Erinnern für die Zukunft

Die Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräber-fürsorge

Das Jahr 2018 steht im Zeichen der Erinnerung in Europa. Das Ende des Ersten Weltkrieges jährt sich zum 100. Mal. Die Grausamkeit seiner Tötungsmaschinerie forderte 17 Millionen Tote, noch viel mehr Menschen blieben äußerlich und innerlich verletzt zurück. Dennoch steht der Erste Weltkrieg in Deutschland im Schatten des Zweiten Weltkrieges, der noch entsetzlicher war und durch die mörderische Menschenverachtung des nationalsozialistischen Deutschlands unsere Erinnerungskultur maßgeblich prägte.

 

Gleichzeitig werden bei uns Stimmen laut, „endlich Gras über die Vergangenheit wachsen zu lassen“ und den „ewigen Entschuldigungskomplex abzulegen“, zumal doch auch niemand von uns den Ersten Weltkrieg noch erlebt habe und sich also niemand daran „erinnern“ könne.

 

Die Erinnerung erhält einen neuen Sinn
Tatsächlich stellt sich die Frage anders. Es geht nicht mehr darum, sich an den Ersten Weltkrieg zu erinnern. Die Zeit der individuellen Trauer ist für die Mehrheit vorbei. Stattdessen geht es darum, an den Ersten (und auch den Zweiten) Weltkrieg zu erinnern. Damit erhält die Erinnerung einen neuen Sinn, denn nun dient sie der Gestaltung der Zukunft. Das Kriegsgrab wird vom Ort der Trauer zum Ort der Erinnerung, der Erkenntnis und somit des Lernens. Dieser Aufgabe hat sich der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge angenommen.

 

Blickt man auf eine Kriegsgräberstätte, sieht man endlose Reihen von Kreuzen und Gräbern, die alle gleich erscheinen. Um die Toten aus der Anonymität zu befreien, versucht der Volksbund, den Toten ihre Namen, ihre Gesichter und ihre Geschichte wieder zu geben. Jungen Menschen, die in Kriegsbiografie-Projekten mitarbeiten, wird dabei klar: Diese Toten waren jung. So jung wie sie. Sie hatten Hoffnungen und Wünsche für ihr Leben. Das verbindet sie mit den jungen Menschen, die sich mit ihnen beschäftigen – bei Workcamps oder in Geschichtsprojekten.

 

In 16 Landesverbänden betreuen unsere Bildungsreferentinnen und -referenten Schulen mit Projektarbeiten zur Geschichte, Erinnerung und zum Gedenken. Sie vermitteln Themen, die eine Beziehung zwischen „damals“ und „heute“ herstellen.

 

In unseren Jugendbildungsstätten arbeiten wir jährlich mit rund 30.000 Tages- und Übernachtungsgästen an Themen der Erinnerungs- und Gedenkkultur. Außerdem organisieren wir in „Workcamps“ Begegnungen zwischen Jugendlichen aus verschiedenen Ländern, in denen sie zusammen arbeiten und ihre Freizeit verbringen.

 

Im Jahr 2019 werden wir 19 Kriegsgräberstätten im In- und Ausland pädagogisch und medial zu besonderen Lernorten umgestaltet haben. In den folgenden Jahren sollen alle unsere Friedhöfe von Gedenk- auch zu „Nachdenk“-stätten werden.

 

Vom Gedenken zum Nachdenken
Frieden kann man nicht allein schließen, sondern nur gemeinsam. Deshalb liegt der Schwerpunkt unserer Bildungsarbeit nicht nur auf der Begegnung und dem Austausch mit jungen Menschen der Zivilgesellschaft, wir fördern auch den gemeinschaftlichen Einsatz von Soldatinnen und Soldaten verschiedener Länder zur Pflege der Kriegsgräberstätten und tauschen uns mit den Organisationen der Kriegsgräberfürsorge anderer Nationen aus. Dort, wo die Fronten des Ersten Weltkrieges verliefen, werden 2018 Jugendmannschaften von Fußballvereinen aus ehemals kriegsführenden Ländern zum Freundschaftsspiel antreten. Sie werden aber auch über den Krieg sprechen und der Toten gedenken. Wir freuen uns, dass die Bundesligamannschaft Hertha BSC Berlin dieses Projekt unterstützen wird.

 

Kriege brechen nicht aus, sie werden gemacht. Durch Feindbilder, autoritäre Denkweisen und Hasspropaganda werden sie vorbereitet. Wer dies verhindern will, muss dafür sorgen, dass die nachfolgenden Generationen die Geschichte kennen und moralische Werte entwickeln können. Vorurteile können durch direkte Begegnungen abgebaut, das Engagement für Frieden und Demokratie kann gestärkt werden, wenn junge Leute aus unterschiedlichen Ländern sich kennen und schätzen lernen.

 

Das Jahr 2018 steht im Zeichen der Erinnerung in Europa, aber nicht nur an das Ende des Ersten Weltkrieges. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges jährt sich zum 400. Mal – und zum 55. Mal der Abschluss des Elysee-Vertrages. Während auch der Dreißigjährige Krieg mahnt, dass Verrohung und Zerstörung überall und jederzeit möglich sind, gibt uns das Vertragsjubiläum ein hoffnungsvolles Signal: Wenn wir den Frieden wollen, können auch einzelne Menschen etwas bewirken – das Denken in „Erbfeindschaften“ beenden und mit freundschaftlicher Zusammenarbeit beginnen. Es gibt ganz unterschiedliche Formen der Erinnerungsarbeit, aber sie haben ein gemeinsames Ziel: Europa darf nie wieder in Krieg, Gewaltherrschaft und Diktatur versinken. „Erinnern für die Zukunft“ – das ist Motto und Leitschnur des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge.

Daniela Schily
Daniela Schily ist Generalsekretärin des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge
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