Investitionen in Europas Zukunft

Das SURE-Programm und Corona Virus Response müssen den Kultur- und Kreativbereich direkt erreichen

Die Corona-Pandemie hat verheerende Folgen für die Kultur- und Kreativwirtschaft. Vor allem viele kleine Kultur­
einrichtungen stehen am finanziellen Abgrund. Für viele Kulturschaffende heißt das Verbot von Veranstaltungen aufgrund von Corona zugleich: keine Einnahmen. Für Künstlerinnen und Künstler geht es um ihre Existenz. Experten schätzen, dass die Kultur, zusammen mit dem Tourismus, am längsten brauchen wird, um wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. Das ist fatal, denn die Kreativbranche besteht aus vielen kleinen und mittleren Betrieben, Unabhängigen und Freiberuflern – in der EU etwa neun Millionen Menschen.

 

Auf EU-Ebene wurde eine Reihe von Initiativen auf den Weg gebracht, um die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Bereiche Bildung, Kultur, Medien, Jugend und Sport abzumildern. Und auch die Bundesregierung hilft mit Unterstützung in Milliardenhöhe und weiteren Förderleistungen.
Das Geld muss aber auch ankommen, wo es gebraucht wird. Künstler und Kreative haben es oft schwer, sich für EU-Förderprogramme zu qualifizieren. Weil die Gelder, die von der EU bereitgestellt werden, von den Mitgliedstaaten verwaltet und verteilt werden, ist es oft unübersichtlich, wie das genau funktioniert. Wir müssen nun sicherstellen, dass die Mittel aus dem SURE-Programm und der „Coronavirus Response Investment Initiative“ den Kultur- und Kreativbereich auch direkt erreichen, durch spezifische Regeln zur Zweckbindung des Geldes und enger Überwachung dieser Zweckbindung, das Geld spezifisch an diese Sektoren zu verteilen.

 

Beide Programme, SURE sowie Corona Virus Response, bieten ein erhebliches Potenzial für den Kultur-und Kreativbereich und den Presse- und Mediensektor, doch haben die Sektoren spezifische Geschäftsmodelle und spezifische Bedürfnisse. Der Kultur- und Kreativbereich setzt sich insbesondere aus vielen einzelnen Künstlern zusammen, und diese Kunstschaffenden sehen sich durch die Krise mit echten existenziellen Härten konfrontiert. Sie qualifizieren sich aber möglicherweise nicht ohne Weiteres für nationale Förderprogramme, da viele davon Regularien haben, die an der Lebenswirklichkeit von Künstlern vorbeigehen. Die Notfallhilfen müssen so gestaltet werden, dass das Geld auch für den Lebensunterhalt der Künstler genutzt werden kann, nicht nur für Betriebsausgaben, denn viele selbständige Künstler haben wenig Betriebsausgaben im eigentlichen Sinne – sie haben Lebenshaltungskosten.

 

Das ist natürlich erst der Anfang des Prozesses, und wir werden in den kommenden Wochen und Monaten aktiv bleiben müssen. Eines ist klar: Die Auswirkungen auf diese Sektoren sind enorm und werden wahrscheinlich sehr lang anhaltend sein. Doch zunächst einmal ist es wichtig, die Künstler und Kreativen durch die Krise zu bringen, sie wirtschaftlich überleben zu lassen.

 

Eine Reihe von Kulturakteuren sind möglicherweise keine Unternehmen, sondern haben einen gemeinnützigen Status. Es muss unbedingt sichergestellt werden, dass Förderprogramme auch auf diese Organisationen angewendet werden können. Wir im Ausschuss für Kultur und Bildung im Europäischen Parlament wollen sicher sein, dass die Europäische Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten dafür sorgt, dass diese Programme für die Kultur-, Kreativ- und Medienbranche geeignet sind.

 

Auch möchten wir sicherstellen, dass die EU-Finanzierungsprogramme mobilisiert werden, um einen sofortigen Zugang zu Finanzmitteln und Krediten für die relevanten Branchen zu ermöglichen. Zwar ist die direkte Finanzierung der Kultur- und Kreativbranche durch EU-Programme zwangsläufig begrenzt, eine intelligente Nutzung der bestehenden Instrumente kann jedoch dazu beitragen, den Zugang zu Krediten und Überbrückungskrediten für den Sektor zu verbessern.

 

Wir glauben, dass der effektivste Weg, eine solche Unterstützung zu leisten, über die bereits bestehende sektorspezifische Garantiefazilität im Rahmen von „Creative Europe“ ist, jedoch – und das ist essenziell – mit einem aufgewerteten Budget. Die Kommission hat nun einen neuen, zweiteiligen Budgetvorschlag vorgelegt, ein kurzfristiges Konjunkturprogramm sowie den Haushaltsplan bis 2027.

