu kommt, dass just jener Standort auch eine zentrale Rolle in der aktuellen Hochschulpolitik spielt, zumal diese unter anderem eben dort eine Ansiedlung internationaler Hochschul-Zweigstellen, sogenannter Branch Campusse, vorsieht. Die Staatsspitze setzt hohe Erwartungen in dieses Ziel, das die Profilierung Ägyptens als Bildungs-Hub vorantreiben soll. Dennoch muss bedacht werden, dass dieser Vorstoß letztlich nichts an der schwierigen Lage der staatlichen Massenuniversitäten ändern wird, die nach wie vor verpflichtet sind, hohe Zahlen an Studierenden aufzunehmen und gleichzeitig unter einer völlig überlasteten Infrastruktur und fehlendem Praxisbezug leiden. Dass in Ägypten eine hohe Akademikerarbeitslosigkeit und ein akuter Braindrain zu verzeichnen sind, verwundert angesichts der Situation nicht. Die Internationalisierungsagenda soll hier gegensteuern.

 

Das deutsche Bildungs- und Hochschulsystem hat im Land seit Jahrzehnten ein äußerst gutes Standing, der DAAD gilt als vertrauenswürdiger Partner und spielt eine nicht unerhebliche Rolle im Rahmen der hiesigen Internationalisierungsbemühungen: Die Vergabe von Stipendien für die besten Köpfe ist jahrzehntelange Tradition, seit 2007 auch im Rahmen von kofinanzierten Programmen. Seit ungefähr 20 Jahren rückten auch Hochschulkooperationen unterschiedlicher Größenordnung immer mehr in den Fokus: Gemeinsame innovative und bedarfsorientierte Studiengänge, z. B. in den Bereichen Energie, Bildung, Städtebau und Kulturerbe, sind bereits erfolgreich etabliert; die Anfrage nach weiteren Initiativen reißt nicht ab. Insbesondere die seit 2018 neu etablierten Förderprogramme für Deutsch-Ägyptische Fortschrittspartnerschaften sind geeignete Optionen für interessierte Hochschulen, sich im Land zu engagieren. Ägypten kann zudem mit dem Branch Campus El Gouna der Technischen Universität Berlin und der German University in Cairo (GUC) zwei Leuchttürme transnationaler Hochschulprojekte vorweisen. Mehr ist in Planung, da aufgrund des staatlichen Willens eine regelrechte Gründungseuphorie für neue Hochschulen ausgebrochen ist; ob diese Hochstimmung anhält, hängt von Finanzierungs- und Nachhaltigkeitsfragen sowie von validen Marktanalysen ab, aber auch davon, ob sich deutsche Hochschulen in langfristigen Großprojekten in Ägypten engagieren möchten und können. Auch das deutsche Modell der Hochschulen für angewandte Wissenschaften rückt immer mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit der Entscheidungsträger; erste Pläne zur Etablierung dieses Modells stehen auf der Agenda derer, die diesen Trend erkannt haben und die Gunst der Stunde nutzen wollen.

 

Viel Bewegung und Innovationswille ist derzeit zu spüren; Einschnitte bis hin zu kontraproduktiven Maßnahmen kommen aber dann zum Tragen, wenn es z. B. um Sicherheitsaspekte geht. Langwierige Verfahren bei Sicherheitsgenehmigungen schränken Forschungsvorhaben und Mobilität teils sehr ein, obgleich Internationalisierung und Forschungsförderung zentrale Aspekte der Hochschulpolitik darstellen und weiter vorangetrieben werden sollen.

 

Paradox oder Ansporn weiterzumachen? Das werden alle Beteiligten für sich entscheiden müssen. Sicher ist eins: In Anbetracht der großen Anzahl deutsch-ägyptischer Kooperationen ist es wichtig, diese Zusammenarbeit auf eine solide Basis zu stellen. Ein Anfang ist bereits gemacht durch die im Herbst 2019 unterzeichnete Vereinbarung zwischen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und Ministry of Higher Education and Scientific Research Egypt (MHESR) zur Unterstützung bilateraler Hochschulprojekte.

 

In diesem Sinne kann es weitergehen: Das Interesse an deutsch-ägyptischen Hochschulkooperationen ist derzeit groß und insbesondere die bereits erfolgreich etablierten Partnerschaften haben Potenzial, in Ägypten als Best-Practice-Modell zu dienen und weitere Entwicklungen anzustoßen, wenn die jeweiligen Pläne auf individueller wie politischer Ebene die wichtigste Voraussetzung für erfolgreiche Projekte miteinschließen, nämlich einen partnerschaftlichen Ansatz auf Augenhöhe.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2019.

Isabell Mering
Isabell Mering ist Leiterin der DAAD-Außenstelle Kairo.
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