Lest Bücher und vor allem kauft sie!

Die Frankfurter Buchmesse: zentrales Schaufenster und untrüglicher Seismograf der Buchbranche

In der UNESCO- Konvention zur kulturellen Vielfalt wird unterstrichen, dass Kulturgüter einen Doppelcharakter haben. Sie sind auf der einen Seite Handelsgüter und gehören damit klar der Sphäre der Wirtschaft an. Sie sind auf der anderen Seite aber mehr, sie sind zugleich Träger von Ideen und Werten. In ihnen materialisieren sich künstlerische Ideen und Konzepte. Damit werden sie für jedermann sichtbar, lesbar und erfahrbar. Sie gehören somit zugleich der Sphäre der Kultur an.

 

Der Kunstmarkt und der Buchmarkt sind in meinen Augen die beiden klassischen kulturwirtschaftlichen Branchen, die paradigmatisch für diese beiden Seiten der Kulturwirtschaft stehen. Beim Buchmarkt handelt es sich ohne Zweifel um einen Markt. Die verschiedenen Akteure des Buchmarktes – angefangen bei den Autoren, Literaturagenten, Verlagen, über die Buchhandlungen, egal ob online oder stationär, bis hin zum Endkunden – bewegen sich auf diesem Markt und müssen jeweils ihre Idee oder ihr Produkt dort platzieren. Anders als in der Filmbranche, in der kaum ein Film ohne öffentliche Förderung oder Unterstützung durch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten entsteht, konkurrieren die verschiedenen Akteure des Buchmarktes nicht um öffentliche Fördergelder, sondern um den Endkunden.

 

Die wirtschaftliche Unterstützung erschöpft sich in der Buchbranche hauptsächlich im ermäßigten Mehrwertsteuersatz für gedruckte Bücher und im gebundenen Ladenpreis. Selbstverständlich stehen Unternehmen dieser Branchen – seien es Neugründungen oder auch etablierte Unternehmen – die üblichen Instrumente der Wirtschaftsförderung zur Verfügung, eine „Extrawurst“ gibt es nicht.

 

Ebenso wenig gibt es großangelegte Förderprogramme auf Landes- oder Bundesebene, mit denen die Produktion oder der Absatz von Büchern analog der Filmwirtschaft gefördert werden. Nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber trotzdem für die Empfänger sehr wichtig, sind die Auszeichnungen für Verlage, die fünf Bundesländer vergeben und der von der Kulturstaatsministerin ausgelobte Deutsche Buchhandlungspreis. In der Zukunft will der Bund eine spezielle Förderung für kleine und mittlere Verlage aufbauen, über deren finanziellen Umfang aber noch nichts bekannt ist. Für die Übersetzung deutscher Literatur im Ausland engagieren sich gemeinsam mit der Frankfurter Buchmesse besonders das Auswärtige Amt und das Goethe-Institut.

 

Der Buchmarkt hat in den letzten Jahren wie andere kulturwirtschaftliche Märkte auch nicht zuletzt durch die Digitalisierung große Veränderungen durchlaufen. Die Produktionsprozesse haben sich ebenso verändert wie die Vertriebskanäle und die Ansprache des Publikums. Konzentrationsprozesse im Buchmarkt fanden statt und insbesondere die mittleren Unternehmen stehen vor der Herausforderung sich in der Sandwich-Position zwischen Großverlagen mit mehreren Imprints, also Verlagen im Verlag, und Kleinverlagen zu behaupten. Der stationäre Buchhandel konkurriert mit den immer mächtiger werdenden Online-Händlern wie Amazon und muss sich mit einem eigenen Profil positionieren.

