Kultur und Militär

Eine Annäherung in sieben Facetten

Militärische Gewalt als ultima ratio
Natürlich ist in der Sicht deutscher Sicherheitspolitik militärische Gewalt die ultima ratio; auch das ist eine kulturelle Errungenschaft vor allem in Europa: dass staatliche Interessen nicht mehr mit militärischer Gewalt durchgesetzt werden, dass statt des Rechts des Stärkeren die Stärke des Rechts gilt. Allerdings heißt ultima ratio nicht „letztes“ Mittel auf der Zeitachse, sondern „äußerstes“ Mittel. Und bisweilen kann frühzeitiger dosierter Einsatz dieses äußersten Mittels oder zumindest sein glaubwürdiges Vorzeigen Schlimmeres verhindern.

 

So hätten bei der Beschießung von Dubrovnik durch serbische Artillerie im Herbst 1991 wenige Schläge aus der Luft oder auch nur deren überzeugende Androhung der Aggression ein Ende gemacht. Stattdessen wurde Slobodan Milošević jahrelang im Glauben gewiegt, militärisch habe er, allen UN-Sicherheitsratsresolutionen zum Trotz, nichts zu befürchten. Vier Jahre später war dann militärische Intervention doch unvermeidbar – zu einem viel höheren Preis: Hunderttausende hatten inzwischen ihr Leben oder ihre Heimat verloren. Solche Lehren zu beherzigen – und öffentlich zu erklären – muss Teil der politischen Kultur in wehrhaften Demokratien sein. Für kein Problem gibt es eine militärische „Lösung“, aber das dichotomische Reden über „diplomatisch oder militärisch“ ist vom Ansatz her falsch. Auch Waffen können deeskalatorisch wirken, und gegenüber bestimmten Akteuren braucht die Diplomatie ein „militärisches Rückgrat“. Wichtig bleibt, dass Deutschland militärisch nur im multilateralen Rahmen tätig wird.

 

Die Friedensdenkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) von 2007 mit ihrem Perspektivenwechsel vom „gerechten Krieg“ zum „gerechten Frieden“ und ihren restriktiven Kriterien für den Einsatz militärischer Gewalt sollte nicht nur für protestantische Friedensethik maßgeblich sein, sondern zur Prägung gesellschaftlichen Denkens und Diskutierens, also der „Diskurskultur“, herangezogen werden.

 

Die Führungskultur der Bundeswehr
Durch ihre „Führungskultur“, basierend auf dem Konzept der „Inneren Führung“, wurde die Bundeswehr – vor dem Hintergrund historischer Lehren und veränderter sicherheitspolitischer Situation – gewissermaßen demokratieverträglich gemacht. Eine zentrale Komponente ist der Primat der Politik mit parlamentarischer Kontrolle und hohem Stellenwert politischer Bildung unter Betonung der grundgesetzlichen Werte. Die andere ist im Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“ zusammengefasst. Dazu gehören zeitgemäße Menschenführung, kooperativer Führungsstil, „Auftragstaktik“ mit Delegation von Verantwortung und die Idealvorstellung des „mitdenkenden Gehorsams“.

 

Interkulturelle Kompetenz
Die Bundeswehr, im Kalten Krieg territoriale Verteidigungsarmee, die im Verbund mit den Alliierten durch Einsatzbereitschaft einen Krieg zu verhindern hatte, ist in den letzten zwei Jahrzehnten in starkem Maße zur Einsatzarmee geworden. Im Auftrag der Vereinten Nationen trägt sie zur Konfliktbeendigung und Stabilisierung in Krisengebieten bei. Das Aufgabenspektrum der Soldaten hat sich damit kolossal erweitert: Es spannt sich vom Kämpfer bis zum Beschützer und Vermittler in fremden Gesellschaften wie Afghanistan oder Mali. Wie wichtig dort „interkulturelle Kompetenz“ jedes einzelnen Soldaten ist, liegt auf der Hand.

 

Schutz von Kulturgut
An der Arp-Schnitger-Orgel von 1704 in Godlinze, nordöstlich von Groningen, ist in vier Sprachen zu lesen: „Die niederländische Regierung hat diese Orgel, von musikalischem und historischem Gesichtspunkt eine Arbeit allerersten Ranges, vor Beschlagnahme sichergestellt und bittet alle Kommandanten der Militärmächte anderer Nationen eindringlich, diese Orgel gleichfalls schonen zu wollen.“ Auch hier treffen sich Kultur und Militär: Das humanitäre Kriegsvölkerrecht, kodifiziert in den Haager und Genfer Abkommen, soll bewirken, dass auch im Krieg zivilisatorische, also humanitäre und kulturelle Minimalnormen eingehalten werden. Die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten mit ihren Nachfolgeprotokollen dient dazu, Kulturgut während eines Krieges oder bewaffneten Konfliktes vor Zerstörung oder Beschädigung sowie Diebstahl, Plünderung und anderen Formen einer widerrechtlichen Inbesitznahme zu schützen. Das Emblem der Haager Konvention an kulturell bedeutenden Bauwerken oder Objekten erinnert an diese Verpflichtung und fordert nicht zuletzt das Militär zu ihrer Achtung, ihrem Schutz und ihrer Bewahrung auf.

Klaus Wittmann
Klaus Wittmann ist Brigadegeneral a.   D. und Senior Fellow des Aspen Institute Deutschland. Er lehrt Zeitgeschichte an der Universität Potsdam
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