Schadensbegrenzung oder Investition in die Zukunft?

Umgang mit den Folgen der Corona-Krise

Öffentliche Vergabepraxis nachhaltiger gestalten

 

Die Notwendigkeit gesellschaftlichen Wandels stetig im Blick zu behalten, ergibt sich selbstverständlich auch im Rahmen von Konjunkturprogrammen für die private Kultur-, Medien- und Kreativwirtschaft, so beispielsweise die Förderung von nachhaltigen Innovationen im Bereich Architektur, Design oder Modedesign, um international neue Standards zu setzen.

 

Dabei sollte die öffentliche Vergabepraxis des Staats, aber auch die öffentlich geförderten Einrichtungen wie Kultureinrichtungen oder Rundfunkanstalten, sozialverträglich und nachhaltig gestaltet werden. Oft werden Künstler, Kulturpädagogen oder kleinere Unternehmen der Kreativwirtschaft nicht angemessen honoriert, was in der Corona-Krise zu der Notwendigkeit von Soforthilfen führte, da hier keine Rücklagen existierten. Dies liegt in Teilen auch daran, dass öffentlich geförderte Einrichtungen ebenfalls wirtschaftlichen Zwängen unterliegen.

 

Bei der öffentlichen Vergabepraxis sollte zudem im Sinne der Nachhaltigkeit auf Regionalität und Vielfältigkeit von Bewerbern gesetzt werden, um Monopolstellungen großer globaler Medienkonzerne oder Unternehmensberatungen, die zunehmend ein breites Spektrum an Angebotsstrukturen bedienen, indem sie die jeweils für Aufträge benötigten Fachstrukturen wie Designer oder Kulturwissenschaftler als Unterverdienende an sich binden, zu unterlaufen.

 

Aufbau analog-digitaler Strukturen nicht nur für Krisenzeiten

 

In der Corona-Krise wurde die Vernachlässigung eines systematischen Aufbaus analog-digitaler öffentlich geförderter Angebotsstrukturen deutlich, auch wenn der erzwungene Stillstand dazu führte, dass Künstler, Kultur- und Bildungseinrichtungen, trotz mangelnder digitaler Infrastruktur, Ausstattung und Fortbildung, erste digitale künstlerische und kulturelle Bildungsangebote für Bevölkerungsgruppen kostenfrei ermöglichten.

 

Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist in der Regel analog-digital aufgestellt. Herausforderungen stellen sich hier in der digitalen Sichtbarkeit und wirtschaftlichen Verwertung. So ist die digitale Sichtbarkeit abhängig von Suchmaschinen und Onlineportalen, die vor allem von den großen US-amerikanischen Medienkonzernen zur Verfügung gestellt werden, die ihre eigene Logik und Algorithmen mit Blick auf Werbekunden und eigenen Interessen verfolgen.

 

Bei einem systematischen Ausbau analog-digitaler Strukturen im Kultur-, Medien- und Bildungsbereich wäre es daher wünschenswert, dass in Analogie zu analogen gesetzlichen Rahmenbedingungen auch im digitalen Raum Verwertungsvergütung – unter anderem EU-Urheberrechtsrichtlinie – und Sichtbarkeit, hier auch ein unabhängiger Zugang zu Wissen und Kultur, gewährleistet werden, beispielsweise durch öffentlich geförderte Suchmaschinen und Plattformen, organisiert von europäischen Rundfunkanstalten, die im Sinne des Gemeinwohls von Rundfunkräten kontrolliert werden könnten.

 

Wie könnte eine Systemmodernisierung gelingen?

 

Der anstehende Kraftakt notwendiger Hilfsmaßnahmen sollte nicht nur aus einer Perspektive der Schadensbegrenzung heraus entwickelt, sondern zugleich als Investition in eine nachhaltige und gemeinwohlorientierte Stabilisierung des Kulturbereichs genutzt werden. Einiges ließe sich dabei über eine Änderung der öffentlichen Förderpraxis erreichen:

  1. Infrastrukturförderung für grundlegende Aufgaben des öffentlich geförderten Kultur-, Medien- und Bildungsbereichs
  2. Nutzung von Projektförderung und Eigen-/Drittmitteln für Innovation, Experimente und Transformation
  3. Individuelle Bürgermitfinanzierung von öffentlich geförderten Bildungs- und Kulturangeboten auf den Prüfstand stellen
  4. Nachhaltige und sozialverträglich gestaltete, öffentliche Vergabepraxis, hier auch entsprechende Etatausstattung öffentlich geförderter Einrichtungen für Aufträge an Dritte
  5. Stärkung regionaler, nationaler und europäischer Einzelbranchen der Kreativwirtschaft bei der öffentlichen Vergabepraxis gegenüber Monopolstellungen internationaler marktführender Unternehmen.
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    Andere Aspekte der Reorganisation und Transformation von Strukturen könnten über einen Kulturinfrastrukturfonds finanziert und angestoßen werden:
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  6. Einbettung neuer gesellschaftlicher Aufgaben in die bestehende öffentlich geförderte Infrastruktur
  7. Stärkung neuer Kreativwirtschaftszweige durch Konjunkturprogramme
  8. Systematischer Aufbau analog-digitaler Strukturen im Kultur-, Medien- und Bildungsbereich unter Wahrung rechtlicher Grundlagen innerhalb digitaler Strukturen

 

Die Investitionen für eine solche Stabilisierung der Kulturlandschaft erscheinen auf den ersten Blick immens, kompensieren sich aber in Teilen durch Umverteilung der Ressourcen, beispielsweise der Umwidmung von Projekt- in Infrastrukturmitteln. Dies führt zu weniger prekärer Arbeit, weniger Bürokratie, damit einhergehend zu mehr personellen Ressourcen, einer höheren Bürgerakzeptanz, Teilhabe sowie Krisensicherheit in Zeiten von Corona und Co.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 5/20 erschienen.

 

Susanne Keuchel
Susanne Keuchel ist ehrenamtliche Präsidentin des Deutschen Kulturrates und Hauptamtlich Direktorin der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW.
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