Der janusgesichtige Beethoven

Christine Eichel berichtet über den zwiegespaltenen Komponisten

 

Was haben Sie bei der Recherche für Ihr Buch über Beethoven erfahren, was die wenigsten wissen?
Weithin unbekannt ist, dass er nicht nur unter starken Stimmungsschwankungen litt, sondern auch zum Medikamentenmissbrauch neigte und schwerer Alkoholiker war. Von seiner Labilität erzählen unter anderem seine Briefe. „Ich komme an diesem Morgen um vier Uhr erst von einem Bacchanal, wo ich sogar viel lachen musste, um heute beinahe ebensoviel zu weinen“, schreibt er beispielsweise einer Freundin und resümiert: „Rauschende Freude treibt mich oft gewalttätig wieder auf mich selbst zurück.“ Von dieser Bipolarität erfuhr ich erst durch meine Recherchen. Darüber hinaus war Beethoven unfähig, sichere Bindungen aufzubauen. Von Misstrauen und Selbstzweifeln gepeinigt, brach er immer wieder selbst mit engsten Freunden. Auch dass er in seiner Wohnung völlig verwahrlost hauste, ist überraschend. Da stand der ungeleerte Nachttopf unter dem Flügel, umgeben von Essensresten und Notenblättern, und in Ermangelung eines Schrankes lag die Kleidung auf den wenigen Stühlen. Heute würden wir von einem Messie sprechen. Es ist berührend, dass sich dieser misanthropische, tief unglückliche Mann musikalisch in ganz andere Sphären begeben konnte.

 

Beethoven war auch ein erfolgreicher Unternehmer im – wie wir es heute nennen – Arbeitsmarkt Kultur …
Ich nenne es die Ich-AG Beethoven. Er war der erste Komponist, der sich aus dem System des feudalen Mäzenatentums löste, indem er offensiv die Drucklegung seiner Werke betrieb. Haydn und Mozart hatten ihre Werke nur sporadisch veröffentlicht, Beethoven korrespondierte im Laufe seines Lebens mit fast 40 Verlagen, die er geschickt gegeneinander ausspielte, um höhere Honorare zu generieren. Durch das Erstarken der bürgerlichen Musikkultur gab es eine erhöhte Nachfrage nach Noten, daher bearbeitete er viele seiner Kompositionen für das Klavier oder kleine Kammermusikformationen. Damit erfand Beethoven ein neues Geschäftsmodell für Komponisten.

 

Die forcierten Drucklegungen beruhten daneben auf seiner Überzeugung, seine Werke hätten Ewigkeitswert. Das war noch sehr ungewöhnlich. Zu Beethovens Zeit produzierten Komponisten für den aktuellen Markt und wurden rasch vergessen. Er sah sich jedoch nicht mehr als musikalischer Dienstleister wie noch sein Lehrer Haydn, der quasi am Fließband Musik geliefert hatte und bei Hofe auf der Ebene eines Küchenchefs rangierte. Beethoven betrachtete sich als Künstler mit Sendungsbewusstsein. Deshalb nannte er sich auch nicht mehr Tonsetzer, sondern Tonkünstler. Und er hatte eine Mission: Ganz im humanistischen Sinne wollte er die Menschheit qua Musik erlösen. Philosophisch und literarisch hochgebildet, reklamierte er für sein Werk einen gleichberechtigten Status neben Literatur, Bildender Kunst und Philosophie. Das war ein Phasensprung im Selbstverständnis von Komponisten.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2020.

Christine Eichel und Theresa Brüheim
Christine Eichel ist Musikwissenschaftlerin, Publizistin und Autorin von „Der empfindsame Titan: Ludwig van Beethoven im Spiegel seiner wichtigsten Werke“ (2019, Karl Blessing Verlag). Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
Vorheriger ArtikelDer schwarze Schwan