Menschenrechte auf der Bühne

Künstlerische Teilhabe ist bei Theater Thikwa von Beginn an selbstverständlich

Im Zentrum der Arbeit des Theater Thikwa steht das Menschenrecht auf künstlerische Teilhabe. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das in Ihrer Arbeit zu verankern?
Hartmann: Das Menschenrecht auf künstlerische Teilhabe war für uns von vornherein ein selbstverständlicher Ansatz, den wir gar nicht als Menschenrecht hinterfragt, sondern einfach gelebt haben.
Hummel: Das Recht auf Schutz vor Diskriminierung in jeder Form war für unsere Arbeit von Beginn an essenziell. Das ist die Voraussetzung für eine Arbeit auf Augenhöhe.
Hartmann: Dieses Credo, ohne Sonderstellung Bestandteil des „normalen“ Kulturbetriebs zu sein, war von Anfang an unser Ziel bzw. die kulturelle Praxis, die wir gemacht und als Forderung nach außen postuliert haben. Ohne das als Menschenrecht zu betiteln, haben wir dieses Menschenrecht eingefordert. Wir haben aber nie einen Sonderstatus beansprucht, was sich in unserer Finanzierung aus „normalen“ Kulturtöpfen widerspiegelt. Wir haben immer gesagt, wir sind da und gehören in den Kulturbetrieb. Das war nie eine Bitte, sondern immer eine Forderung.
Hummel: Wir haben z. B. den Martin-Linzer-Preis – einen ganz „normalen“ Theaterpreis – erhalten. Er war nicht inklusiv ausgeschrieben. Das war ein Zeichen dafür, dass wir längst mittendrin im gesamtgesellschaftlichen Kulturbetrieb sind.
Hartmann: Letztes Jahr hat z. B. das Schauspielhaus Leipzig den Martin-Linzer-Preis für eine herausragende künstlerische Ensembleleistung im deutschsprachigen Raum bekommen. Dieses Jahr wurden wir ausgezeichnet. In der Laudatio war keine Rede davon, dass wir ein inklusives Theater sind. Die Laudatorin hat beschrieben, was wir machen. Das Wort »Behinderung« kam nicht vor. Wir haben die Laudatorin darauf angesprochen und sie hat geantwortet: „Ach, das ist mir gar nicht aufgefallen“. Genau das fordern wir ein. Aus der Forderung wird bei Umsetzung dieses Menschenrecht.

 

Vielfalt und das Menschenrecht auf künstlerische Teilhabe steht auch im Zentrum des Buches „Theater.Rebellion – Die Ausweitung der Kunstzone“, das von Theater Thikwa und Claudia Lohrenscheit herausgegeben wurde.
Hummel: Claudia Lohrenscheit, eine Expertin für Menschenrechtspädagogik und Erziehungswissenschaften, ist auf uns zugekommen, da sie unseren Ansatz für die ideale Verwirklichung von Menschenrechten im Kulturbetrieb hielt. Daraufhin haben wir beschlossen, mit ihr dieses Buch zu machen. Darin wird unter anderem deutlich, dass wir im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes, als Arbeitsplatz für unsere Performerinnen und Performer extrem attraktiv sind.
Hartmann: Wir versuchen das Ganze fluider zu gestalten. Selbstverständlich sind wir dadurch, dass alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung beschäftigt sind, an das Sozialsystem gebunden. D. h. auch, dass alle unsere Mitarbeiter keine zusätzlichen Gelder verdienen dürfen. Das sind die Grenzen unserer Arbeit. Aber wir reizen alle Möglichkeiten, die dieses System bietet, aus.

 

Inwieweit setzen Sie Menschenrechte mit künstlerischen Mitteln auf der Bühne um bzw. welche Rolle spielen diese in Ihren Stücken?
Hummel: Wir bringen viele Stücke auf die Bühne, die die Interaktion zwischen Menschen mit und ohne Behinderung thematisieren. Als Beispiel zum Umgang mit Diskriminierung und Stereotypisierung ist das Stück „Dschingis Khan“, eine Koproduktion mit der Performance-Gruppe Monster Truck, zu nennen. Wir bearbeiten momentan verstärkt Genderthemen, die auch für Menschen mit Behinderung ein großes Thema darstellen.
Hartmann: Wichtig ist aber, dass wir kein Politik-, Zielgruppen- oder Sozialtheater machen. Wir tragen keine Fahne vor uns her. Trotzdem geht es bei uns immer um Fragen, wie: Wer bin ich und wo ist meine Position in der Gesellschaft? Wie passiert Ausgrenzung? Wie gehe ich damit um? Wie geht man mit dieser „Labelisierung“ als behinderter Mensch um? Das sind Themen in unseren Stücken, ohne dass sie das primäre Thema sind.

 

Brüheim: Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2018.

Gerd Hartmann, Nicole Hummel und Theresa Brüheim
Gerd Hartmann und Nicole Hummel bilden die Künstlerische Leitung des Theater Thikwa. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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