Alles andere als ein Vergnügen

Die Auswirkungen des Brexit auf den Buchmarkt

Die britische Verlagslandschaft ist erklärtermaßen international orientiert und pflegt eine lange Handelstradition mit Europa und der übrigen Welt. Fragt man britische Verlegerinnen und Verleger, welche Stadt dieser Welt sie am häufigsten besucht haben, so werden sie ausnahmslos mit „Frankfurt“ antworten. Einige rechnen sogar all ihre Reisen zur Buchmesse zusammen, um dann auszurufen: „Du liebe Güte! Ich habe drei ganze Monate meines Lebens in Frankfurt zugebracht! …“

 

Der Brexit ist in Wirtschaftskreisen branchenübergreifend für alle eine große Herausforderung. Eine Herausforderung, über die viele Verlegerinnen und Verleger bereits gesagt ha­ben, dass sie ihnen alles andere als Vergnügen bereite. Aber die Zeit schreitet unaufhaltsam voran, und eines weiß ich – es werden keine Staubflocken durch verwaiste Stände der Frankfurter Buchmesse wirbeln, die einst von britischen Verlagshäusern besetzt waren – denn jene Verlage werden unabhängig vom politischen Klima auch weiterhin zur Buchmesse kommen, die auf eine Initiative zur Versöhnung in der Zeit nach dem letzten Weltkrieg zurückgeht. Unsere Buchmessen und die Beziehungen in der Verlagswelt werden Wege finden, aus dem Brexit gestärkt hervorzugehen, weil sich die Akteure der Verlage dafür einsetzen werden.

 

Die britische Buchbranche hat stets ihre Fühler in die Welt ausgestreckt und wird dies auch weiterhin tun. Keiner weiß genau, was passieren wird, und britische Verlegerinnen und Verleger fordern gemeinsam mit vielen anderen führenden Wirtschaftsvertretern mehr Gewissheit. Eines wissen wir jedoch ganz genau – die britischen Verlagshäuser werden unter Beweis stellen, dass der Geschäftsbetrieb weitergeht.

 

Britische Verlage waren schon immer für neue literarische Stimmen offen – sei es nun der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård oder die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie. Dieser Strom internationaler Stimmen – viele davon aus Europa – wird am 29. März 2019, dem sogenannten „Brexit-Tag“ und Beginn der 14-monatigen Übergangsphase, nicht einfach versiegen.

 

Der britische Buchhandel hat sich sehr dafür eingesetzt, die englischsprachigen Übersetzungen von Romanen deutscher Autorinnen und Autoren wie Bernhard Schlinks „Der Vorleser“, Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“ und Jenny Erpenbecks „Aller Tage Abend“ einem breiten Publikum vorzustellen. Nach wie vor werden diese Werke häufig von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Buchhandel als deren Lieblingsbücher besonders positioniert. Der Brexit wird und sollte nicht auf diesen essenziellen Kulturdialog einwirken.

 

Tragfähige Kulturbeziehungen, bei denen sich Organisationen wie der British Council und natürlich die Buchmessen einbringen, spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle – ja, man könnte sagen, dass sie nach dem Brexit sogar noch wichtiger werden. Warum? Weil sich die Menschen in einer unsicheren Welt auf die Gespräche, Foren und Vernetzungsmöglichkeiten verlassen, die diese Institutionen und Organisationen entstehen lassen und fördern.

 

Das bedeutet jedoch nicht, dass es leicht werden wird, sich durchzumanövrieren, aber die Verlage auf beiden Seiten des Ärmelkanals wollen keinerlei Unterbrechung seit Jahrzehnten bestehender Lizenzgeschäfte und des grenzüberschreitenden Handels – und sie werden hart dafür arbeiten. Zu Beginn gerät man vielleicht in unruhiges Fahrwasser, aber man wird Wege finden, hinderliche Wogen zu umschiffen: Gute Inhalte finden ihren Markt, und daran werden alle mit voller Kraft mitarbeiten, denn so werden die wirtschaftlichen Ziele aller Beteiligten am ehesten erreicht.

 

Es wäre jedoch blauäugig, in diesem Zusammenhang nicht einige der Bedenken wahrzunehmen, die teilweise tatsächlich in Deutschland geäußert wurden. Kurz nach der Entscheidung Großbritanniens, die Europäische Union zu verlassen, ließ Bertelsmann-CEO Thomas Rabe verlauten, dass eine Veränderung des aufsichtsrechtlichen Umfelds die Position Großbritanniens als „Zentrum“ für die Geschäftstätigkeit des Verlags im Bereich geistige Eigentumsrechte gefährden könnte. Interessanterweise wies James Daunt, Geschäftsführer von Waterstones und eindeutiger Befürworter eines Verbleibs des Vereinigten Königreiches in der EU gegenüber dem Branchenmagazin „Publishing Perspectives“ außerdem darauf hin, dass die EU-Mitgliedschaft dazu beitrage, die Ansiedlung einer Kette von Amazon-Läden in Großbritannien zu verhindern. Er merkte an, dass sich die meisten wettbewerbswidrigen Handlungen mit Auswirkungen auf Großbritannien auf europäischer statt auf nationaler Ebene vollzögen. „Amazon wird in Europa sehr viel umfassender beschränkt, als das im Vereinigten Königreich je der Fall war“, so James Daunt, und weiter: „Wenn man Teil Europas ist, haben die europäischen Wettbewerbshüter eine Stimme und ein Mitspracherecht, und sie werden ein Unternehmen, das riesige Verluste macht, um den einzigen anderen Wettbewerber zu verdrängen, vermutlich misstrauisch beäugen.“

