Gemeinsame Verantwortung: Für sicheres und respektvolles Arbeiten in Kunst, Kultur und Medien

Positionspapier des Deutschen Kulturrates

Berlin, den 26.09.2024. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, legt mit dem Papier „Gemeinsame Verantwortung: Für sicheres und respektvolles Arbeiten in Kunst, Kultur und Medien“ eine Positionierung zum wertschätzenden Arbeiten und respektvollen Miteinander im Kunst-, Kultur- und Medienbereich vor.[1]

 

In Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz wird unmissverständlich festgestellt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Dieser Grundsatz, der auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen festgelegt ist, gilt für alle Menschen weltweit. Die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, ist damit unverhandelbare Voraussetzung für das Zusammenleben in unserer freiheitlichen Demokratie und gilt selbstverständlich auch für die Arbeitswelt. Hieraus folgt die Verpflichtung, eine von Anerkennung, Respekt und Wertschätzung geprägte Arbeitskultur zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Individuelle Identität muss respektiert und die daraus resultierende Vielfalt unterstützt werden.

 

Das Positionspapier:

 

  • soll die Diskussion innerhalb des Kunst-, Kultur- und Medienbereichs, in den Betrieben, Einrichtungen, Verbänden und Vereinen vorstellen und ihre Fortsetzung anregen,
  • will die unterschiedlichen Akteur*innen für das Thema sensibilisieren und die Bedeutung eines respektvollen Miteinanders in den verschiedenen Arbeitszusammenhängen unterstreichen,
  • geht auf Spezifika des Kunst-, Kultur- und Medienbereiches ein, will den Kulturwandel weiter vorantreiben und Veränderungsprozesse anstoßen,
  • benennt die Verantwortung von Führungskräften, von Beschäftigten und Soloselbstständigen sowie von ehrenamtlich und freiwillig Engagierten für respektvolles und diskriminierungsfreies Arbeiten im Kunst-, Kultur- und Medienbereich. Verantwortung darf nicht abgeschoben, sondern muss von allen Beteiligten wahrgenommen werden,
  • unterstreicht – vor allem mit Blick auf sexualisierte Gewalt – die Bedeutung von Prävention und von internen sowie spartenübergreifenden externen Vertrauensstellen, die informieren und Betroffene beraten.

 

Diskriminierung, Machtmissbrauch, Mobbing, jede Form von Gewalt, auch sexualisierte Gewalt, sowie gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sind gesamtgesellschaftliche Phänomene, die auch den Kunst-, Kultur- und Medienbereich betreffen. Sie können erhebliche negative Auswirkungen auf die langfristige körperliche sowie geistige Gesundheit und das Wohlbefinden der betroffenen Personen, auf ihre Produktivität und Kreativität haben. Bedrängnis und Übergriffe haben im Kunst-, Kultur- und Medienbereich keinen Platz. Ziel muss ein respektvolles und diskriminierungsfreies Arbeiten sein, getragen von dem Bewusstsein, dass Diskriminierungssensibilität der erste Schritt für Diskriminierungsfreiheit ist. Deshalb reflektieren die Verbände, Unternehmen und Institutionen die eigenen Herausforderungen und zeigen auf, welche Handlungsmöglichkeiten bereits bestehen und welche noch entwickelt werden müssen.

 

Das Positionspapier ist in folgende Abschnitte gegliedert:

 

  • Gegebenheiten des Kunst-, Kultur- und Medienbereiches
  • Rechtliche Rahmenbedingungen
  • Selbstverpflichtungen und betriebsinterne Maßnahmen
  • Verantwortung von Führungskräften
  • Verantwortung von Beschäftigten und Soloselbstständigen
  • Prävention von sexualisierter Gewalt
  • Interne und externe Beratungs- und Beschwerdestellen
  • Fazit

 

Gegebenheiten des Kunst-, Kultur- und Medienbereichs

 

Kunst, Kultur und Medien bieten eine Plattform für gesellschaftliche Debatten und geben Impulse in die sich wandelnde Gesellschaft. Der Kunst-, Kultur- und Medienbereich wirkt meinungsbildend, sinn- und gemeinschaftsstiftend, er setzt Themen und hat große Strahlkraft. Er trägt damit eine besondere gesamtgesellschaftliche Verantwortung und kann eine Vorbildfunktion haben.

