KW 21: Das Grüne Band, Dritter Multidimensionaler-Erinnerungsmonitor, Ost-West-Perspektiven, …

... Digitaltag 2020 online, Was wird in der Corona-Krise für die Kultur getan?, Text der Woche, Altes Zeug: Beiträge zur Diskussion zum nachhaltigen Kulturgutschutz

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

die drastischen Maßnahmen gegen das Coronavirus vermindern nicht nur Krankheits- und Todesfälle durch COVID-19, sondern durch das massive Herunterfahren des Verkehrs und der Industrie in Deutschland wurden die Schadstoffemissionen deutlich gesenkt und die Luftqualität hat sich vor allem in Städten massiv verbessert. Die Gegensätze in den Dingen, die Dialektik, wird hier wieder einmal sichtbar.

 

Ein Paradebeispiel der Dialektik ist das „Grüne Band“. Der fast 1.400 km lange Geländestreifen entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze ist ein Naturparadies, weil es jahrzehntelang eine fast unüberwindliche Grenzanlage mitten durch Deutschland war. Seltene Vögel und Insekten haben hier Räume zum Überleben gefunden, weil nur wenige Menschen, meist Grenzpolizisten, das Gelände betreten durften. Die Grenze war eine unmenschliche brutale Schneise mitten durch das Land, sie trennte Familien, Freunde, Ortschaften und gerade deshalb haben seltene Pflanzen und Tiere hier überleben können.

 

Das Grüne Band ist aber nicht nur die heute noch sichtbare Teilung von Ost- und Westdeutschland, es verläuft weiter im Norden bis zum Eismeer im äußersten Ende Norwegens und im Süden bis zum Schwarzen Meer an der Grenze zur Türkei. Die Gesamtlänge beträgt 12.500 km, wobei es durch 24 Staaten verläuft.

 

Das Grüne Band ist das Überbleibsel des Eisernen Vorhangs, der Osteuropa und Westeuropa über Jahrzehnte hermetisch trennte, es ist das noch sichtbare Zeichen für den „Kalten Krieg“, der schnell zum Heißen hätte werden können, es ist die Grenze zwischen zwei Systemen, dem Kapitalismus und dem Sozialismus, die um den richtigen Weg stritten. Wenn wir an das zwanzigste Jahrhundert erinnern wollen, dann dürfen wir auch diese schmerzhafte Trennung nicht vergessen.

 

Nach dem Fall der Mauer wurden an der ehemaligen innerdeutschen Grenze und an der Grenze zwischen Ost- und Westberlin die Grenzanlagen fast vollständig demontiert. Nichts sollte mehr an die Teilung erinnern. Nur wenige Grenzfragmente sind stehen geblieben oder wurden später rekonstruiert. Ein Beispiel dafür ist die nationale Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße in Berlin. Für das Denkmal wurde ein 70 Meter langes Teilstück der Grenzanlagen an die Bernauer Straße verbracht, weil die originale Grenzmauer, wie fast überall in Berlin, direkt nach der Wende abgerissen wurde. Auch am Grünen Band stehen nur noch wenige Mauerstücke. Der berühmte kleine Ort Mödlareuth, der in der Mitte durch die deutsch-deutsche Grenze geteilt war, gehört zu den wenigen Orten, an denen man noch einen Eindruck von dem Grenzregime erhalten kann, wenn auch hier die Grenzartefakte räumlich zusammengeschoben wurden.

 

Leider wurde es nach dem Fall der Mauer versäumt, einen großräumigen authentischen Ort zu erhalten, um auch nachfolgenden Generationen einen Eindruck der Monstrosität dieses Bauwerkes vermitteln zu können.

 

Das Erinnern an die deutsche Teilung ist offensichtlich nicht nur wegen der fehlenden Artefakte schwer, nur so ist für mich zu erklären, warum es in Berlin kein öffentliches Spezialmuseum zur deutsch-deutschen Teilung gibt und die Erinnerungsarbeit hauptsächlich von kommerziellen Privatmuseen übernommen wird. Und auch die Entscheidung das Freiheits- und Einheitsdenkmal, die berühmte Wippe, vor dem rekonstruierten preußischen Stadtschloss in Berlin und nicht an einem Ort der friedlichen Revolution aufzubauen, ist ein Zeichen für eine zutiefst gestörte deutsch-deutsche kollektive Erinnerung.

 

Das Grüne Band kann diese Versäumnisse nicht heilen, aber es kann in seiner Verbindung von Geschichte und Natur, ein Gefühlraum für die nachfolgenden Generationen sein. Wenn man über den ehemaligen Kolonnenweg läuft, im Gelände noch die Gräben vor den heute demontierten Absperranlagen sieht und gleichzeitig dieses Kleinod der Natur erlebt, kann man trefflich über die Dialektik nicht nur der damaligen Zeit nachdenken.

 

Der Bund für Naturschutz Deutschland (BUND) und der Deutsche Kulturrat kooperieren seit einigen Jahren. Gestartet haben wir unsere Kooperation mit unserer gemeinsamen Kritik an den Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Zusammen sind wir 2016 auf die Straße gegangen und haben erfolgreich gestritten.