Neben Rabe äußerte sich eine weitere deutsche Stimme besorgt. Als Axel Scheffler, Mitautor von „Der Grüffelo“, zum Auftakt der diesjährigen Verleihung der „British Book Awards“ als Illustrator des Jahres ausgezeichnet wurde, nutzte er die Gelegenheit für einen kraftvollen Angriff auf den Brexit, bei dem er den unsicheren Status von in Großbritannien lebenden EU-Bürgern wie ihm hervorhob. Er erhielt stehende Ovationen, was nicht nur die tief empfundenen Gefühle des literaturfreundlichen Publikums für seine leidenschaftlichen Äußerungen widerspiegelt, sondern auch zeigt, wie offen die britische Verlagslandschaft für Menschen aus anderen Ländern ist.

 

Viele größere britische Verlage machen sich Sorgen um die Zukunft ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus EU-Ländern. Außerdem wird viel darüber diskutiert, wie sich der Brexit auf das Lizenzgeschäft auswirken wird. Andrew Franklin, Geschäftsführer von Profile Books, äußerte sich gegenüber dem Magazin „The Bookseller“: „Europa ist unser größter Exportmarkt, und für uns sind exklusive europaweite Rechte ein zentrales Argument. In der Vergangenheit konnten britische Verlage als Teil eines einheitlichen Europas auf Ausschließlichkeit pochen.“ Fällt dieses Argument weg, so Franklin weiter, könne es Bestrebungen geben, den Markt vollständig zu öffnen – und viele in der Branche teilen seine Meinung.

 

Aber die Befürworter des Brexit, die „Leavers“, haben ebenfalls schlagkräftige Argumente auf ihrer Seite. Daniel Hannan, konservativer Abgeordneter im Europäischen Parlament, ist der Auffassung, Papier sei in der EU teurer als anderswo, da „die Überregulierung von Nutzholz durch Brüssel den Preis von Rohstoffen in die Höhe treibt“, und die Literaturagentin Diane Banks drängt die Branche darauf, die liberalen Argumente für ein Verlassen der EU anzuerkennen. Die Verlagsbranche sei „liberal, international orientiert, inklusiv und innovativ“, äußerte sie gegenüber „The Bookseller“. Sie glaubt, diese Qualitäten seien nicht mit einer Institution zu vereinbaren, die „undemokratisch, imperialistisch und von Großunternehmen vereinnahmt ist, mit der sich Angehörige wichtiger Teile der Bevölkerung – die Black, Asian oder Minority Ethnic Communities – nur schwer identifizieren können und die Schwellenregionen wie Afrika und Südamerika durch ihre gemeinsame Agrarpolitik aktiv behindert.“

 

Wie Sie sehen, kochen die Gefühle auf beiden Seiten hoch. Und gerade deshalb ist Kulturdiplomatie so bedeutsam. Ich glaube, dass die kulturellen Bindungen nach dem Brexit noch stärker werden. In unsicheren Zeiten ist das Bedürfnis nach persönlichen Begegnungen und Gesprächen stärker, und britische Verlage sind sich darüber bewusst, wie gut sich Buchmessen dazu eignen, Länder zusammenzubringen. Die Initiative „Market Focus“ der Londoner Buchmesse und das Ehrengastprogramm der Frankfurter Buchmesse sind ausgezeichnete Bühnen für das Verlagswesen und die Kultur anderer Länder und perfekte Beispiele für eine gelungene Kulturdiplomatie.

 

Verlegerinnen und Verleger sind immer und überall für ein Gespräch zu haben; und wenn die letzten Verhandlungen für den Abschied des Vereinigten Königreiches aus der EU abgeschlossen sein werden, wird es für sie noch mehr Gesprächsstoff geben. Hier bei der Londoner Buchmesse wollen wir diese Diskussionen mit unseren vielen Freunden aus der deutschen und der internationalen Verlagslandschaft aktiv gestalten. Wir freuen uns auf unser Wiedersehen in London kurz vor Eintreten des Brexit im kommenden Jahr, genau wie wir uns auf unsere Begegnung in diesem Jahr in Frankfurt freuen, wenn der Brexit noch in weiter Ferne liegt.

 

Der Beitrag ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2018.

Jacks Thomas
Jacks Thomas ist Direktorin der London Book Fair (LBF).
Vorheriger Artikel„Georgia – Made by Characters“
Nächster ArtikelEin kurzes langes Wort