 

Die Betriebsgrößen im Kunst-, Kultur- und Medienbereich variieren, sie beginnen bei Kleinstunternehmen mit ein oder zwei Erwerbstätigen und reichen bis zu börsennotierten Unternehmen mit hunderten Beschäftigten. Ebenso unterscheiden sich die Erwerbsformen. Sie reichen von Soloselbstständigen, hybrid Erwerbstätigen, abhängig Beschäftigten bis zu Beamt*innen. Häufig sind Arbeitsverhältnisse projektbezogen oder zeitlich befristet. Teilweise konkurrieren viele qualifizierte Anwärter*innen um wenige Arbeitsplätze, was zu einem Gefühl der ständigen Ersetzbarkeit führen kann. Eine weitere branchenspezifische Besonderheit liegt in dem oftmals sehr persönlichen Umgang im Arbeitsumfeld. Die Grenze zwischen Beruflichem und Privatem kann verschwimmen. Dies kann die professionelle Distanz erschweren und einen Nährboden für Fehlverhalten bis hin zu Machtmissbrauch bieten.

 

Eine Besonderheit des Kunst-, Kultur- und Medienbereichs besteht darin, dass in einigen künstlerischen Feldern Kinder und Jugendliche sehr früh, teils im künstlerischen Frühstudium, auf den Beruf vorbereitet werden, was eine besondere Verantwortung des Lehrpersonals im Umgang mit den minderjährigen Studierenden verlangt. Das Klassenprinzip des regulären künstlerischen Studiums sowie der Einzelunterricht fordern Rollenbewusstsein und eine unmissverständliche Ablehnung von Diskriminierung, Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt seitens der Hochschulen und der Lehrenden.

 

Eine weitere Spezifik ist, dass in einigen Sparten Kinder und Jugendliche unter Beachtung der geltenden Jugendschutzbestimmungen mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten arbeiten. Hier müssen die jeweils Verantwortlichen aufgrund der Schutzbedürftigkeit von Kindern und Jugendlichen in besonderem Maße für respektvolles und diskriminierungsfreies Arbeiten Sorge tragen.

 

Das bürgerschaftliche Engagement ist im Kulturbereich ein bedeutsamer Faktor. Bürger*innen sind in Vereinen selbst künstlerisch aktiv, organisieren Veranstaltungen oder fördern Kunst und Kultur. Auch hier muss respektvolles Arbeiten unter den ehrenamtlich und freiwillig Engagierten, gegenüber Künstler*innen sowie im Verhältnis von ehren- und hauptamtlich Tätigen gewährleistet sein.

 

Respektvolles und diskriminierungsfreies Arbeiten ist in den unterschiedlichen Kontexten eine fortwährende Aufgabe und fordert von allen Beteiligten stete Aufmerksamkeit.

 

Rechtliche Rahmenbedingungen

 

Die Grundlage jeglicher Form der Zusammenarbeit sind rechtliche Rahmenbedingungen, die im Arbeitsrecht, im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), auch Antidiskriminierungsgesetz genannt, und in allgemeinen Gesetzen, wie dem Strafgesetzbuch, formuliert sind.

 

Im Hinblick auf das hier in Rede stehende Thema ist vor allem das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) als gesetzlicher Rahmen zu beachten. Ziel des seit dem Jahr 2006 geltenden AGG ist es, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“[2] Es verbietet u. a. die sexuelle Belästigung als eine Form der Diskriminierung am Arbeitsplatz. Betroffene haben nach AGG

 

  • ein Beschwerderecht (§ 13 AGG),
  • ein Leistungsverweigerungsrecht (§ 14 AGG) sowie
  • einen Anspruch auf Entschädigung und Schadensersatz (§ 15 AGG).

 

Das AGG verpflichtet Unternehmen, Schutzmaßnahmen zu ergreifen und – unabhängig von ihrer Betriebsgröße – eine niedrigschwellig zu erreichende Beschwerdestelle einzurichten. Bei der Ausgestaltung der Beschwerdestelle sind die Betriebe frei. Im AGG werden der Schutz von Beschäftigten vor Benachteiligung, der Schutz vor Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr sowie Sonderregelungen für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse geregelt. Wird gegen die Regelungen des AGG verstoßen, können sich die Betroffenen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden. Einzelne Länder haben staatliche Ombudsstellen errichtet. Ferner unterstützen sie ähnlich den Kommunen nicht-staatliche Stellen, die im Bereich Antidiskriminierung aktiv sind. Darüber hinaus können Betroffene rechtlich gegen die Diskriminierung vorgehen.

