Hier spielt die Zukunftsmusik!

Eine Milliarde für den „NEUSTART KULTUR“

„Zukunftsmusik“ nennen wir im Deutschen, was gegenwärtig nicht verwirklicht werden kann, aber als Möglichkeit verheißungsvoll klingt. Man braucht derzeit ein feines Gehör, um im Lärm der Gegenwart solche „Zukunftsmusik“ zu vernehmen. Corona beherrscht den Alltag. Ungewissheit, wie sich die Situation entwickelt, nährt Zukunftsängste. Selbst dort, wo sonst mit Leidenschaft Kultur gelebt und Zukunftsmusik gespielt wird, gibt im Moment der Infektionsschutz den Ton an. Konzertsäle, Opern, Musikclubs, Theater und andere Kulturorte sind im Stillstand. Sie alle holen uns in normalen Zeiten heraus aus dem Alltag, hinein in eine Welt der Möglichkeiten. Kunstwerke und Kulturorte schaffen Raum für Utopien – allein schon dadurch, dass sie Menschen über alle Grenzen hinweg verbinden.

 

In der Dunkelheit eines Kinosaals, im Bann des Bühnengeschehens erfahren wir, dass alles anders sein könnte, als wir es wahrnehmen. Und manchmal spüren wir lesend oder lauschend, mitfühlend und mitfiebernd die Sehnsucht nach einer besseren Welt, nach einem anderen Leben. Doch gleichzeitig scheint der Kunst und Kultur in diesen Corona-Zeiten genau das zum Verhängnis zu werden, was sie der Politik und Wirtschaft, der Sprache der Macht und des Geldes voraus hat: dass sie Menschen buchstäblich in Fühlung miteinander bringt. Solange Abstandhalten Bürgerpflicht in der Corona-Prävention ist, bleiben kulturelle Gemeinschaftserlebnisse in ausverkauften Sälen wirklichkeitsferne Wünsche – um nicht zu sagen: Zukunftsmusik …

 

Was das für Künstlerinnen und Künstler, für Kultureinrichtungen und Unternehmen der Kulturbranche bedeutet, weiß ich nicht zuletzt aus den unzähligen Telefongesprächen und Briefen, in denen Betroffene mir in den vergangenen Wochen ihre Situation geschildert haben. Ich kenne die Verzweiflung. Ich kann die Existenzangst nachempfinden. Ich leide selbst – als Mensch, als begeisterte Kulturliebhaberin und als Politikerin. Ich bin in tiefer Sorge auch um die kulturelle Vielfalt, die in Deutschland über Jahrzehnte gewachsen ist, übrigens nicht zuletzt dank einer staatlichen Kulturförderung, die weltweit ihresgleichen sucht. Und doch bin ich der Meinung, dass nicht Defätismus, sondern Pragmatismus in dieser Situation die erste Geige spielen muss.

 

Pragmatisch schauen, was geht: Künstlerinnen und Künstler und zahlreiche Kultureinrichtungen haben mit genau dieser Haltung und bewundernswerter Kreativität in den vergangenen Monaten die häusliche Isolation für viele Menschen erträglicher gemacht. Wohl nie zuvor bot das Internet Kulturgenuss in dieser Bandbreite und Qualität – vom Livestream-Konzert über Lesungen aus dem heimischen Wohnzimmer bis zum virtuellen Theaterabend. Über das analoge Stammpublikum hinaus dürfte dabei auch so mancher Online-Zufallsbesucher auf den Geschmack gekommen sein. Kunst jedenfalls erwies sich für viele Menschen einmal mehr als unverzichtbare Seelennahrung. Diese Wertschätzung wird sich, davon bin ich überzeugt, nach der Corona-Krise für Künstlerinnen und Künstler auszahlen. Der Hunger nach Kultur im öffentlichen Raum wird größer sein als je zuvor. Viele sehen jetzt, dass Kultur als Bildschirmerlebnis das Gemeinschaftserlebnis nicht ersetzen kann. Die Resonanz ist eben doch eine andere im öffentlichen Raum. Als Zuhörer und Zuschauer lauscht man konzentrierter, und mag die heimische Couch auch noch so bequem sein – beglückender ist es, Emotionen mit anderen zu teilen.

 

Schauen, was geht, und tun, was getan werden kann: Diese Haltung bestimmt auch den politischen Umgang mit der Corona-Krise und ihren Auswirkungen auf Kunst und Kultur. Aus anderen Ländern blickt man durchaus mit Neid auf den Rettungsschirm aus Soforthilfen, den die Bundesregierung in Deutschland für Selbständige und Kleinstunternehmen auch der Kultur- und Kreativbranche gespannt hat – über Unterstützungsprogramme der einzelnen Bundesländer hinaus, in deren Zuständigkeit die Kultur in Deutschland liegt. Er setzt sich im Wesentlichen aus fünf Bestandteilen zusammen.

 

Erstens: Den Lebensunterhalt soloselbständiger Kreativer sichern der erleichterte Zugang zu einer Grundsicherung mit deutlich verbesserten Leistungen sowie eine Regelung, die es Kultureinrichtungen erlaubt, Ausfallhonorare als Kompensation für entgangene Gagen zu zahlen.
Zweitens: Kulturelle Einrichtungen wie Theater können Angestellte dank der Flexibilisierung des Kurzarbeitergelds über Schließzeiten hinweg halten.

 

Drittens: Für Betriebskosten wurden Soforthilfen bereitgestellt, von denen z. B. Buchhandlungen sowie Kino- und Musikclubbetreiber genauso profitieren wie Künstler mit eigenem Atelier.

 

Viertens: Für gezielte Hilfsmaßnahmen zur Krisenbewältigung stehen Mittel aus meinem Kulturetat bereit, beispielsweise in einem Hilfsprogramm für freie Orchester und Ensembles oder in einem Sonderprogramm für coronabedingte Umbaumaßnahmen.

 

Fünftens: Die Gutscheinlösung als Ersatz für Tickets bei abgesagten Veranstaltungen trägt dazu bei, mit den Konzert- und Festivalveranstaltern einen weiteren Kulturbereich durch die Corona-Krise zu retten.

 

Monika Grütters
Monika Grütters, MdB ist Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.
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