 

Zwei Jahre später 2018 haben wir dann mit Unterstützung des Rates für Nachhaltige Entwicklung ein gemeinsames Büro eingerichtet, um eine Brücke zwischen dem Nachhaltigkeitsdiskurs des Natur- und Umweltbereiches und kulturpolitischen Debatten zu schlagen. Intensiv haben wir dabei über das Thema „Heimat“ miteinander gesprochen. Was verbindet die kulturelle Heimat mit der Heimat der Naturbewährung?

 

Jetzt, als nächsten Schritt, haben wir vereinbart, gemeinsam die Bemühungen zu unterstützen, das Grüne Band Deutschland und das Grüne Band Europa als UNESCO-Welterbe in den Kategorien Natur und Kultur zu nominieren.

 

In der kommenden Woche erscheint die neue Ausgabe von Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, mit dem Schwerpunkt „Das Grüne Band“. Ich freue mich sehr, dass Bundesumweltministerin Svenja Schulze bereit war, den Leitartikel für diese Ausgabe zu verfassen.

 

Am Grünen Band ist Zeitgeschichte unmittelbar erlebbar und Erinnerung möglich. Ein Ort auch für die kommenden Generationen, der an Demokratie, Freiheit und Frieden in unserem Land und in ganz Europa erinnert. Dazu wollen wir einen Beitrag leisten, neue Begegnungsorte und attraktive Formen der Erinnerungskultur unterstützen, Menschen zusammenbringen und zeigen, dass Natur und Kultur keine Gegensätze sind. Die Dialektik von Natur und Kultur ist die Stärke des Grünen Bandes.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 

PS. In der Mai-Ausgabe von Politik & Kultur haben wir uns auch mit einem Thema der Erinnerungskultur, dem „Erbe der Industrialisierung“, befasst. 49.186 Mal wurde das Heft alleine von unserem Server heruntergeladen. Hier kann man die Ausgabe auf Papier bestellen. Danke für Ihr Interesse.

 


 
Dritter „Multidimensionaler-Erinnerungsmonitor“

 

Am 7. Mai 2020 wurde der dritte „Multidimensionale Erinnerungsmonitor“ (MEMO) des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (Universität Bielefeld) und der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft veröffentlicht.

 

Die MEMO-Studie beobachtet in regelmäßigem Abstand anhand repräsentativer Umfragen den Zustand und die Entwicklungen der Erinnerungskultur in Deutschland und bildet ab, welche Arten des Umgangs mit Geschichte, welche Einstellungen zu diesem Umgang und welche Erwartungen oder Wünsche an einen zukünftigen Umgang mit der deutschen Geschichte unter den Befragten vorzufinden sind. Mit der dritten Erhebung der Studie können Entwicklungsverläufe in Deutschland weiter nachgezeichnet werden. Darüber hinaus vertieft die dritte Studie Themenschwerpunkte, die in den vorherigen Befragungen teilweise nur angerissen wurden, beispielsweise das Wissen über verschiedene Aspekte des Nationalsozialismus.

 

Multidimensionale Erinnerungsmonitor (MEMO) des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG)
Von Prof. Dr. Andreas Zick, Dr. Jonas Rees, Michael Papendick, Franziska Wäschle
Förderung: Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ)

 

MEMO III – FOKUSBERICHT
Von Michael Papendick, Jonas Rees, Franziska Wäschle & Andreas Zick
Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG)Universität Bielefeld April 2020

 

Mit der Frage, wie die Erinnerungskultur in Zukunft aussehen wird, befasste sich auch die Initiative kulturelle Integration und lud am 28. Januar 2020, einen Tag nach dem 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, zur Tagung ein: Wie wollen wir in Zukunft an die Shoah erinnern? – „Die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist nie abgeschlossen“.

 


 

Ost-West-Perspektiven

 

Im Themendossier werden anlässlich des 30. Jahrestages des Mauerfalls im Jahr 2019 bis zum ebenfalls 30-jährigen Jubiläum der Wiedervereinigung in diesem Jahr Beiträge publiziert, die historische Ereignisse aus DDR und BRD thematisieren, den innerdeutschen Gemütszustand nach der Wende erkunden, persönliche Perspektiven aus Ost und West schildern sowie vieles mehr.

 

Lesen Sie hier die bisher erschienenen Beiträge:

 

 


 

Vorankündigung: 19.06.2020 Digitaltag 2020 online

 

Am 19. Juni findet der diesjährige Digitaltag ganztägig im digitalen Raum statt. Damit reagiert die Initiative „Digital für alle“, die den Digitaltag trägt und der auch der Deutsche Kulturrat angehört, auf die aktuellen Entwicklungen um die Covid-19-Pandemie. Die geplanten Veranstaltungen finden online statt, dabei soll der Hashtag #digitalmiteinander helfen, Menschen in ganz Deutschland miteinander zu verbinden.

 

Ziel ist es, verschiedenste Aspekte der Digitalisierung zu beleuchten, Chancen und Herausforderungen zu diskutieren, einen breiten gesellschaftlichen Dialog anzustoßen und damit die digitale Teilhabe zu fördern.

