Eine Reform wie keine andere?

Polnische Hochschulen auf Internationalisierungskurs

Seit ihrem Amtsantritt organisiert die polnische nationalkonservative Regierung unter dem Stichwort „der gute Wandel“ einen tiefgreifenden Veränderungsprozess des Landes. In diesem Kontext ist eine Schulreform in Kraft getreten und ein neues Wahlgesetz wird in Kürze verabschiedet. Die Neuordnung des Justizwesens hat international für Negativschlagzeilen gesorgt und die Europäische Kommission auf den Plan gerufen. Auf nationaler Ebene haben die Reformen nicht nur die Opposition, sondern auch Teile der Bevölkerung mobilisiert: Im Sommer demonstrierten Tausende gegen die geplante Justizreform; Eltern und Lehrer forderten ein Referendum über die Eingriffe der Regierung ins Schulwesen.

 

Vor diesem Hintergrund beansprucht der Wissenschafts- und Hochschulminister für sein Ressort, „eine Reform wie keine andere“ durchzuführen. Jarosław Gowins Entwurf einer „Verfassung für die Wissenschaft“ ging ein einjähriger, breiter Konsultationsprozess voraus: In einem Wettbewerbsverfahren haben drei Teams Vorschläge für das geplante Hochschulgesetz vorbereitet. Parallel dazu diskutierte die Scientific Community im Rahmen von neun Konferenzen zentrale Aspekte des Hochschulwesens wie Finanzierung, Internationalisierung und Governance. Polnische Forscher bilanzierten in einem Bericht die Ergebnisse des heimischen Wissenschaftssystems – ein internationales Expertengremium gab auf dieser Basis Empfehlungen für seine Weiterentwicklung. Auf Grundlage dieser Vorarbeiten präsentierte Gowin im September sein Gesetzesprojekt.

 

Worum geht es bei dem neuen Hochschulgesetz? Zentrales Ziel ist es, das polnische Wissenschaftssystem international wettbewerbsfähig zu machen. Die einschlägigen Hochschulrankings zeigen, dass das Land in der Tat noch einiges aufzuholen hat: Weder das Shanghai- noch das THE-Ranking listet eine polnische Universität unter den besten 300 Hochschulen weltweit. Ein weiterer Indikator sind die Ergebnisse des Landes im Rahmen des EU-Programms „Horizont 2020“: Derzeit belegt Polen den 15. Platz und liegt somit weit hinter Deutschland und Großbritannien, ist aber das erfolgreichste Land Mittel- und Osteuropas. Die Überalterung des Wissenschaftsbereichs kann ebenfalls als ein wichtiges Indiz dienen: Rund 40 Prozent der Professoren sind mehr als 60 Jahre alt. Sie arbeiten in der Regel weit über das Rentenalter hinaus, während Nachwuchswissenschaftler massiv ins Ausland abwandern: In den letzten Jahren verzeichnete Polen die höchste Abwanderungsquote Hochqualifizierter innerhalb der EU. Es gibt daher kaum einen Hochschulexperten, der keinen Handlungsbedarf sehen würde.
Um die Defizite anzugehen, will der Minister verschiedene Hebel in Bewegung setzen. So sollen die Hochschulen ihr Profil schärfen: Einige sollen die Forschung stärken, während andere sich auf Lehre und Berufsqualifizierung konzentrieren. Innerhalb der forschungsstarken Hochschulen soll mittelfristig eine international konkurrenzfähige „Erste Liga“ entstehen. Um diese an den Start zu bringen, schwebt dem Minister eine „Exzellenz­initiative“ nach deutschem Vorbild vor. Kleinere Hochschulen sollen im Rahmen einer „Regionalen Exzellenzinitiative“ ebenfalls zusätzliche Mittel erhalten können. Weitere Elemente der Reform sind die Veränderung der Leitungsstrukturen, die flächendeckende Einführung von Graduiertenschulen und eine bessere Betreuung von Studierenden. Die polnische Academia hat in großen Teilen die Pläne vorsichtig begrüßt, es gibt aber auch kritische Stimmen: Insbesondere kleinere Hochschulen fürchten die Aberkennung des Promotionsrechts und eine Reduzierung auf berufsbezogene Lehre. Viele warnen vor einem Eingriff in die Hochschulautonomie durch die Einführung von Hochschulräten unter Beteiligung externer Mitglieder. In einem Punkt ist sich jedoch die Scientific Community offenbar einig: Der Dialog zwischen den beteiligten Akteuren sei sehr konstruktiv verlaufen. Sein Ergebnis jedoch ist noch offen.

 

Zum einen steht der Entwurf noch vor der parlamentarischen Debatte. Es ist zu befürchten, dass sich die Reform im innenpolitischen Räderwerk abschleift oder zum Werkzeug des politischen Einflusses auf die Hochschulen wird. Zum anderen erfordern die Pläne des Wissenschaftsministers erhebliche zusätzliche Finanzmittel. Ob Gowin diese tatsächlich mobilisieren kann, ist unklar.

 

Eines hat der Minister jedoch schon erreicht: Im Oktober nahm die Nationale Agentur für den internationalen Austausch (NAWA) ihre Tätigkeit auf. Viele Amtsvorgänger hatten bereits Pläne für eine Internationalisierungsagentur – Jarosław Gowin hat sie nun umgesetzt. Die Agentur nach dem Vorbild des DAAD soll unter anderem die Stärkung des Studien- und Forschungsstandorts Polen vorantreiben und zu diesem Zweck Wissenschaftler aus dem Ausland in die heimischen Hörsäle und Labore holen. Eine wichtige Zielgruppe sind dabei polnische Wissenschaftler, die mangels Perspektiven in der Heimat ausgewandert sind.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 1/2018.

Klaudia Knabel
Klaudia Knabel leitet die DAAD-Außenstelle in Warschau.
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