Kultur und Militär

Eine Annäherung in sieben Facetten

Eine Reflexion über „Militär und Kultur“ erzeugt ein wahres Kaleidoskop von Aspekten und Assoziationen. In den Sinn kommen: „Militärkultur“, die „Kultur militärischer Zurückhaltung“, die „Kulturgeschichte der Gewalt“, der Offiziersberuf als „Bildungsberuf“, die „Kultur multinationaler militärischer Zusammenarbeit“, die Militarisierung von Gesellschaften bis zu vormilitärischer Erziehung, interkulturelle Kompetenz von Soldaten, Schutz von Kulturgut in Kriegen. Es gibt Militär- und Kriegsgeschichte, schreibende und malende Soldaten, Militärmusik, Militär und Mode sowie Militär und Krieg in Bildender Kunst, Literatur, (Musik-) Theater, Film – von Heroisierung und Gewaltverherrlichung bis zur Anprangerung des Schreckens. Sieben Facetten des Themas scheinen besonders relevant.

 

Kultur militärischer Zurückhaltung
Sicherheit ist ein grundlegendes öffentliches Gut, das der Staat bereitzustellen hat. Die Erkenntnis, dass dazu nicht allein militärische Mittel gehören, sondern auch diplomatische, wirtschaftliche, entwicklungspolitische, ökologische und kulturelle Aspekte, hat sich langsam durchgesetzt. Das stellt einen kulturellen Fortschritt dar. Die Analyse des Spannungsverhältnisses zwischen zivilen Gesellschaften mit ihrem Gewalttabu und der Institution Militär mit ihrer hierarchischen Binnenstruktur und ihrem spezifischen Gewaltpotenzial geht bis zum „Inkompatibilitätstheorem“.

 

Deutschlands historische Erfahrung mit dem verbrecherischen Missbrauch militärischer Macht sowie dem militärischen, staatlichen und moralischen Zusammenbruch im Zweiten Weltkrieg hat eine „Kultur militärischer Zurückhaltung“ bewirkt. Sie steht uns wohl an, wurde aber zeitweise, nicht zuletzt durch Außenminister Guido Westerwelle, in ständiger Wiederholung entwertet und erschien den Alliierten zunehmend als Ausflucht. Der Appell des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck, Deutschland müsse mehr Verantwortung in der Welt übernehmen, solle sich „früher, entschiedener und substantieller“ einbringen und dürfe nicht als „Zuschauer des Weltgeschehens“ verharren, hat Veränderungen gezeitigt z. B. mit Deutschlands diplomatischer Aktivität im Ukraine-Konflikt, seinem Mali-Einsatz und der Führung eines multinationalen Bataillons in Litauen.

 

Doch werden sich gewiss auch künftig die „strategischen Kulturen“, vor allem in der Bereitschaft zum Einsatz militärischer Gewalt, zwischen den USA und vielen europäischen Nationen, insbesondere Deutschland, unterscheiden. Robert Kagans Aperçu, die Amerikaner stammten vom Mars, die Europäer dagegen von der Venus, bleibt gültig. Doch wäre es Ausdruck weiteren kulturellen Fortschritts, zivile Konfliktbearbeitung und regelbasierten Umgang der Staaten miteinander voranzubringen.

 

Menschliche Sicherheit
An der Universität Potsdam heißt ein Lehrstuhl „Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt“. Das markiert einen Perspektivenwechsel, der auch beim durch Daniel Libeskind spektakulär umgestalteten Militärhistorischen Museum in Dresden zum Ausdruck kommt. Ein Keil ist in die klassizistische Fassade des Museums hineingetrieben, und in diesem neuen Element der Architektur gibt es Abteilungen, die nicht Siege und Waffen im Mittelpunkt haben, sondern das Leiden und andere gesellschaftliche Aspekte von Kriegen thematisieren (z. B. zivile Opfer, Sanitätswesen und Prothesen, Kriegsspielzeug, Nutzung von Tieren im Krieg). Dass dieses Museum vor seiner Wiedereröffnung von einer Zeitung als „Antikriegsmuseum der Bundeswehr“ vorgestellt wurde, illustriert positiven kulturellen Wandel.

