Leitkultur oder Zusammenhalt in Vielfalt

Das wollen die Parteien in der Kulturpolitik

Am 23. Februar dieses Jahres sind die volljährigen deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aufgerufen, den 21. Deutschen Bundestag zu wählen. Der Wahlkampf begann spätestens mit dem Aufkündigen der „Ampel-Koalition“ im November letzten Jahres und geht zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe in seine heiße Phase.

 

In einer Synopse haben wir die Positionen der Parteien gegenübergestellt. Es wird sich dabei auf die Parteien konzentriert, die im gegenwärtigen Deutschen Bundestag vertreten sind. Die Reihenfolge orientiert sich bei SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD am Ergebnis der letzten Bundestagswahl. Bei den Parteien Die Linke und BSW wird die Zahl der Sitze im jetzigen Deutschen Bundestag zugrunde gelegt. Für die Synopse wurden kulturpolitisch relevante Themen analysiert, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.

 

Ausgewertet wurden für die Synopse die Wahlprogramme der Parteien für die Bundestagswahl 2025. CDU und CSU haben zur Bundestagswahl ein gemeinsames Wahlprogramm vorgelegt, daher werden sie zusammen aufgeführt. Da das Wahlprogramm der AfD zum Redaktionsschluss noch nicht in redigierter Form vorlag, wurde sich auf den Leitantrag gestützt. Es wurden jeweils die kompletten Wahlprogramme zu Rate gezogen und sich nicht nur auf das Kulturkapitel konzentriert.

 

Kulturpolitische Ziele

In den Kulturkapiteln der Wahlprogramme werden die kulturpolitischen Ziele beschrieben. Hier sticht ins Auge, dass sowohl CDU/CSU als auch die AfD den Begriff der „Leitkultur“ wieder hervorgeholt haben. Bei der AfD verwundert dies nicht, da sie in den diversen Wahlprogrammen und anderen Positionierungen diesen Begriff verwendet hat. Unter Leitkultur wird ein Werte und Identität stiftender Konsens verstanden, der sich auf Kultur stützt. Hervorgehoben wird von der AfD ferner die Pflege von Brauchtum und Heimat. Die kulturpolitischen Aktivitäten des Bundes will sie begrenzen. Sie setzt sich für die Verankerung der deutschen Sprache als Staats- und Amtssprache im Grundgesetz ein. Für die CDU/CSU sind die kulturellen Traditionen, die von Kultureinrichtungen bewahrt und gepflegt werden, Teil der Leitkultur. Als Aufgabe der Bundeskulturpolitik wird insbesondere die Förderung von Bundesinstitutionen wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gesehen. Ein Akzent wird auf die Akquise privater Mittel durch Kultursponsoring, Mäzenatentum und Wirtschaftskooperation durch Kultureinrichtungen gelegt. Die SPD setzt auf „Kultur für alle“ als Kernversprechen. Sie will sich für freie und kraftvolle Kunst einsetzen und steht zur Sicherung der Kunstfreiheit als politischem Auftrag. Mit Blick auf Bundes- und bundesgeförderte Einrichtungen will sie sich für eine zukunftsgerichtete Organisation und Finanzierung einsetzen. Bündnis 90/Die Grünen wollen den Zusammenhalt durch Kultur stärken. Die Bundeskulturinstitutionen sollen als Stabilitätsanker in der Kulturlandschaft ausgebaut werden. Für die FDP inspiriert Kultur die liberale Debattenkultur. Die Vielfalt der Kultur soll gelebt werden, hierfür gilt es, einen zeitgemäßen Kulturbegriff zu nutzen. Die ehemaligen „Ampelparteien“ SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wollen sich für die Verankerung des Staatsziels Kultur im Grundgesetz stark machen. Die Linke spricht sich für Kultur als Pflichtaufgabe und Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge aus. Ebenfalls will sie klare rechtliche Regeln für die Rückgabe von Kulturgut. Auch das BSW spricht von Kunst und Kultur sowie kultureller Teilhabe als Pflichtaufgabe des Staates.