 

Im 13. Abschnitt des Strafgesetzbuchs (§§ 174 – 184i StGB) ist geregelt, welches Verhalten eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung darstellt. Weitere Straftatbestände, die für die Arbeitswelt relevant sein können, sind Beleidigung (§§ 185-200 StGB), Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimbereiches (§§ 201-206 StGB) sowie Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit (§§ 223-231 StGB).

 

Auf internationaler Ebene wurde 2019 mit der ILO[5]-Konvention 190 ein internationales Übereinkommen gegen Gewalt und sexuelle Belästigung in der Arbeitswelt beschlossen, das internationale Mindestnormen vorsieht. Dieses Abkommen wurde mit dem „Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 190 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 21.09.2019 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt“[6] vom 30.05.2023 in nationales Recht umgesetzt. Speziell mit Blick auf die Arbeitsbedingungen in der Kunst- und Unterhaltungsindustrie haben sich im Februar 2023 im Rahmen von Verhandlungen bei der ILO in einer Abschlusserklärung alle Parteien (Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen und Regierungen)[7] darauf verständigt, starke Arbeitsaufsichtssysteme zu gewährleisten, um ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld zu fördern – einschließlich der wirksamen Bekämpfung von Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz.

 

Selbstverpflichtungen und betriebsinterne Maßnahmen

 

In den verschiedenen Organisationen, Institutionen, Hochschulen, Betrieben, Verbänden und Unternehmen findet bereits seit einiger Zeit ein Verständigungs- und Kommunikationsprozess darüber statt, wie diese Regelungen branchenspezifisch umgesetzt werden können und wie respektvolles und diskriminierungsfreies Arbeiten gelingen kann. Die Institutionen, Hochschulen, Betriebe, Verbände und Unternehmen

 

  • formulieren eigene Ziele für respektvolles, diskriminierungsfreies Arbeiten und erarbeiten branchenspezifische Regelwerke wie z. B. Verhaltenskodizes, Selbstverpflichtungen, Richt- und Leitlinien oder Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen,
  • evaluieren bestehende Regelwerke, diversifizieren sie und passen sie bei Bedarf dem jeweiligen Stand der Debatten – inner- und außerhalb des Kunst-, Kultur- und Medienbereiches – an,
  • ergründen die Ursachen von Diskriminierung, Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt, arbeiten Vorfälle und Missstände auf, ergreifen Maßnahmen zur Sensibilisierung und Bewusstseinsschärfung sowie zur Prävention,
  • schulen ihre Mitarbeiter*innen und bieten Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen, Coaching und Ähnliches an,
  • erstellen Schutzkonzepte für die Besonderheiten pädagogischer Arbeit,
  • treffen in Bereichen, in denen Künstler*innen eine besonders exponierte Position bei der Darstellung von Intimität haben, spezifische Vereinbarungen oder Vorkehrungen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte.

 

Die Prozesse sind so unterschiedlich wie der Kunst-, Kultur- und Medienbereich heterogen ist. Sie eint, dass auf konkrete Maßnahmen in den unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen verwiesen wird.

 

Der Deutsche Kulturrat will mit diesem Positionspapier die bestehenden Aktivitäten insgesamt sichtbar machen, seine Mitglieder und weitere Akteur*innen bestärken, die eigenen Anstrengungen für respektvolle und diskriminierungsfreie Zusammenarbeit im jeweiligen Arbeitsumfeld zu konkretisieren, fortzuführen und zu intensivieren.

 

Verantwortung von Führungskräften

 

Die Mehrzahl der Erwerbstätigen im Kunst-, Kultur- und Medienbereich ist abhängig beschäftigt, dies gilt sowohl für den öffentlich geförderten Kultursektor als auch für die Kultur- und Kreativwirtschaft.[9] Kunst-, Kultur-, Medienproduktion und -vermittlung sind arbeitsteilige Prozesse; die Hierarchien sind wie auch die Größe von Betrieben und Einrichtungen unterschiedlich ausgeprägt.

