Koordinieren, verbinden, unterstützen

Das ifa-Engagement zur Ukraine

Ich möchte von Yvor Smirnow erzählen. Seit Beginn des Krieges haben er und sein Team viel zu tun, weil endlich Verwendung findet, woran sie seit Jahren arbeiten: Mit seiner NGO sammelt er akribisch belegbare Informationen zu Vermögenswerten, ausländischen Fonds und Konten der Mitglieder der russischen Regierung und anderer Menschen aus Putins Umfeld. Dass die Sanktionen schnell und zielgerichtet beschlossen werden konnten – das ist auch möglich Dank der Arbeit von Yvor Smirnows NGO.

 

Es sind zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure wie diese, die Veränderungen in Gesellschaften anstoßen, die Verbindungen zwischen Menschen und über Ländergrenzen hinweg schaffen. Wo es starke Zivilgesellschaften gibt, können Regimes nicht einfach durchregieren. Es sind Menschen wie Yvor Smirnow – den Namen habe ich geändert, um ihn zu schützen –, die ihr Leben dafür einsetzen, das Putin-Regime zu Fall zu bringen. Menschen wie ihn unterstützen wir seit Jahren in ihrer Arbeit in und außerhalb von Russland.

 

Warum fange ich mit Russland an, wenn es um die Ukraine geht? Vor wenigen Tagen haben wir uns am ifa mit mehr als 100 Kolleginnen und Kollegen darüber ausgetauscht, wie wir reagieren auf den Angriffskrieg in der Ukraine. Immer wieder wurde ein Punkt stark gemacht: dass wir als internationale Kulturorganisation eine besondere Verantwortung darin haben, den Blick weiter zu fassen. Herauszuzoomen auf die weltweite Situation: Wie helfen wir unseren Partnerinnen und Partnern in Afghanistan, das Land sicher zu verlassen und hier anzukommen? Was ist mit den Menschen in Syrien, Jemen? Was ist mit den Menschen, die die Ukraine verlassen haben – ohne ukrainischen Pass? Roma, Studierende aus afrikanischen Ländern, die teils anders behandelt werden.

 

Ukraine: Was können wir tun?

 

Zwei Wochen nach Kriegsbeginn war ich eingeladen auf ein Podium. Was kann der Kultursektor tun angesichts des Krieges? Die Panelisten, die das Literaturhaus Stuttgart versammelt hatte, sprachen vom Handeln. Manche Künstlerinnen und Künstler, so erfuhr man, greifen zu den Waffen. Andere beobachten, dokumentieren. Manche haben das Metier gewechselt und machen Kinderbücher. Fragt man, was die Kolleginnen in der Ukraine derzeit brauchten, antworten manche: kugelsichere Westen. Waffen. Flugverbotszone. Alle Verbindungen zu Russland kappen. Auch zu Kunstschaffenden. Was können, sollen Institutionen jetzt tun? Darauf sollte ich antworten. Wir wollen den Ereignissen nicht vorgreifen, keine dauerhaften Programme entwickeln. Gleichzeitig verlassen Menschen das Land, sie kommen hier an, sind da. Oxana Matiychuk, die aus ihrem Keller in Czernowitz zugeschaltet war, brachte es auf den Punkt: Eine gute und geordnete Integration von Geflüchteten in Europa sei nicht die Integration in Europa, für die die Ukrainer seit dem Maidan kämpfen.

 

Koordinierungsstelle Kulturhilfe Ukraine

 

Was wir auf jeden Fall tun können: vermitteln, verbinden, vernetzen. Während die basalen Ankunftsstrukturen von anderen Stellen aufgebaut werden, fokussieren wir uns auf die Menschen, mit denen wir immer zusammenarbeiten – die aus der Kunst und Kultur. Auf Initiative der Ministerin Theresia Bauer haben das ifa und das baden-württembergische Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst daher für Kunst- und Kulturschaffende aus der Ukraine eine Koordinationsstelle aufgebaut, die Kontakte und temporäre oder dauerhafte Anschlussperspektiven benötigen. Zugleich sammeln wir in der „Kulturhilfe Ukraine“ Unterstützungsleistungen, die von Personen und Organisationen in der Kunst- und Kulturszene in Baden-Württemberg angeboten werden: Unterkünfte, Proberäume, Produktionsmöglichkeiten. Und matchen dann beide Seiten miteinander.