 

Der Deutsche Kulturrat ist von Beginn an Teil des Partnernetzwerkes der Initiative „Digital für alle“. Privatpersonen, Vereinen, Unternehmen und der öffentlichen Hand steht es offen, mit eigenen Aktionen und Online-Events am Digitaltag teilzunehmen. Mögliche Formate sind Webcasts, Webinare, Live-Streams, Online-Beratungen, virtuelle Führungen, Tutorials oder Hackathons. Aktionen können unter www.digitaltag.eu angemeldet werden.

 

Mehr als 25 Partner haben sich zu einem breiten gesellschaftlichen Bündnis zusammengeschlossen, um deutschlandweit einen jährlich stattfindenden Aktionstag zu digitalen Themen durchzuführen und digitale Teilhabe für alle zu fördern.

 


 

Aktualisiert! Corona-Krise: Was wird für die Kultur getan, was muss noch getan werden?

 

Einschätzungen, Auswirkungen, Maßnahmen, Forderungen: Wie ist der Kulturbereich von der Corona-Pandemie betroffen?

 

Hier finden Sie alle Pressemitteilungen des Deutschen Kulturrates im Zusammenhang mit der Corona-Krise, den Newsletter Corona versus Kultur sowie weitere nützliche Informationen und Meldungen.

 

Newsletter Corona versus Kultur

Newsletter des Deutschen Kulturrates für alle von Einschränkungen betroffenen Künstler, kulturwirtschaftlichen Unternehmen, öffentlichen und privaten Kultureinrichtungen.

 

Pressemitteilungen

Hier finden Sie alle Pressemitteilungen, die der Deutsche Kulturrat im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie veröffentlich hat.

 

Kulturratsmitglieder zur Corona-Krise
Viele Mitgliedsverbände der Sektionen informieren ihre Mitglieder über spezifische Herausforderungen in der jeweiligen künstlerischen Sparte oder im Arbeitsbereich. Hier kommen Sie zu den Informationen der Verbände und Institutionen.

 

Hilfsmaßnahmen des Bundes

Finden Sie hier Informationen zu den Maßnahmen des Bundes für Solo-Selbständige und Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft.

 

Hilfsmaßnahmen der Länder

Finden Sie hier Informationen zu den Maßnahmen der einzelnen Bundesländer im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie.

 

Hilfen aus dem Kultur- und Medienbereich

Hier finden Sie Informationen zu den Hilfsmaßnahmen des Kultur- und Medienbereichs für den Kultur- und Medienbereich.

 


 

Text der Woche: David Johst „Schwieriges Erbe – Der Umgang mit politischen Denkmälern der DDR nach 1989“

 

Die politischen Denkmäler der DDR zeugten nach 1989 aufgrund ihrer Materialität und Zentralität vom Legitimationsanspruch des DDR-Staates, sie ließen sich nicht wie die zahlreichen Traditionskabinette, Porträts, Fahnen und Wimpel geräuschlos und ohne großen Aufwand beiseite räumen und sie stehen in vielen Fällen heute noch an ihrem Ort.

 

Die gesellschaftliche Debatte um den richtigen Umgang mit diesen Denkmälern hält an, auch wenn sich der Ton verändert hat, in dem über 30 Jahre nach der politischen Wende über DDR-Denkmäler diskutiert wird, der Ton ist sachlicher geworden, der Umgang gelassener.
Dazu beigetragen hat sicherlich auch die unvoreingenommene Neugierde einer Generation, für die die DDR längst Geschichte darstellt. Ganz anders stellte sich die Situation kurz nach der Wende dar. Viele Menschen fühlten sich von den sichtbaren Zeichen des untergegangenen SED-Staates provoziert, andere wiederum sahen im Ruf nach Abriss und Beseitigung einen Angriff auf ihre ostdeutsche Herkunft, ihre Identität.

 

David Johst ist Historiker an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

 

Lesen Sie den Text hier!

 


 

Altes Zeug: Beiträge zur Diskussion zum nachhaltigen Kulturgutschutz

 

Der Schutz von Kulturgut ist eine vielfältige und facettenreiche Aufgabe, das wird bei der Lektüre der in diesem Band zusammengestellten Beiträge deutlich.

 

  • Es geht um die Aus- und die Einfuhr von Kulturgut, also den Handel.
  • Es geht um den Schutz des archäologischen Kultur-erbes, insbesondere im Nahen Osten.
  • Es geht um die Gebäude, in denen Kulturgut aufbewahrt wird sowie generell um den physischen Schutz von Kulturgut sowie die Chancen, die die Digitalisierung von Kulturgut bietet.
  • Es geht um die Begehrlichkeiten von Finanzverantwortlichen, Kulturgut aus öffentlichem Besitz bei knappen Kassen zu verkaufen.
  • Es geht um den verantwortlichen Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut, um Provenienzforschung sowie die Restitution von Kulturgut.
  • Es geht um die Forschung zum Kulturgut in den Kleinen Fächern an den Universitäten.

 

Und last but not least geht es um den Schutz des Immateriellen Kulturerbes, der seit einigen Jahren an Bedeutung gewonnen hat.

 

 

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