„Wir sind gerade mit der Galerie umgezogen, haben uns mit den Künstlern auf die Eröffnung gefreut. Wir haben so viel investiert – alles für die Katz.“ „Ich war bei unserer Partnergalerie in Wien, um Arbeiten für ein Projekt auszuwählen. Als die Grenzschließung bekannt wurde, habe ich Österreich fluchtartig verlassen. Nun bin ich zwei Wochen in Quarantäne.“ „Wir haben eine Ausstellung mit Dutzenden Schülern eines bedeutenden deutschen Künstlers organisiert. Ein Riesenaufwand. Niemand kommt, niemand kauft.“ Solche Zurufe erhalten wir täglich zuhauf.
Mit der Absage sämtlicher anstehender Kunstmessen nahm der Shutdown seinen Lauf. Das gesamte öffentliche Kulturleben mit seinen Institutionen liegt im Koma. Aber im Gegensatz zu den Museumsdirektoren erhält der Galerist kein Gehalt, im Gegensatz zu den Künstlern ist er nicht günstig pflichtversichert.
Digitale Auftritte sind nun auf dem Vormarsch. Online Viewing Rooms kursieren und ermöglichen zumindest eine virtuelle Präsenz der Galerien und ihrer Künstler. Neue Ideen, Kunstwerken im Netz und auf Social Media verstärkt eine Plattform zu schaffen, werden erprobt und weiterentwickelt. „Emerging Artists“ jedoch, oder Künstler, deren Arbeiten einen intensiven Vermittlungsaufwand erfordern, bedürfen der physischen Präsenz, der Erfahrung und Kommunikation in der analogen Welt. Der Ausstellungsraum – in einem Museum, einer Galerie oder temporär auf einer Messe – ist für jeden bildenden Künstler mehr als ein Sehnsuchtsort. Er ist essenziell. Über 4.000 Ausstellungen – Eintritt kostenlos – werden von Galerien jährlich für etwa 11.000 in- und ausländische Künstler auf eigenes wirtschaftliches Risiko organisiert. Galerien stehen zu ihren Künstlern nicht bloß in einer kommerziellen, sondern in einer nahen, persönlichen Beziehung. So befördern sie im Wechselspiel miteinander öffentliche Anerkennung und wirtschaftlichen Erfolg für ihre Arbeit.
Außenstehende machen sich nicht klar, dass Kunstverkaufen alles andere als ein einfaches Geschäft ist. Befeuert von Medienberichten – die primär die spektakulären Umsätze der internationalen Auktionshäuser oder der Blue-Chip-Galerien in den Blick nehmen – hat sich das Klischee vom reichen Galeristen in steter Partylaune tief eingebrannt. Die Realität sieht anders aus: Die Hälfte der Galerien in Deutschland erwirtschaftet zwischen 50.000 und 200.000 Euro Umsatz – nicht: Gewinn! – im Jahr; nur 14 Prozent erreichen die Schwelle über 500.000 Euro.
Die Finanzkrise von 2008 hatte heftige Auswirkungen auf den Kunstmarkt. Peer Steinbrück, der es wissen muss, hat als Erster prognostiziert: Die Corona-Krise wird schlimmer. Und in der Tat: Die Verkäufe sind auf null gefallen. Rücklagen sind bei den vielen kleinen und mittelständischen Galerien so gut wie nicht vorhanden. Die festen Kosten laufen weiter, Mitarbeiter kommen bestenfalls in Kurzarbeit, Überbrückungskredite – sofern greifbar – werden einen Schuldenberg akkumulieren, der nach der abflauenden Pandemie nicht abschmelzen kann.
In dieser Situation ist das jüngst von der Bundesregierung geschmiedete Maßnahmenpaket für Akteure der Kreativwirtschaft hilfreich. In den kommenden Wochen werden die bereitgestellten Zuschüsse für die ersten drei Monate nach dem Stillstand hoffentlich von vielen Galerien beantragt. Die Stundung von Steuern und Künstlersozialabgaben, die Mäßigung des Insolvenzrechts, ein erhöhter Mieterschutz und weitere Ladungen der „Bazooka“ sind vorübergehend sinnvoll, aber am Ende ein Tropfen auf den heißen Stein. Operation gelungen, Patient tot?
Was kann die (Kultur-)Politik tun? Die Corona-Katastrophe stellt auch für Politiker eine extreme Herausforderung dar. Mit der EU-Ratspräsidentschaft in wenigen Monaten sind Einflussmöglichkeiten verbunden. In Deutschland wurde dem Kunsthandel 2014 als einzigem Kulturwirtschaftszweig die ermäßigte Mehrwertsteuer entzogen. Es folgte ein heftiges Galeriensterben. Hier eine Korrektur vorzunehmen, wäre ein echtes Zeichen der Würdigung der Leistung der Galerien für unser Kulturleben. Und: Es wäre für die Zeit nach den Corona-Soforthilfen eine substanzsichernde Lenkungsmaßnahme mit dem Ziel einer indirekten, langfristigen Förderung der Galerien.
Die Kulturpolitik ist im Bereich der bildenden Kunst auf Institutionen und Urheber fixiert. Der Kunstmarkt wird als dritte schützenswerte Säule nicht nur ausgeblendet, sondern er wurde in den letzten Jahren durch eine Vielzahl an neuen Gesetzen und Regularien extrem strapaziert. Ressentiments und Projektionen scheinen hier die Feder geführt zu haben. Aus dem Raubbau an den zeitlichen und wirtschaftlichen Ressourcen folgte, dass über 80 Prozent der Galeristinnen und Galeristen nicht noch einmal diesen Beruf ergreifen würden – so das bittere Ergebnis einer Umfrage unter Berliner Galeristen im Herbst 2019.
Galerien spielen gegenüber der Kunst eine ähnliche Rolle wie der Verlagsbuchhandel gegenüber der Literatur. Letzterer wird von der Kulturpolitik gefördert. Galerien nicht. Das sollte, müsste sich ändern, wenn der Wille zur Existenzsicherung der Künstler ernst gemeint ist und nachhaltig sein soll.
Die Frankfurter Galerien rund um den Dom begingen ihre Frühjahrs-Eröffnungen analog und geschlossen ohne Publikum. Durch ihre großen Schaufenster kann jeder die Ausstellungen fast vollständig sehen. Und das Licht bleibt jetzt – obwohl sich abends niemand mehr auf den Straßen bewegt – etwas länger an.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.