 

Kulturelles Erbe

Mit Blick auf das kulturelle Erbe erinnern CDU/CSU an vergangene Zeiten, wenn sie die Stärkung der Bundeskulturförderung nach § 96 Bundesvertriebenengesetz anstreben. Ein Thema, das schon seit ca. 25 Jahren in der Bundeskulturpolitik keine Rolle mehr spielt. Nach vorne gerichtet ist das Vorhaben, eine Nationale Strategie zum Schutz von Kulturgütern sowie Notfallpläne zu erarbeiten. Hier gibt es Anknüpfungspunkte zu den bereits laufenden Arbeiten der Nationalen Resilienzstrategie, in der Kultur ein Part ist. Die AfD spricht sich besonders für Baudenkmäler und Architektur als prägend für das Heimatgefühl und kulturelle Identität aus.

 

Erinnerungskultur

Das Wachhalten der Erinnerung an die beiden deutschen Diktaturen war bislang stets ein Kernelement christdemokratischer Kulturpolitik und wurde sowohl in Wahlprogrammen als auch in Koalitionsverträgen deutlich hervorgehoben. Im aktuellen Wahlprogramm bleibt es bei der kurzen Aussage, dass die Erinnerung an beide totalitäre Regime ein Auftrag bleibt. Konkreter wird es mit Blick auf die SED-Diktatur, die erforscht werden soll. Ferner soll die Erinnerungskultur um das Thema Kolonialismus erweitert werden. Die SPD unterstreicht, dass für die Demokratie Erinnerungskultur unabdingbar ist. Namentlich benannt werden die Erinnerung an NS-Verbrechen, die Fortsetzung der Aufarbeitung der SED-Zeit sowie die Aufarbeitung des Kolonialismus. Die Erinnerung an die Überwindung der deutschen Teilung soll als positives Element der Erinnerungskultur gestärkt werden. Bündnis 90/Die Grünen wollen ebenfalls die positive Erinnerung an die deutsche Einheit unterstützen. Die Orte des NS-Gedenkens sollen ausreichend finanziell gefördert werden, die Auseinandersetzung mit dem NS-Unrecht fortgesetzt und ein Lern- und Erinnerungsort zur deutschen Kolonialvergangenheit unterstützt werden. Weiter tritt Bündnis 90/Die Grünen für eine stärkere Auseinandersetzung mit Antiziganismus, eine dauerhafte Erinnerung an die Opfer rechter Gewalt sowie eine Öffnung der Erinnerungskultur für die Einwanderungsgesellschaft ein. Die AfD will sich dafür stark machen, dass die deutsche Geschichte in Gänze gewürdigt und sich nicht nur auf die Tiefpunkte konzentriert wird. Sie wendet sich gegen einen „ideologisch geprägten, moralisierenden Umgang“ mit der Geschichte. Das Leid der Heimatvertriebenen darf nicht vergessen werden. Ein Mahnmal und Informationszentrum für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft soll errichtet werden. Der „Dekolonisierung“ wird eine Absage erteilt, da diese zur Demontage der Kultur beitragen würde.

 

Kultur- und Kreativwirtschaft

Games scheinen das „Lieblingskind“ mit Blick auf die Kultur- und Kreativwirtschaftsförderung zu sein. SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen wollen diesen Teilmarkt fördern. Die SPD will durch Verbesserung der Rahmenbedingungen und Steueranreize die Kultur- und Kreativwirtschaft unterstützen. Weiter sollen gezielt KI-Entwicklungen in der Kultur- und Kreativwirtschaft Unterstützung finden. Die FDP will „hervorragende“ Rahmenbedingungen für die Kreativwirtschaft schaffen und ein Wahlrecht für Kleinunternehmen, so auch die der Kultur- und Kreativwirtschaft, für den Abzug einer pauschalen Betriebskostenabgabe einführen.

