Wahrheit von der Lüge unterscheiden

Medienkompetenz als Voraussetzung, um sich einigermaßen gekonnt im Internet und den sozialen Netzwerken bewegen zu können, wird überall gefordert und vielfach gefördert. Die Medienbildung, die Medienkompetenz entwickeln soll, zielt auf die Förderung von Kindern und Jugendlichen, aber auch von Erwachsenen für einen selbstbestimmten und verantwortungsvollen Umgang mit Medien ab. Das ist in Zeiten von global gesteuerten Fakenews, von künstlerischer Intelligenz, mit der Filme, Bilder und Sprache exzellent gefälscht werden können, eine mächtige Herausforderung.

 

Die Angst vor einer Manipulation der Wirklichkeit, um Wahlen zu beeinflussen, um Menschen zu diskreditieren, um die Wahrheit zu verbiegen, ist absolut berechtigt. Doch wie soll Medienkompetenz resistent gegen Lügen machen?

 

Ich bin der festen Auffassung, dass nur ein Weg zur umfassenden Medienkompetenz führt: umfassende humanistische Bildung. Ich meine damit nicht in erster Linie die Schulbildung, ich meine nicht Griechisch oder Latein lernen, sondern eine Bildung, die die künstlerisch-wissenschaftliche, kosmopolitische und empathische Neugier weckt und zu kritischem Denken befähigt. Eine solche Bildung erzielt man zum Beispiel durch intensives Selbststudium beim Bücherlesen oder Museen besuchen.

 

Es ist nach meiner Ansicht absoluter Unsinn, digitale Medien in der Schule einzusetzen, um dadurch Medienkompetenz vermitteln zu wollen. Die Jungen können mit den digitalen Medien längst umgehen. TikTok, Instagram, Snapchat und Co. können sie, im Gegensatz zu den Älteren, virtuos bedienen und sie besitzen die notwendigen Geräte, Handys, Laptops und PCs. Was sie vielfach nicht können, ist die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden.

 

Was sie brauchen, um sich kompetent in der digitalen Welt zurecht zu finden, sind beispielsweise analoge Bücher, sehr fälschungssicher und oft auch qualitätsvoll. Aber 17 Prozent der Jugendlichen in Deutschland lesen nie in einem Buch und 27 Prozent einmal im Monat oder seltener, sagen aktuelle Untersuchungen. Das bedeutet nichts anderes, als dass 44 Prozent der Jugendlichen Bücher als sichere Quelle von Erkenntnis so gut wie nicht kennenlernen. Auch Besuche in der faszinierenden Welt der Museen, die Orte, in denen ich am meisten gelernt habe, bieten Schlüsselqualifikationen zum Erkenntnisgewinn.

 

Wer Medienbildung organisieren will, muss die Menschen in die Lage versetzten, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden, das geht nur durch ein umfassendes Wissen von der Welt.

Olaf Zimmermann
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber und Chefredakteur von Politik & Kultur.
Vorheriger ArtikelDienstagmorgen, 1. und 2. Stunde
Nächster ArtikelSinus-Milieus im Wandel der Zeit