Pamela Schobeß ist seit über 20 Jahren Clubbetreiberin. Gemeinsam mit Lars Döring bietet sie im „Gretchen“ auf dem Dragoner Areal in Berlin-Kreuzberg ein alternatives Kulturprogramm mit Live-Konzerten und Clubnächten. Mitte März musste diese Berliner Institution wie alle anderen Clubs, die gemeinsam die weltbekannte Clubkultur der Hauptstadt ausmachen, zur Eindämmung der Corona-Pandemie schließen. Schnell kam man in Zusammenarbeit mit ARTE concert, radioeins und dem Label SUOL zur täglichen Live-Übertragung von Konzerten und DJ-Sets aus den Clubs in die Wohnzimmer.
Theresa Brüheim: Die Berliner Clubs sind seit dem 13. bzw. 14. März geschlossen. Das gilt auch für Ihren Club, das Gretchen in Berlin-Kreuzberg. Was bedeutet diese Schließung für Sie konkret?
Pamela Schobeß: Konkret: Von einem auf den anderen Tag null Einnahmen. Wir bekommen, im Gegensatz zu staatlichen Kultureinrichtungen, keinerlei Förderungen. Unsere einzige Einnahmequelle sind unsere Kulturveranstaltungen. Finden die nicht statt, kommt kein Geld rein. Gleichzeitig haben wir aber natürlich laufende Kosten wie Miete, Personal oder Versicherungen. Branchentypisch agieren auch wir – bezogen auf unsere Kosten- und Erlösstruktur – im Grenzkostenbereich, erzielen nur minimale Gewinne, die immer gleich zurück ins Programm fließen. Wir haben also keine finanziellen Rücklagen, weil diese Art des Kulturbetriebs das einfach nicht hergibt. Die Schließung bedeutet schlicht, dass wir – ohne Hilfen – innerhalb von vier Wochen ruiniert sind und unser Gretchen verlieren werden. Und genauso wird es vielen anderen Clubs und Livemusikspielstätten auch ergehen.
Die Berliner Clubs, Veranstalterinnen und Künstler haben sich schnell solidarisch gezeigt und feiern seit dem 18. März online auf der Plattform UnitedWeStream weiter. Wie geht das genau? Was gibt es unter www.unitedwestream.berlin zu sehen?
Wir haben uns gedacht, wenn die Menschen nicht mehr zu uns in die Clubs kommen dürfen, dann kommen wir einfach zu ihnen nach Hause. Wir streamen nun jeden Tag aus einem anderen Berliner Club von 19 bis
0 Uhr live in die Wohnzimmer dieser Welt. Die Künstlerinnen und Künstler spielen in gewohnter Umgebung, allerdings in etwas ungewohnter Atmosphäre. Sie sind beim Auflegen ganz allein mit dem Kamerateam, wissen aber, dass ihnen viele Menschen via Internet zugucken und zuhören. Großartig ist in diesem Zusammenhang die tolle Gemeinschaftsarbeit aller Berliner Clubs. Uns geht es aber auch darum, möglichst schnell und unkompliziert, Spendengelder zu sammeln, um denjenigen Clubbetreiberinnen und -betreibern zu helfen, die am Ende des Monats nicht über ausreichend Liquidität verfügen, ihre Miete zahlen zu können.
Der Eintritt an der Tür entfällt. Deshalb rufen Sie zu Online-Spendensammlungen auf, aber nicht nur für die Berliner Clubs …
Uns ist natürlich völlig klar, dass wir Clubbetreiberinnen und -betreiber nicht die Einzigen sind, denen es schlecht geht. Deshalb spenden wir wiederum acht Prozent der gesammelten Gelder an den Stiftungsfonds Zivile Seetnotrettung weiter.
Wieso ist es wichtig, gerade jetzt die weltbekannte Berliner Clubkultur hochzuhalten?
In immer mehr Ländern wird das öffentliche Leben eingeschränkt und die Menschen können so auch nicht mehr Kultur in ihrer vollen Bandbreite erleben. Die vielfältige und kleinteilige Berliner Clubkulturszene ist legendär, symbolisiert Freiheit und zieht jedes Jahr viele Menschen an. Berlinerinnen wie Touristen. Die soziale Komponente ist bei einem Clubbesuch sehr hoch. Zum einen geht es natürlich darum, Musik zu genießen. Zum anderen sind aber auch die sozialen Kontakte im Club wichtig für die Menschen. Der Austausch, das gemeinsame Erleben. Die Forderung nach „social distancing“ ist natürlich aus gesundheitlicher Perspektive völlig richtig. Für viele Menschen ist das aber psychisch nicht einfach. Tatsächlich versammeln sich nun viele Menschen virtuell bei unseren Streams und wissen, dass sie nicht allein sind. So können wir in der aktuellen Situation mit UnitedWeStream immerhin im Internet den einmaligen, verbindenden Vibe der Stadt Berlin präsentieren.
Was fordern Sie als Clubcommission jetzt von der Politik?
Wir fordern und brauchen dringend sehr schnell eine Art Rettungsschirm, der aus Zuschüssen bestehen muss und nicht kreditbasiert sein darf. Wir kleinen und mittelständischen Kulturbetriebe können diese Krise ohne finanzielle Zuschüsse nicht überstehen. Die gesamte Clubkultur steht vor einer existenziellen Krise: Die temporäre Schließung von Musikspielstätten führt unweigerlich zur Insolvenz der meisten Clubs.
Ein Zusammenbruch dieses Kulturzweiges bringt übrigens auch die gesamte Verwertungskette zum Straucheln. Ein Verlust der vor allem kleinen Clubs und Musikspielstätten wird sich kulturell verheerend auf den gesamten (Live-)Musiksektor für die nächsten Jahre auswirken. Mit dem Fehlen dieser Bühnen, in Metropolen wie Berlin oder im ländlichen Raum, ist auch der gesamte musikalische Nachwuchs in Gefahr.
Viele Menschen sind von der Corono-Krise – neben den gesundheitlichen Gefahren – wirtschaftlich betroffen. Trotzdem gibt es Unterschiede bezüglich der Auswirkungen. Produzierendes Gewerbe kann Ausfälle in der Produktion später kompensieren, indem sie z. B. zusätzlich Nachtschichten einlegen und so den Produktionsausfall nachholen. Sie können so den Verlust der Einnahmen wieder aufholen. Musikspielstätten funktionieren anders. Unsere Gäste können später nicht doppelt so oft ausgehen, sie müssen ja auch arbeiten. Können unsere Besucherinnen und Besucher jetzt also längere Zeit nicht in unsere Clubs kommen, werden sie das später nicht nachholen können.
Alle Konzerte, die jetzt ausfallen, müssen in den Herbst oder sogar auf nächstes Jahr verschoben werden. Da nehmen sie dann aber den Platz eines anderen Konzerts ein. Statt zwei Konzerte – eins jetzt und eins im Herbst – gibt es also nur eins insgesamt. Der aktuelle Verlust unserer Einnahmen ist dementsprechend nicht nachholbar.
Und eben weil wir Kulturprogramme kuratieren, vielfach musikalische Nischen abdecken, junge Talente fördern und nicht den Mainstream bedienen, bleibt bei unserer Kosten-Erlös-Struktur nichts übrig, um Kredite abzuzahlen.
Vielen Dank.
Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.