 

Die Verantwortung für respektvolles und diskriminierungsfreies Arbeiten liegt bei allen Beteiligten. Führungskräfte tragen – unabhängig von der Führungsebene – aufgrund der ihnen obliegenden Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeiter*innen eine besondere Verantwortung dafür, dass die Regeln für respektvolles und diskriminierungsfreies Arbeiten innerhalb der Teams eingehalten und angemessene Maßnahmen ergriffen werden, wenn dies nicht der Fall ist. Sie brauchen dafür Fachwissen und Handlungssicherheit. Gleichzeitig haben sie diesbezüglich in ihrem eigenen Handeln gegenüber Angestellten, Auftragnehmer*innen, freien Mitarbeiter*innen sowie ggfs. ehrenamtlich sowie freiwillig Engagierten eine Vorbildfunktion.

 

Herausforderungen an Führung in der Kultur

 

Führungskräfte im Kunst-, Kultur- und Medienbereich haben oftmals mehrere Funktionen inne: sie sind selbst künstlerisch tätig und damit Teil des kreativen Prozesses, sie tragen Verantwortung für das künstlerische Gelingen und für den ökonomischen Erfolg, sie sind gegenüber Mitarbeiter*innen fürsorgepflichtig. Fehlen diesen Führungskräften notwendige Führungs- und Kommunikationskompetenzen, Rollenklarheit und -bewusstsein, so kann dies zu unerwünschten Konfliktsituationen in der Arbeit führen. Eine zusätzliche Herausforderung besteht darin, dass Beschäftigungsverhältnisse oftmals projektbezogen oder zeitlich befristet sind bzw. mit Soloselbstständigen zusammengearbeitet wird. Die hieraus entstehenden ökonomischen Unsicherheiten der Erwerbstätigen können Machtgefälle begünstigen. Um zu verhindern, dass Machtmissbrauch als „besonderes“ Führungsverhalten entschuldigt wird, ist es erforderlich, sich mit Hierarchie und Autorität, mit Entscheidungskompetenz und Befugnissen sowie mit Führungskultur und Machtstrukturen differenziert auseinanderzusetzen.

 

Reflexion über Führung

 

Viele Kulturverbände, -unternehmen und -institutionen haben bereits auf branchenspezifische Herausforderungen reagiert. Sie reflektieren, was „gute Führung“ im jeweiligen Arbeitsfeld bedeutet und bieten externe oder interne Fort- und Weiterbildungen für Führungskräfte an, damit diese Handlungssicherheit gewinnen. Dabei geht es neben Managementqualitäten auch um Fragen des Führungsstils, der Personalführung sowie um respektvolles, machtkritisches und diskriminierungsfreies Arbeiten. Weitere Fragestellungen sind die bessere Vereinbarkeit von Elternschaft bzw. Care-Arbeit und Führungsaufgaben oder auch kollektive Führung, um Macht und Verantwortung zu teilen.

 

Auswahl von Führungskräften

 

Die Auswahl von Leitungspersonal in öffentlichen Kultureinrichtungen oder auch in künstlerischen Hochschulen obliegt nicht den Institutionen allein. Die Kommunen, das Land oder der Bund als Rechtsträger sind in den Entscheidungsprozess eng eingebunden bzw. treffen die letzte Entscheidung. Umso wichtiger ist es, dass auch auf dieser Seite die Sensibilität wächst, dass künstlerische Exzellenz noch kein Garant dafür ist, eine Führungsposition verantwortlich auszufüllen. Daher müssen bei der Auswahl der Führungskräfte neben der künstlerisch-fachlichen Eignung weitere Qualifikationen wie Führungskompetenz oder Managementfähigkeiten wesentlich berücksichtigt werden.

 

Der Deutsche Kulturrat stellt fest, dass Unternehmen, Einrichtungen, Hochschulen und Verbände die besonderen Herausforderungen von Führung im Kunst-, Kultur- und Medienbereich intensiv reflektieren. Sie bieten sowohl interne als auch externe Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für Führungskräfte und für Mitarbeiter*innen, die eine Führungsposition anstreben, an. Hierzu zählen auch Mentoringprogramme von Verbänden und Unternehmen zur Förderung von Führungskräften[10]. Zudem wird eine klare Haltung für ein respektvolles und diskriminierungsfreies Miteinander eingenommen. Es kommt allerdings darauf an, diese Haltung in der Organisationsentwicklung sowie am Arbeitsplatz umzusetzen.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert Verbände, Einrichtungen und Unternehmen, die sich bislang noch nicht mit dem Thema Führung im weiteren Sinne befasst haben, auf, dieses nachzuholen und vorhandene Lücken zu schließen. Bund, Länder und Kommunen als Rechtsträger von Kultureinrichtungen sind gefordert, bei der Auswahl von Leitungskräften nicht nur die künstlerische Exzellenz in den Vordergrund zu stellen, sondern auch Führungskompetenz einzufordern.