 

Die Veränderungen des Buchmarktes trugen dazu bei, dass laut dem Monitoring-Bericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2017 der Bundesregierung die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 60.379 im Jahr 2010 auf 54.469 im Jahr 2016 sank. Der Buchmarkt gehört damit neben dem Presse- sowie dem Kunstmarkt zu jenen kulturwirtschaftlichen Branchen, in denen Verluste an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung auszumachen sind. Zu den kulturwirtschaftlichen Wachstumsbranchen mit Blick auf den Faktor sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gehören mit einem sehr deutlichen Aufwuchs die Software- und Gameswirtschaft. Ebenfalls ein Wachstum an Beschäftigten können der Markt für darstellende Künste, der Architekturmarkt, die Designwirtschaft, die Rundfunkwirtschaft, der Werbemarkt und die Filmwirtschaft verzeichnen. Ebenso wie die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind auch die Umsätze im Buchmarkt zurückgegangen. Positiv ist hingegen die Zahl der Unternehmensgründungen im Buchmarkt. Hier ist über den genannten Zeitraum von 2010 bis 2016 ein Wachstum an Unternehmen zu verzeichnen. Zu vermuten ist, dass es sich zumindest bei einem Teil der neu gegründeten Unternehmen um solche handelt, die von ehemaligen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nun als Ein-Personen-Unternehmen geführt werden.

Es ist anzunehmen, dass der Druck auf den Buchmarkt anhalten wird. Dies ist auch im Kontext der gesamten Mediennutzung zu sehen. Der Tag hat auch für Leserinnen und Leser nur 24 Stunden, in dem Moment, in dem die Nutzung audiovisueller Inhalte zunimmt, sinkt das verfügbare Zeitbudget zum Lesen von Büchern.

 

Gerade in dieser Umbruchzeit ist die Frankfurter Buchmesse, das zentrale Schaufenster des deutschen Verlagswesens und der untrügliche Seismograf für die Lage der Branche, wichtiger denn je. Hier werden neue Bücher präsentiert, Lizenzen ausgehandelt und internationale Geschäfte angebahnt. Und selbstverständlich ist die Messe ein großer Treffpunkt für alle Branchen rund um das Buch.

 

Der Marktplatz Frankfurter Buchmesse ist aber zugleich ein Kulturort. Während der Buchmesse werden der Deutsche Buchpreis, der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und der Deutsche Jugendliteraturpreis verliehen. Und in der Messe und in Frankfurt präsentieren sich Autoren und Verlage bei Lesungen und vielen kleinen und großen Festen.

 

Die jeweiligen Gastländer auf der Messe vermitteln seit jetzt drei Jahrzehnten einen Eindruck von ihrer jeweiligen (Buch-) Kultur und bieten spannende Einblicke in oftmals unbekannte literarische Welten. Im internationalen Programm der Messe wird nicht nur Literatur aus jenen Ländern und Sprachen geboten, mit denen ohnehin enge Austauschbeziehungen bzw. eine rege Übersetzungstätigkeit besteht, sondern auch mit jenen Literaturen und Sprachen, die weniger präsent sind. Die Förderung von Literatur aus sogenannten Entwicklungsländern ist ein wichtiges Thema.

 

Doch erschöpft sich das kulturelle Engagement der Frankfurter Buchmesse nicht in Lesungen und ähnlichem. Die Frankfurter Buchmesse versteht sich auch als kulturpolitische Messe. Sie tritt mit Nachdruck für das freie Wort ein. Die Messe hat sich darum in diesem Jahr, in dem sich zum 70. Mal die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte jährt, dem Thema Menschenrechte verschrieben. „On the same page“ heißt die Kampagne, mit der die Frankfurter Buchmesse auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aufmerksam macht und ein eindeutiges Statement zur Freiheit des Wortes abgeben will.

 

Dieses Signal macht deutlich, dass die Freiheit des Wortes auch für unbequeme Inhalte gilt. So werden auch in diesem Jahr rechte Verlage wieder auf der Frankfurter Buchmesse ausstellen. Dieses gilt es auszuhalten. Dieses Aushalten muss aber, und das gehört auch zu unserer Freiheit dazu, nicht im Stillen passieren: Protestieren ist erlaubt und notwendig!

 

Die Freiheit des Wortes ist ein hohes Gut. Sich hierfür stark zu machen, ist immer wieder eine Herausforderung. Dass dies im Buchmarkt in einem wirtschaftlichen Umfeld passiert, in dem eben nicht „gefördert wird, was es schwer hat“, sondern sich am Markt behaupten muss, ist umso bedeutsamer.

 

Drum alle, die das Kultur- und Wirtschaftsgut Buch erhalten und pflegen wollen, lest Bücher und vor allem kauft sie!

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2018.

Olaf Zimmermann
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber und Chefredakteur von Politik & Kultur.
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