 

Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik

Die FDP verwendet in ihrem Wahlprogramm als einzige Partei den in dieser Wahlperiode eingeführten Titel der Kulturabteilung des Auswärtigen Amts „Kultur- und Gesellschaftspolitik“. Sie will die Goethe-Institute weiter fördern und vor allem deren digitale Angebote ausbauen. Erneut hervorgeholt wurde die Forderung nach einem EU-weiten Fonds für Denkmalpflege, der sich über Mitgliedsbeiträge, Eintrittsgelder und gewerblichen Betrieb selbst finanziert und Mittel für Denkmalpflegemaßnahmen vergibt. Die SPD sieht die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik als wichtige Säule der Außenpolitik und strebt die Vertiefung mit der Zivilgesellschaft im Ausland an. CDU/CSU unterstreichen die besondere Verantwortung des Bundes in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik und wollen internationale Kooperationen in der Kulturförderung unterstützen. Bündnis 90/Die Grünen wollen die Mittlerorganisationen stärken. Sie wollen die Aufarbeitung des Kolonialismus und die Versöhnung mit den ehemaligen Kolonien fortsetzen. Die AfD sieht die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik als Brückenbauer. Die Deutsche Welle und die Mittlerorganisationen sollen im Ausland ein positives Deutschlandbild vermitteln und für das reiche deutsche kulturelle Erbe werben. – Hier sei die ketzerische Frage erlaubt, inwieweit das positive Deutschlandbild nicht konträr zum ansonsten von der AfD verfolgten Ansatz, Deutschland für Ausländer besonders unattraktiv zu machen, läuft. – Als Schwerpunkt der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik sieht die AfD die Unterstützung deutscher Minderheiten im Ausland und die Pflege von deren Kultur.

 

Kulturelle Bildung

Vorauszuschicken ist, dass Förderung und Aufrechterhaltung der Infrastruktur kultureller Bildung in erster Linie eine Aufgabe der Kommunen und Länder ist. Das zentrale Instrument des Bundes zur Förderung der kulturellen Bildung für Kinder und Jugendliche ist der Kinder- und Jugendplan (KJP) des Bundes (SGB VIII). Hierdurch werden u. a. die bundeszentralen Träger gefördert. Die Aussagen zur Kinder- und Jugendpolitik wurden im Rahmen dieser Synopse nicht gesondert in den Blick genommen.

CDU/CSU sprechen sich in ihrem Wahlprogramm dafür aus, kulturelle Bildung als festen Bestandteil in Kultureinrichtungen zu verankern. Das BSW tritt für einen niedrigschwelligen, wohnortnahen Zugang für alle Kinder und Jugendlichen zu kultureller Bildung ein.

 

Vielfalt der Gesellschaft

CDU/CSU nehmen hier noch einmal Bezug auf Leitkultur, die der Vielfalt eine Ordnung geben soll. Integration soll gefördert werden. Mit Blick auf Antisemitismus soll der Kulturbereich klarstellen, dass es keinen Raum für Antisemitismus gibt. Das Bekenntnis zum Existenzrechts Israels und zur IHRA-Definition sollen Grundlage für die Kulturförderung werden. Die Abwertung von Muslimen soll nicht geduldet werden. Für die AfD soll der Leitgedanke von Zuwanderung die Integrationsfähigkeit und -willigkeit von Migranten sein. Angriffe auf Juden und antisemitische Beleidigungen sollen strafrechtlich geahndet werden. SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wollen sich gegen Diskriminierung einsetzen. SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollen sich überdies gegen jede Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit einsetzen. Die SPD will den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken. Gegen Antisemitismus soll entschlossen vorgegangen und die Sichtbarkeit jüdischen Lebens erhöht werden. Bündnis 90/Die Grünen wollen neben dem Eintreten gegen Antisemitismus einen Aktionsplan gegen Muslimfeindlichkeit etablieren. Für die FDP soll die Anerkennung der IHRA-Definition die Grundlage staatlicher Förderung werden.

 

Bürgerschaftliches Engagement

Die SPD will die Freiwilligendienste weiterentwickeln, und Bündnis 90/Die Grünen wollen eine verlässliche Förderung der demokratischen Zivilgesellschaft.