 

Verantwortung von Beschäftigten und Soloselbstständigen

 

Die Schaffung und Aufrechterhaltung eines positiven, respektvollen und diskriminierungsfreien Arbeitsumfelds sind nicht allein Aufgabe der Führungskräfte. Alle im Kunst-, Kultur- und Medienbereich Tätigen können und müssen ihren Teil dazu beitragen. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass sich die Mitarbeitenden an die in Selbstverpflichtungen oder Betriebs- und Dienstvereinbarungen festgelegten Werte und Verhaltensregeln halten.

 

Soloselbstständige, abhängige Beschäftigte und andere im Kunst-, Kultur- und Medienbereich Tätige haben sich in Berufsverbänden, in Gewerkschaften, in Netzwerken oder Arbeitsgemeinschaften zusammengeschlossen. Sie ermächtigen sich selbst, gründen Initiativen, tauschen sich aus, machen auf Missstände und Probleme in der Arbeitswelt aufmerksam und sie treten gegenüber den Auftrag- bzw. Arbeitgeber*innen sowie der Öffentlichkeit für ihre Interessen ein. Sie üben Solidarität untereinander.

 

Gewerkschaften existieren auch im Kulturbereich bereits seit mehr als einhundert Jahren[11]. Gewerkschaften leisten Rechtsberatung und unterstützen ihre Mitglieder bei juristischen Auseinandersetzungen. Sie handeln mit Arbeitgeberorganisationen oder einzelnen Arbeitgeber*innen Tarifverträge aus, in denen neben dem Entgelt auch Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit geregelt werden. Regeln zum respektvollen Zusammenarbeiten und die entsprechenden Vorgaben des AGG werden oftmals auf betrieblicher Ebene im Rahmen von Betriebs- oder Dienstvereinbarungen umgesetzt und weiter konkretisiert. Hier geht es um konkrete Fragen des Miteinanders im betrieblichen Alltag. Vertrauensleute sind Ansprechpartner*innen für die Beschäftigten und setzen sich für die in Gesetzen, Tarifverträgen oder betrieblichen Vereinbarungen verbrieften Rechte der Kolleg*innen ein.

 

Für Soloselbstständige stellt es eine besondere Herausforderung dar, Ehrenamt und Karriere zu verbinden. Das unbezahlte Engagement in Gewerkschaften, Initiativen, Netzwerken oder auch Berufsverbänden kann dazu führen, dass die selbstständige Arbeit nicht mit voller Kraft verfolgt werden kann, was wiederum wirtschaftliche Nachteile nach sich zieht. Ebenso scheuen manche davor zurück, sich berufspolitisch zu positionieren, um keine beruflichen Nachteile zu erleiden. Überdies gelten die Normen des AGG im Grundsatz nicht für Soloselbstständige.

 

Der Deutsche Kulturrat bestärkt die Mitarbeitenden und Soloselbstständigen, sich aktiv in die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und ihres gesamten Umfeldes einzubringen, sich gegenseitig zu unterstützen und Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu nutzen. Niedrigschwellige und kostengünstige Fort- und Weiterbildungsangebote gilt es auszubauen.

 

Prävention von sexualisierter Gewalt

 

Neben der konkreten Gestaltung der Arbeitsbeziehung kommt der Prävention sexualisierter Gewalt im Kunst-, Kultur- und Medienbereich besondere Bedeutung zu. Der erste Schritt, ist ein Bewusstsein für sexualisierte Gewalt zu schaffen und haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter*innen zu sensibilisieren. Im zweiten Schritt gilt es, entsprechende Präventionsmaßnahmen zu ergreifen und diese im Arbeitsalltag umzusetzen. Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen der Belegschaften bzw. ehrenamtlich und freiwillig Tätigen unterstützen den Prozess.

