Einfach und kraftvoll

Die Idee der Menschenrechte

 

Fortentwicklung der Menschenrechte

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist nicht rechtlich bindend. Das hat ihrer Wirkung jedoch keinen Abbruch getan. Sie bildet den unangefochtenen Maßstab für den Schutz der Menschenrechte weltweit. Sie gab den Anstoß dafür, Menschenrechte in nationalen Verfassungen, darunter dem Grundgesetz, und in internationalen Verträgen verbindlich festzuschreiben. Neben den neun UN-Menschenrechtsverträgen existieren heute weitere Menschenrechtsverträge für den amerikanischen Kontinent, Europa und Afrika, über deren Einhaltung regionale Menschenrechtsgerichtshöfe wachen. Für das Europa von Reykjavik bis Wladiwostok ist dies die Europäische Menschenrechtskonvention mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

 

Für den internationalen Menschenrechtsschutz zentral sind der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966. Zusammen mit der Allgemeinen Erklärung werden sie oft als „internationale Menschenrechtscharta“ bezeichnet. Die beiden Weltpakte garantieren die in der Allgemeinen Erklärung proklamierten Rechte, mit Ausnahme des Rechts auf Asyl und auf Eigentum. Und praktisch wichtig: Sie konkretisieren die Maßstäbe für deren Beschränkung. Die Aufspaltung in zwei Verträge war den politisch-ideologischen Gräben in der Zeit der Ost-West-Konfrontation geschuldet. Erst in der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz wurde dieser Graben überwunden, indem die Staaten die Unteilbarkeit, Interdependenz und Wechselbezüglichkeit aller Menschenrechte anerkannten.

 

Weitere UN-Menschenrechtsverträge betrafen rassistische Diskriminierung und die Diskriminierung von Frauen, die Menschenrechte von Kindern, von Menschen mit Behinderungen und von Wanderarbeitnehmern, sowie Folter und gewaltsames Verschwindenlassen. Sie benennen die Verletzungen, die Menschen als Angehörigen der genannten Gruppen oder in den spezifischen Situationen typischerweise erfahren haben, und sie schreiben den Staaten vor, dass und wie sie solche Verletzungen verhindern, beenden und beseitigen müssen. Sie konkretisieren also die in der internationalen Menschenrechtscharta niedergelegten Menschenrechte um des besseren Menschenrechtsschutzes willen. Deshalb gibt es heute auch Diskussionen um einen Vertrag über die Menschenrechte Älterer und über die menschenrechtlichen Verpflichtungen privater Wirtschaftsunternehmen.

 

Frontalangriffe auf die Menschenrechte

In der Praxis waren Menschenrechte nie selbstverständlich. Seit 1948 wurde über Inhalt und Reichweite von Menschenrechten in den Gremien der UNO und innerhalb von Staaten gestritten. Massive und systematische Verletzungen von Menschenrechten waren verbreitet. Aber stets war das von einem – zumindest verbalen – Bekenntnis zu den Menschenrechten begleitet. Gegenwärtig ist in der Welt, auch in Deutschland, etwas Neues zu beobachten. Die Idee und das Fundament der Menschenrechte werden offen angegriffen und Regierungen oder politische Bewegungen propagieren andere Konzepte.

 

Zu diesen Konzepten gehört etwa ein verabsolutiertes Verständnis staatlicher Souveränität, nach dem jedes Mittel zum Schutz des Staates einschließlich seiner Grenzen und seiner – oft völkisch verstandenen – Bevölkerung zulässig ist. Eng verbunden damit sind Vorstellungen einer absoluten Volksherrschaft, frei von menschenrechtlichen Bindungen. Menschenrechtsfeinde sehen sich als die Vertreter des „wahren Volkes“ und leugnen damit das gleiche Recht aller Staatsbürger auf politische Partizipation. Andere Ansätze sind kulturalistische Konzepte oder nationalistische, völkische Ideologien. Sie propagieren die Ungleichheit von Menschen, indem sie die Ungleichbehandlung fordern oder Gruppen durch Zuschreibungen von Eigenschaften konstruieren und abwerten, indem sie sie zu Sündenböcken machen und Hass und Gewalt schüren, um Menschen auszugrenzen, zu vertreiben oder gar zu töten. Damit verwandt sind Ideologien, wonach es Aufgabe des Staates sei, „traditionelle Werte“ zu verteidigen. Sie richten sich zumeist gegen die Menschenrechte von Frauen und von Lesben, Schwulen, Bi*, Trans*, Inter* und Queer (LSBTIQ). Um das Fundament der Menschenrechte zu unterminieren, werden Menschheitsverbrechen heruntergespielt oder gar geleugnet.

 

Gegen solche Bestrebungen braucht es starke Institutionen, die die menschenrechtlichen Bindungen des Staates ernst nehmen. Dazu gehört auch, dass Menschenrechte in der politischen Debatte differenziert diskutiert und im gesellschaftlichen Miteinander durch Anwendung bekräftigt werden. Unverzichtbar sind hierfür unabhängige Medien, Medienvielfalt, eine engagierte Zivilgesellschaft und kritische Kunstschaffende, die sich solidarisch für die Rechte anderer einsetzen. Es ist nicht überraschend, dass Autokraten und Populisten gerade diese Akteure attackieren und ihre Menschenrechte missachten.

 

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist deshalb auch nach 70 Jahren noch wichtig. Sie erinnert daran: Menschenrechte sind die Grundlage des friedlichen Miteinanders in einer Gesellschaft. Deshalb muss der Staat die Menschenrechte aller Menschen in seinem Herrschaftsbereich sichern, und deshalb sind Menschenrechte in unser aller ureigenem Interesse. Die Allgemeine Erklärung bestärkt uns darin, von allen Staatsorganen, von Politik und Parteien Menschenrechte einzufordern. Sie stärkt uns darin, die Menschenrechte im Alltag zu leben, indem wir Abwertung, Ausgrenzung und Hass klar entgegentreten, Menschen als Individuen wahrnehmen und einander als Menschen mit gleicher Würde und gleichen Rechten achten.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2018.

Beate Rudolf
Beate Rudolf ist Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
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