Sich neu und anders erfinden

Zur zwiespältigen Situation der Designwirtschaft

Weniger. Langsamer. Nachhaltiger. Bewusster. Persönlicher.“ So beschreibt der Münchner Modedesigner Adrian Runhof seine Folgerungen aus Pandemie und Lockdown und kündigt eine erstmals im Sommer erscheinende Kollektion „in limitierter Auflage, in entspannter Preislage und in zeitlosem Design“ an, die jeden Sale – zumal mitten in der Saison – überflüssig macht. „Und erst wenn diese Kollektion verkauft ist, machen wir die nächste.“

 

Mit diesen wenigen Zeilen lässt sich die gesamte Bandbreite tiefgreifender Problemlagen und pragmatisch-kreativer Lösungsorientierung der Designwirtschaft erahnen. Das seit Gründung im Jahr 2000 weltweit äußerst erfolgreiche Modelabel „Talbot Runhof“ fertigt seine Kollektionen in eigenen Ateliers in Deutschland – die Abendmode wird unter anderem von Lady Gaga, Angelina Jolie, Anna Netrebko und Julia Roberts getragen. Die Krise zwingt auch ein derart renommiertes und international vernetztes Designunternehmen zum neu denken – und zwar weit über den Tag hinaus.

 

Die ihre Produkte selbst oder über Händler vertreibenden Labels und Studios beschäftigen nur einen überschaubaren Teil der rund 360.000 Designerinnen und Designer in Deutschland, die weitaus überwiegende Zahl ist entweder soloselbständig-freiberuflich oder in den 60.000 überwiegend kleinen oder mittleren Designbüros unterschiedlichster Ausrichtung und Kommunikations- und Produktdesignagenturen tätig. Nur wenige profitieren vom Online-, Game- und Versandboom, die weitaus überwiegende Anzahl beklagt – erwartungsgemäß und vom Designtag bereits im Mai 2020 vorausgesagt – sich steigernde, sehr erhebliche Einbußen. Die allermeisten Soloselbständigen bestätigen eine Honorarrückgang eher oberhalb von 60 Prozent, bei den klein- und mittelständischen Unternehmen liegt der Rückgang im Durchschnitt bei mindestens 30 Prozent. Diese Größenordnung wird von den Ergebnissen der von Ernst & Young im Auftrag von 32 der größten europäischen Verwertungsgesellschaften herausgegebenen Studie „Rebuilding Europe“ und dem von der Prognos AG veröffentlichten Themendossier zur Betroffenheit der Kultur- und Kreativwirtschaft bestätigt. Und auch die Perspektiven sind düster – das für viele schon nicht auskömmliche Honorarniveau von 2019 wird sich sicher nicht in 2021 und wohl auch nicht in 2022 wieder herstellen lassen.

 

Eine nicht unerhebliche Zahl von Freiberuflern hat – zumindest bis auf weiteres – aufgegeben und sich umorientiert. Viele konnten aufgrund noch zu Ende zu führender Aufträge und ausstehender Zahlungen, finanzieller Rücklagen und großer Sparsamkeit im letzten Jahr überleben. Das föderalistische Überbrückungshilfe-Chaos – wohne in Hamburg und nicht in Niedersachsen! – hat trotz allem einigen Soloselbständigen geholfen, aber die weit überwiegende Zahl von Gestaltern geht bis heute leer aus. Oder erhält Hilfen, die zum Leben gerade in den designaffinen und -förderlichen Metropolen bei weitem nicht reichen. Ein schwer verdaulicher Exodus von Kompetenz ist kein Szenario mehr, sondern Wirklichkeit. Auch bei den Designunternehmen hat ein langwährender Substanz- und Wertverlust eingesetzt, der nicht nur die Designwirtschaft relevant schwächen wird. Sondern tiefe Spuren überall da hinterlassen wird, wo Design als fundamentaler Bestandteil der Strategie, als wesentliches Element für betriebsinterne oder -übergreifende Kooperation, zur alleinstellenden Positionierung wie als kulturell-methodischer Ansatz begriffen wird. Also eigentlich überall da, wo Unternehmen, Organisationen und Institutionen sich erfolgreich im Wettbewerb bewegen – Apple lässt grüßen.

 

Dabei befindet sich die Branche durchaus in einem Zwiespalt – ist sie doch gewohnt mit Unvorhergesehenem und komplexen Problemlagen umzugehen. Und sich immer wieder neu und anders zu erfinden. Dies gelingt auch in dieser weltweit einmaligen Krise einigen – siehe Talbot Runhof. Für viele andere ist die aktuelle Gesamtlage wie auch die Perspektive allerdings – mehr als unverschuldet! – derart desolat, dass es endlich eine branchenspezifische Berücksichtigung der Kultur- und Kreativwirtschaft auch bei den Unterstützungsprogrammen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) braucht. Ein Spitzengespräch mit Peter Altmaier wurde vielfach eingefordert – hoffentlich war die Zusage an die Präsidentin des Deutschen Kulturrates, Susanne Keuchel, beim letzten Wirtschaftsgipfel nicht nur ein Lippenbekenntnis.

 

Denn neben der pandemiebedingten Wirtschaftskrise sind die schon vorher für die Designbranche mehr als prägenden Herausforderungen Digitalisierung, Klimakrise und Globalisierung Aufgabe genug. Nur ein kleines Beispiel: In den kommenden Jahren werden immer mehr Designlabels ihre Kollektionen digital entwerfen – vor allem für die Nutzung in virtuellen Showrooms.

 

Mit CGI-Models wird es möglich, Kleider mit nur einem Klick auf die virtuellen Charaktere zu ziehen. Das ist natürlich deutlich umweltschonender und krisenflexibler als die komplexen Prozesse von Musterware, Models, Fotografie usw. Und sehr schnell kommunizierbar auf Instagram und Co. Andere Länder fördern solche Entwicklungen gerade jetzt massiv und unterstützen Design-Innovationen – ohne allzu komplizierte Antragswege und -bedingungen. Eigentlich wäre es ganz einfach, wenn, ja wenn nur die Wirtschaftsförderung vom hohen Förderungsross der früher als einzig systemrelevant anerkannten, gerne multinational agierenden Konzerne heruntersteigen würde. Denn die Zukunft ist nicht schneller, größer, weiter – sondern kleiner und weniger, näher und direkter, nachdenklicher und nachhaltiger und bewusster und persönlicher.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2021.

Boris Kochan
Boris Kochan ist Präsident des Deutschen Designtages und Vizepräsident des Deutschen Kulturrates.
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