 

In einigen Segmenten im Kunst-, Kultur- und Medienbereich ist körperliche Nähe in der Zusammenarbeit mit Kolleg*innen unumgänglich. In Proben- und Übungsprozessen, in der Lehre, auf und hinter der Bühne sowie am Set wird häufig auf engem Raum zusammengearbeitet. Berührungen können zum Alltag gehören. Ist körperlicher Kontakt notwendig, muss dieser in beiderseitigem Konsens erfolgen und verlangt besondere Sensibilität. Das Bewusstsein hierfür muss im Kunst-, Kultur- und Medienbereich geschärft werden. Vor allem im Bereich der Darstellenden Künste können bspw. Intimitätskoordinator*innen zwischen der Vision der Regisseur*innen und dem Schutzbedürfnis der darstellenden Personen vermitteln. Dazu ist es wichtig, insbesondere in sensiblen Arbeitsvorgängen, in denen bspw. grenzüberschreitende Szenen dargestellt werden, auf gegenseitige Einvernehmlichkeit zu achten.

 

Kulturelle Kinder- und Jugendbildung

 

Die kulturelle Kinder- und Jugendbildung trägt besondere Verantwortung beim Schutz junger Menschen vor sexualisierter Gewalt. Einige Dach- und Fachverbände haben Schutzkonzepte entwickelt, die als Vorbild für lokale Träger und Vereine dienen. Bei der Beantragung von Fördermitteln aus der Jugendhilfe wird teilweise die Vorlage eines entsprechenden Schutzkonzeptes verlangt. Unabhängig von den förderrechtlichen Vorgaben sollte die Entwicklung und Anwendung von Schutzkonzepten aus eigener Verantwortung erfolgen. Vorhandene Schutzkonzepte werden kontinuierlich angepasst und weiterentwickelt. Zur praktischen Umsetzung bzw. Weiterentwicklung von Schutzkonzepten in den jeweiligen Vereinen oder Institutionen werden Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen angeboten. Darüber hinaus wird über die Hilfsangebote der Unabhängigen Beauftragten zu Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs sowie weitere Anlaufstellen informiert. Beim vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Programm „Kultur macht stark – Bündnisse für Bildung“ wird künftig empfohlen, dass Honorarkräfte, die mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten, ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen.

 

Staatliche Kunst- und Musikhochschulen

 

Die Mehrzahl der staatlichen Musik- und Theaterhochschulen sowie Kunsthochschulen hat in Richtlinien, Leitlinien und ähnlichen Papieren dargelegt, dass sie gegen jedwede Form sexualisierter Gewalt vorgehen. An den Hochschulen wurden entsprechende Beschwerde- bzw. Beratungsstellen etabliert. Über die betreffenden Hochschulen hinaus findet in den Zusammenschlüssen der Rektor*innen bzw. Studiengangsleitungen ein intensiver Austausch statt, der beispielhaft auch in den europäischen Kontext getragen wird. Trotz dieser Erklärungen mangelt es oftmals an der konkreten Umsetzung in den Hochschulen, insbesondere im Lehrkörper. Beschwerde- bzw. Beratungsstellen sind unzureichend ausgestattet und es fehlt an entsprechenden Fort- und Weiterbildungsangeboten für die Mitarbeiter*innen dieser Stellen.

 

Fort- und Weiterbildung

 

Verbände, Unternehmen und Institutionen führen Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen durch, um sexualisierter Gewalt und Diskriminierung vorzubeugen. Viele Maßnahmen richten sich vorwiegend an Führungskräfte, damit sie für das Thema sensibilisiert werden und entsprechende Maßnahmen ergreifen können. Weitere Zielgruppen sind Personalverantwortliche, Betriebs- bzw. Personalräte, Mitarbeiter*innen von Beschwerdestellen oder andere Interessierte. Entscheidend bei diesen Fortbildungsmaßnahmen ist die Schärfung des Bewusstseins sowie die Befähigung zum Handeln, wenn sexualisierte Gewalt oder Diskriminierung im haupt- und ehrenamtlichen Kontext festgestellt wird. Aufgrund der großen Bedeutung zeitlich befristeter Projekte gilt es, ein besonderes Augenmerk darauf zu richten, auch hier die Teilnahme an entsprechenden Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen.

 

Der Deutsche Kulturrat stellt fest, dass ein Problembewusstsein im Kunst-, Kultur- und Medienbereich besteht und aktiv gegen Diskriminierung und sexualisierte Gewalt vorgegangen wird. Gleichwohl muss das Bewusstsein in der Breite noch weiter geschärft werden. Bestehende Umsetzungsdefizite müssen behoben werden.

