Das Buch fällt durch das Raster

Corona als kritischer Einschnitt für die Buchbranche in Deutschland

Deutschland Anfang März 2020: Da war die Welt noch in Ordnung. Mit der Absage der Leipziger Buchmesse 2020 änderte sich das schlagartig, denn dieser Schritt überzeugte nicht alle Teilnehmer der Buchbranche. Manche fanden den Schritt völlig übertrieben – immerhin galt Covid-19 ja noch als „etwas schlimmerer Schnupfen“, für andere kam er zu spät. Ausgaben waren bereits getätigt: Programmhefte gedruckt, Hotelzimmer und Züge oder Flüge gebucht. Ausnahmslos alle waren enttäuscht, denn die Buchmesse ist eins der Highlights des Bücherjahres.

 

Jetzt, zwei Wochen nach dem Termin, an dem die Leipziger Buchmesse hätte stattfinden sollen, bestreitet wohl niemand mehr die Sinnhaftigkeit dieses Schritts. Über die Ausfälle der Verlagsverkäufe rund um dieses frühjährliche Großereignis der Buchbranche wurde bereits viel gesprochen, unter anderem unter #bücherhamstern, #virtuellebuchmesse, #onlinebuchmesse … die Hashtags in sozialen Medien waren zahlreich. Unter allen wurde digital gelesen, wurden Bücher vorgestellt und diskutiert.

 

Als Bundesvorsitzende des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller erreichen mich immer mehr angsterfüllte Schicksale meiner Mitglieder. Je nachdem, wie viele Lesungen das betroffene Mitglied geplant hatte, ob es im Theaterbereich – als Autorin, Übersetzer, Übertitlerin – arbeitet oder als zweites Standbein Lektorate oder Übersetzungen für Kleinverlage anfertigt, häufen sich auch hier die Ausfälle. Die Bandbreite der unmittelbaren Auswirkungen ist immens – die Betroffenen berichten von zwischen 20 und 80 Prozent Honorarausfällen. Viele wissen nicht, wie sie bereits im April oder Mai ihre Miete bezahlen sollen, geschweige denn, wie es weitergeht.

 

Mittelfristig gesehen, sind die Schäden schwerer zu beziffern. Das Messeprogramm hat keine Sichtbarkeit erfahren. In einigen Buchhandlungen werden diese Programme bereits vollständig an die Verlage remittiert, um Kosten zu sparen. Verlage selbst haben begonnen, Neuerscheinungen ins Herbstprogramm zu schieben – wo diese Bücher wiederum auf ein bereits durchgeplantes Programm treffen. Ganz zu schweigen davon, dass in vielen Werkverträgen zumindest eine Zahlungsrate an die Veröffentlichung des Buches geknüpft ist und so ein Loch in der Jahresplanung der Autoren entsteht.

 

Mit der sozialen Isolation, der wir uns zum Reduzieren der Infektionsrate unterziehen, wächst auch das Bedürfnis nach E-Books. Man sollte meinen, es würde in Zeiten des häuslichen Rückzugs und Kontaktverbots wieder mehr gelesen. Tatsächlich hat nun der Hauptlieferant von E-Books in Deutschland, Amazon, die Bestellung wegen des Virus für Bücher bis Anfang April zurückgestellt – oder genau genommen „Haushaltswaren, Sanitätsartikel oder andere Produkte mit hoher Nachfrage“ priorisiert. Das Buch fällt durch alle Raster.

 

Buchhandlungen und Verlage reagieren schnell und bieten den Direktversand an – doch diese Kanäle müssen sich die Kunden mühselig erschließen. Die Bücher haben de facto keine Sichtbarkeit mehr. Es entsteht eine Art „unsichtbares Programm“, das publiziert wurde, aber kaum Verkäufe verzeichnet.

 

Der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller unterstützt seine Mitglieder im Augenblick durch Handreichungen über die Dokumentierung von Ausfällen, Kontaktadressen für schnelle Hilfen und natürlich den Kontakt mit Politik und Presse. Unser Vorteil ist, dass wir die ver.di hinter uns wissen, die die Bedürfnisse der Soloselbständigen und Freien an das Kanzleramt kommuniziert. Die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, versprach schnelle Hilfen, die Programme werden hoffentlich schnell umgesetzt.

 

Ich fordere von der Politik eine zügige und unbürokratische Bereitstellung von Mitteln. Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Übersetzerinnen und Übersetzer in Deutschland sind, wie so viele Selbständige auch, unverschuldet in eine tiefe Krise geraten. Die Besonderheit des Kultursektors ist jedoch, dass Kreative oft so prekär leben, dass sie keine Rücklagen bilden können. Die Vergabe von Krediten an Kreative sehe ich kritisch. In vielen Fällen wird das die Insolvenz der Betroffenen nur verzögern. Schnelle Unterstützungsgelder werden gebraucht, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Viele Angebote, gerade Lesungen und Diskussionsrunden, werden nun in den digitalen Raum verlegt. Das ist ein guter Schritt, um die Sichtbarkeit der Kultur auch in Kontaktverbotszeiten herzustellen und neue Räume zu erschließen. Diese Lesungen müssen aber vergütet werden – sei es von den Verlagen, die jetzt wie „selbstverständlich“ von den Autorinnen und Autoren verlangen, Online-Lesungen abzuhalten.

 

Stand heute – 25. März 2020 – hat sich die Situation weiter verschärft. Honorarverträge werden ausgesetzt, Großverlage drücken selbst etablierten Autorinnen und Autoren die Honorare für noch abzuschließende Werkverträge für 2021. Dies geschieht mit Hinweis auf die Unwägbarkeiten durch Corona. Ein solches Verhalten empfinde ich als empörend unsolidarisch.

 

Hier nimmt der Abwärtstrend der Autorenhonorare, der sich in den letzten Jahren ausmachen lässt, eine Beschleunigung an, die in der Branche einen langfristigen Schaden hinterlassen wird.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.

Lena Falkenhagen
Lena Falkenhagen ist Bundesvorsitzende des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller.
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