 

In der Zusammenarbeit mit dem Ministerium erreichen wir im Bundesland nicht nur die großen, gut vernetzten Kulturorganisationen, sondern auch kleinere Museen, Theater und soziokulturelle Vereine. So gehen wir auch in die Tiefe und Breite der Kulturlandschaft. Gut vernetzte ukrainisch-deutsche Partnerinitiativen helfen, auch in ukrainischen Kreisen auf das Angebot hinzuweisen. Welche Unterstützungsleistungen wir in der Folge anbieten, werden wir gemeinsam mit den ukrainischen Künstlerinnen und Kulturarbeitern erarbeiten. Außerdem müssen wir klären, wie wir ein Handeln für und in der Ukraine weiterhin ermöglichen können, von Deutschland aus, aber auch aus den Nachbarländern, von überall her. Denn mit den Herzen und Köpfen werden die Menschen weiterhin in ihrem Herkunftsland sein und dort wirken wollen.

 

Einzelnen Akteurinnen und Akteuren möchten wir daher die Möglichkeit eröffnen, gesichert, von hier aus, die Arbeit in ihren Ländern – in der Ukraine, aber auch Belarus und Russland – fortzusetzen.

 

Unser Vorschlag, für Journalistinnen, Kunstschaffende und Engagierte, die sich aktiv und unter oft enormen Risiko für Menschenrechte, Demokratie, Antirassismus, Antidiskriminierung und eine offene Gesellschaft einsetzen, ein Schutzprogramm aufzusetzen, ist von der baden-württembergischen Landtagspräsidentin Muhterem Aras aufgegriffen worden. Das Programm arbeiten wir gerade aus.

 

Europäische Vernetzung

 

Die Auswirkungen des Angriffskriegs auf die Ukraine betreffen nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt. Globale Krisen brauchen globale Lösungsansätze. Waren wir im Handeln und im Aufsetzen der Koordinierungsstelle schnell, weil wir kurze Wege hatten, so dauert die europäische Vernetzung bisher noch länger. Aber sie ist umso wichtiger, um mehr Wirkungskraft zu entfalten. Im Mai werden wir uns mit den anderen europäischen Kulturinstituten im EUNIC-Netzwerk in einem Workshop austauschen, welche Perspektiven für afghanische Kulturarbeitende eröffnet werden können. Welche guten Beispiele für künstlerische Eingliederung, Ko-Kreation und Handlungsermächtigung gibt es in ­Europa und Asien – überall dort, wohin afghanische Kunstschaffende geflüchtet sind? Und was können wir davon für die Situation der Ukraine lernen und übertragen? Wenn die Krisen sich schon häufen, sollten wir wenigstens unsere Erfahrungen sich gegenseitig befruchten lassen.

 

Was ist also nun die Aufgabe im internationalen Handeln in der Kultur angesichts dieses Krieges mitten in Europa? Klassische Diplomatie kann man damit beschreiben, dass Regierungen miteinander reden – „government to government“. Was wir am ifa machen, als internationales Kulturinstitut, ist „people to people“. Wir bringen Menschen zusammen. Menschen, die die Gesellschaft formen, sie verändern wollen. Die Menschen in der Ukraine haben sich für Freiheit, Demokratie, für eine offene Gesellschaft entschieden. Wir werden sie weiter unterstützen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/22.

Gitte Zschoch
Gitte Zschoch ist Generalsekretärin des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa).
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