 

Der Deutsche Kulturrat sieht die Erwerbstätigen im Kunst-, Kultur- und Medienbereich sowie ehrenamtlich und freiwillig Engagierte in der Verantwortung, respektvolles und diskriminierungsfreies Arbeiten jeden Tag zu leben und dabei der Prävention besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Niedrigschwellige und vor allem kostengünstige Fort- und Weiterbildungsangebote können hier kontinuierlich unterstützen.

 

Interne und externe Beratungs- und Beschwerdestellen

 

Interne Beratungs- und Beschwerdestellen

 

Die Einrichtung von internen Beschwerdestellen und das Ergreifen von angemessenen Schutzmaßnahmen gemäß dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist keine freiwillige Entscheidung, sondern eine gesetzliche Vorgabe. Viele Unternehmen, Verbände und Einrichtungen aus dem Kunst-, Kultur- und Medienbereich haben die gesetzlichen Vorgaben umgesetzt. Soweit ein Umsetzungsdefizit besteht, muss dieses zeitnah behoben werden. Gleichwohl darf nicht außer Acht gelassen werden, dass insbesondere bei Betrieben mit sehr wenigen Beschäftigten[13] die Anonymität bei Beschwerden kaum zu gewährleisten ist. Darüber hinaus sehen Soloselbstständige, die nicht in den Betrieb eingebunden sind, betriebsinterne Beschwerdestellen nicht als richtige Ansprechpartner, umso wichtiger sind für sie externe Beratungs- und Beschwerdestellen.

 

Neben den Beschwerdestellen gemäß AGG arbeiten in öffentlichen Kultureinrichtungen sowie in öffentlich-rechtlichen Sendern Gleichstellungsbeauftragte, die für diese Aufgabe ganz oder zumindest teilweise von ihren betrieblichen Aufgaben freigestellt werden können. Eingeführt wurde diese Funktion, um die Gleichstellung von Frauen und Männern voranzutreiben. Inzwischen wurde in einigen Institutionen das Aufgabenspektrum um Antidiskriminierung allgemein oder Einsatz für Inklusion erweitert bzw. zusätzliche Beauftragte wie z. B. Diversitätsbeauftragte für die letztgenannten Aufgaben etabliert. Werden in einem Betrieb mehr als fünf schwerbehinderte Erwerbstätige nicht nur vorübergehend bzw. mindestens 100 Personen beschäftigt, muss ein Schwerbehindertenvertreter*in gewählt werden, der/die sich ehrenamtlich für die Belange der Schwerbehinderten einsetzt. Einige Unternehmen haben ferner Compliance-Beauftragte oder auch externe Ombudsstellen eingerichtet. Um die Mitarbeiter*innen, die Aufgaben als Beauftragte wahrnehmen, zu qualifizieren bzw. zu unterstützen, führen Unternehmen und Institutionen aus dem Kunst-, Kultur- und Medienbereich, teilweise auch unter Zuhilfenahme von externen Berater*innen, im Rahmen der Organisationsentwicklung Schulungen zum respektvollen Arbeiten und diskriminierungsfreien Miteinander durch.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert die Unternehmen und Institutionen, bei denen noch Defizite hinsichtlich interner Beratungs- und Beschwerdestellen bestehen, auf, diese zügig zu beheben und in ihre Maßnahmen zur Organisationsentwicklung einzubeziehen.

 

Externe Beratungs- und Beschwerdestellen

 

Neben den internen Beratungs- und Beschwerdestellen bieten die Gewerkschaften sowie Berufs- und Unternehmensverbände des Kunst-, Kultur- und Medienbereichs betriebsunabhängige Beratungsmöglichkeiten zu verschiedenen Fragestellungen der Arbeitswelt an.

 

Aufgabe der Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung sowie, sofern bereits etabliert, der entsprechenden Stellen auf Landesebene ist es, das AGG und die daraus resultierenden Verpflichtungen bekannter zu machen, seine Wirkungsmöglichkeiten aufzuzeigen und adäquate Beratung nicht nur bei Fehlverhalten anzubieten. Darüber hinaus existieren weitere staatliche und nicht-staatliche Beratungsstellen, Hilfetelefone usw., die Beratung und Unterstützung für von Diskriminierung Betroffene anbieten.

 

Der Deutsche Kulturrat begrüßt die Angebote der bestehenden externen Beratungs- und Beschwerdestellen und empfiehlt, diese jeweils mit ausreichenden Sach- und Personalmitteln auszustatten, damit sie ihre Aufgaben adäquat erfüllen können.