 

Das Konjunkturprogramm, der neue „Recovery Fund“, zielt darauf ab, kurzfristige Unterstützung zu geben, um die dringend benötigte wirtschaftliche Erholung voranzutreiben und eine sofortige Kapitalspritze für die Unterstützung des kulturellen und kreativen Sektors zu erreichen. Der mittelfristige Finanzrahmen (MFR) dagegen ist langfristiger angelegt und zeigt die Vision für die Zukunft der Europäischen Union – ausgedrückt durch den Grad der Ambitionen im MFR selbst –, die dem Kultur- und Kreativ- und Mediensektor die Chance geben sollte, sich wieder zu erholen.

 

Im auslaufenden Haushalt der EU erhielt das Programm Kreatives Europa rund 1,5 Milliarden Euro. Wir im Europäischen Parlament wollen diese Summe verdoppeln und hatten diese Forderung schon vor der Krise gestellt. Wir wurden leider bis heute nicht gehört. Der neue Budgetvorschlag der Kommission ignoriert diese Forderung allerdings total – er liegt bei 1,52 Milliarden Euro. Durch die Inflation ist das unterm Strich weniger Geld als im auslaufenden Programmhaushalt. Das kann nicht die Antwort auf eine solche Krise sein und ist ein fatales Zeichen für die europäische Kultur- und Kreativlandschaft.

 

Wir haben in den letzten Wochen mehrfach wiederholt, dass die Kultur-, Kreativ- und Bildungssektoren besonders hart von der Krise getroffen wurden. Es muss unbedingt sichergestellt werden, dass die Unterstützungs- und Überbrückungsprogramme so konzipiert sind, dass sie auch diesen Sektoren echte Unterstützung bieten können. Viele kleine Betriebe und Selbständige oder Freelancer wie einzelne Künstler brauchen maßgeschneiderte Hilfen und sie brauchen Beratung und Unterstützung und weniger Bürokratie. Dies wurde in vergangenen Programmen oft nicht berücksichtigt, und ich fordere die Kommission dringend auf, ihre besondere Aufmerksamkeit auf diese Menschen zu richten.

 

Die jetzigen Zahlen im MFR für die Bildungs-, Kultur- und Jugendprogramme sind zutiefst enttäuschend und stehen einfach nicht im Einklang mit der Erklärung der Kommissionspräsidentin über die Bedeutung künftiger Generationen sowie von Bildung und Kultur. Es ist sehr bedauerlich, dass die Kommission im Vergleich zu ihrem ursprünglichen Vorschlag vor zwei Jahren nun niedrigere Zahlen vorschlägt. Wir haben Erwartungen geweckt, die durch den Vorschlag, der jetzt auf dem Tisch liegt, nicht erfüllt werden.

 

Gerade im Kulturbereich haben wir erlebt, dass Kinos, große Konzertsäle und kleine Spielstätten, Theater und Museen ihre Türen schließen mussten. Viele Festivals, Konferenzen, Buchmessen sowie Film- und Fernsehproduktionen wurden abgesagt oder zumindest bis auf Weiteres verschoben. Wir müssen den kulturellen und kreativen Sektor und die Menschen, die diese Sektoren ausmachen, schützen und unterstützen. Wir müssen die Unterstützung zielgenau auf die Sektoren zuschneiden und ihnen den Zugang zu dieser Unterstützung erleichtern. Wir müssen auch – ohne Verzögerung – die Garantiefazilität für den Kultur- und Kreativsektor im Rahmen des Creative Europe aufstocken und anpassen, um dem Sektor den Zugang zu weiteren Finanzierungen zu erleichtern. Und wir brauchen engagierte Unterstützung für den Mediensektor.

 

Der Ausschuss für Kultur und Bildung wird weiterhin darauf drängen, dass die richtigen Maßnahmen schnell umgesetzt werden. Geld für Kultur und kulturelle Bildung auszugeben, ist eine Investition in die Zukunft des Kontinents. Wir müssen die Krise als Gelegenheit nutzen, unsere Prioritäten neu zu definieren. Denn: Kunst und Kreativität sind das, was uns als Menschen ausmacht, uns als Gesellschaft prägt, den Spiegel vorhält. Es ist systemrelevant für unsere Gesellschaft – gerade in Krisen!

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2020.

Sabine Verheyen
Sabine Verheyen ist Vorsitzende des Kulturausschusses des Europäischen Parlamentes.
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