 

Dieser Sichtweise entspricht der Paradigmenwandel in der Sicherheitspolitik, wo zunehmend statt staatlicher Souveränität und Machtvollkommenheit die „menschliche Sicherheit“ im Vordergrund steht. Der schon erwähnte erweiterte Sicherheitsbegriff impliziert auch, dass Friede und Gerechtigkeit zusammengehören. Ein „Kirchhofsfriede“ – wie ihn schon Marquis Posa gegenüber Philipp II. geißelt – kann beispielsweise für Syrien keine Lösung sein. Dass Friedensforschung weniger gesellschaftliches und akademisches Interesse genießt als in früheren Jahrzehnten, gibt allerdings zu denken.

 

Militär und Bildung
Im Lauf der Geschichte spielten Offiziere im gesellschaftlichen und kulturellen Leben eine beträchtliche Rolle. Auch in anderen Ländern gehört zur Offiziersausbildung das Studium nicht nur der militärtechnischen und -strategischen Themen, wenngleich die „Verwissenschaftlichung“ rein militärischer Fächer in Streitkräften des Warschauer Pakts etwas unseriös erschien. In der Bundeswehr wurde der Offiziersberuf mit der Schmidtschen Bildungsreform endgültig als „Bildungsberuf“ anerkannt, was zur Gründung der beiden Bundeswehrhochschulen in Hamburg und München und zur Einführung eines dreijährigen Studiums mit sehr breiter Fächerpalette als obligatorischer Teil der Ausbildung länger dienender Offiziere führte.
Politische Bildung des „Staatsbürgers in Uniform“ gehört in diesen Zusammenhang – nicht in erster Linie als Institutionenkunde, sondern als Wertevermittlung. Die Tradition der Bundeswehr ist Kern ihrer Erinnerungskultur. Traditionspflege dient der Selbstvergewisserung sowie der Bewahrung und Weitergabe von sinnstiftenden Werten und Vorbildern. Sie wurde im vergangenen Jahr kontrovers diskutiert nach Einzelvorkommnissen, bei denen vor allem Unsicherheit gegenüber Überlieferungen aus der Wehrmachtszeit deutlich wurde. In einem teilweise öffentlichen, diskursiven Prozess wurden neue Richtlinien für die Traditionspflege entworfen, die den Traditionserlass von 1982 ablösen sollen.

 

Wie bisher werden dort Traditionslinien wie die Preußische Heeresreform und der Widerstand gegen das NS-Regime betont, und es wird noch deutlicher hervorgehoben, dass die Wehrmacht für die Bundeswehr keine Tradition begründet. Viel stärker in den Vordergrund gerückt wird indes die bundeswehreigene Tradition aus den nunmehr bald 70 Jahren ihres Bestehens – mehr als doppelt so lang wie Reichswehr und Wehrmacht zusammen. Doch ist zugleich zu berücksichtigen, dass Soldaten, besonders der Kampftruppen, nach Vorbildern aus dem Kampfgeschehen suchen. Denn auch wenn die Bundeswehr ihren Hauptzweck in der Kriegsverhinderung bzw. bei Auslandseinsätzen in der Stabilisierung und Friedenskonsolidierung sieht, gehören zur Auftragserfüllung auch der Kampf und in letzter Konsequenz Töten und Einsatz des eigenen Lebens. Von bundeswehreigener „Einsatzkultur“ ist in der jüngsten Ausgabe von „Loyal“, dem Magazin des Reservistenverbandes, zu lesen.

Klaus Wittmann
Klaus Wittmann ist Brigadegeneral a.   D. und Senior Fellow des Aspen Institute Deutschland. Er lehrt Zeitgeschichte an der Universität Potsdam
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