 

Fazit

 

Vieles ist im Kunst-, Kultur- und Medienbereich in den letzten Jahren geschehen, um respektvolles und diskriminierungsfreies Arbeiten sicherzustellen und gleichzeitig weiteres anzustoßen:

 

  • Das Bewusstsein der Akteur*innen wurde geschärft. Die Aufmerksamkeit für das Thema muss allerdings weiterhin hochgehalten werden.
  • Sparten- bzw. betriebsspezifische Verhaltenskodizes, Richtlinien u. Ä. wurden erarbeitet und werden im betrieblichen Alltag und an den Hochschulen gelebt. Bestehende Defizite müssen behoben werden.
  • Führungskräfte und Beschäftigte nutzen Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Auf das jeweilige Handlungsfeld zugeschnittene Maßnahmen gilt es ggfs. auszubauen.
  • Gemeldete Vorfälle von Diskriminierung und sexualisierter Gewalt werden aufgearbeitet. Die Prävention wird gestärkt. Vorhandene Defizite müssen identifiziert und behoben werden. Letzteres gilt auch mit Blick auf die Dunkelziffer an nicht gemeldeten Vorfällen von Diskriminierung oder sexualisierter Gewalt.
  • Interne Beratungs- und Beschwerdestellen gemäß AGG wurden in den Betrieben, Unternehmen, Verbänden und Dienststellen etabliert, Defizite werden beseitigt.
  • Externe Antidiskriminierungsberatungsstellen müssen sachgerecht ausgebaut werden.

 

Gleichwohl kann und darf sich niemand zurücklehnen. Respektvolles und diskriminierungsfreies Arbeiten und die Verwirklichung des Kulturwandels sind eine Daueraufgabe, bei der fortlaufend nachjustiert bzw. auf aktuelle Entwicklungen reagiert werden muss. Leitlinien, Richtlinien, Schutzkonzepte und Ähnliches sind wichtig, um das Bewusstsein zu schärfen und einen Klärungs- und Verständigungsprozess in Gang zu setzen und um Handlungssicherheit bei Vorfällen zu schaffen. Wesentlich ist die Umsetzung durch Führungskräfte genauso wie durch jede*n Einzelne*n im Kunst-, Kultur- und Medienbereich. Ob es um kulturelle Bildung, um die Hochschule, um das Verhalten am Arbeitsplatz oder um das ehrenamtliche oder freiwillige Engagement geht: Nirgendwo darf die Würde des Menschen verletzt werden.

 

[1] Das Positionspapier wurde in einem Diskussionsprozess unter Beteiligung der Mitglieder aller neun Sektionen (Deutscher Musikrat, Rat für darstellende Kunst und Tanz, Deutsche Literaturkonferenz, Deutscher Kunstrat, Rat für Baukultur und Denkmalkultur, Deutscher Designtag, Deutscher Medienrat, Rat für Soziokultur und kulturelle Bildung, Deutscher Fotorat) des Deutschen Kulturrates, die zusammen für 285 Bundeskulturverbände und -organisationen vertreten, erarbeitet.

[2] § 1 AGG

[5] Internationale Arbeitsorganisation (ILO), der Staaten, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen angehören. Die ILO entwickelt internationale Arbeits- und Sozialstandards.

[6] https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetze/gesetz-beseitigung-von-gewalt-belaestigung-in-der-arbeitswelt.pdf?__blob=publicationFile&v=3

[7] Technical meeting on the future of work in the arts and entertainment sector | International Labour Organization (ilo.org)

[9] In der Kultur- und Kreativwirtschaft, also dem nicht öffentlich-geförderten, privatwirtschaftlichen Kultursektor, sind 64 % der Erwerbstätigen abhängig beschäftigt. Werden die Wirtschaftsklassen betrachtet, sind die Erwerbstätigen in „Kulturwirtschaftsklassen“ zu 74 % abhängig beschäftigt (Schulz, Zimmermann 2023).

[10] Hierzu gehört auch das Mentoring-Programm des Deutschen Kulturrates, das sich speziell an Frauen mit Berufserfahrung richtet, die eine Führungsposition in Kunst, Kultur und Medien anstreben.

[11] Die erste Künstlergewerkschaft war die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger, die 1871 in Weimar gegründet wurde.

[13] So verzeichnen laut Monitoringbericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz 2022 die Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft im Durchschnitt 5,5 Kernerwerbstätige pro Unternehmen.

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