 

Medien

Obwohl die Zuständigkeit des Bundes für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk begrenzt ist, werden Aussagen hierzu getroffen. Die SPD sieht die Medienvielfalt als Fundament der Demokratie. Sie will regionale und lokale Medien fördern, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auftragsgerecht finanzieren und private Medien durch ordnungspolitische Rahmenbedingungen unterstützen. Für das duale Rundfunksystem sprechen sich auch CDU/CSU aus, der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll zu seinem Kernauftrag zurückkehren. Bündnis 90/Die Grünen wollen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auskömmlich finanzieren und gemeinnützigen Journalismus fördern. Die Linke sieht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Gegengewicht zu privaten Plattformen. AfD und BSW treten für eine grundlegende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein. Das BSW lehnt eine Beitragserhöhung ab. Die AfD will eine gebührenfreie Grundversorgung mit Informations-, Kultur- und Regionalprogrammen durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

 

Soziale Sicherung

Zur sozialen Sicherung warten alle hier vorgestellten Parteien mit Vorschlägen auf. Die SPD spricht sich für eine bessere Abstimmung der sozialen Sicherung auf die Arbeitsbedingungen in der Kunstbranche aus. Konkret sollen Künstler fair honoriert und ein Konzept für den Mutterschutz für Selbstständige entwickelt werden. Alle Erwerbstätigen sollen für das Alter abgesichert und die Krankenkassenbeiträge nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bemessen werden. Die Künstlersozialversicherung soll ausgebaut werden. Für die Einbeziehungen von Selbstständigen in den Mutterschutz sprechen sich auch Bündnis 90/Die Grünen, die FDP und Die Linke aus. Bündnis 90/Die Grünen wollen ferner gegen Scheinselbstständigkeit vorgehen und einen vereinfachten Zugang zur Arbeitslosenversicherung ermöglichen. Nicht anderweitig abgesicherte Selbstständige sollen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Ebenso soll die Mindestbemessungsgrenze für Soloselbstständige bei der Krankenversicherung reformiert werden. CDU/CSU wollen ebenfalls Scheinselbstständigkeit verhindern und eine verbindliche Altersvorsorge für Selbstständige, die nicht anderweitig abgesichert sind. Die FDP will das maximale Wahlrecht für die Altersvorsorge. Die Beiträge zur Krankenversicherung sollen sich am tatsächlichen Einkommen orientieren. Ferner sollen Positivmerkmale für Selbstständigkeit zur Statusfeststellung entwickelt werden. Die AfD tritt für die Gewährleistung der Versicherung von Pädagogen in der Künstlersozialkasse (KSK) ein, damit meint sie vermutlich, dass die Versicherungspflicht für selbstständige Pädagogen ausgeweitet werden soll. Die Linke will die KSK für weitere Berufsgruppen öffnen und den Bundeszuschuss erhöhen. Alle Erwerbstätigen sollen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden und die Bemessung der Krankenkassenbeiträge soll auf alle Einkommensarten erfolgen. Das BSW will ebenfalls das Statusfeststellungsverfahren angehen, alle Erwerbstätigen in die Rentenversicherung einbeziehen, Selbstständigen den Zugang zur Arbeitslosenversicherung eröffnen und die Krankenkassenbeiträge nach dem tatsächlichen Einkommen bemessen.

 

Künstliche Intelligenz und Urheberrecht

Das Urheberrecht im klassischen Sinne wird von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP angesprochen. Sie setzen sich für ein entsprechendes Schutzniveau und angemessene Vergütung ein. CDU/CSU – eigentlich ein Garant für den Schutz von Urheber- und Leistungsschutzrechten – will sich für den konsequenten Einsatz zum Schutz des geistigen Eigentums bei Produkt- und Markenpiraterie einsetzen. Den AI-Act wollen CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen bürokratiearm umsetzen. Die AfD lehnt den AI-Act ab und plädiert für praxisnahe nationale Regelungen. Die Linke votiert für eine Kennzeichnungspflicht von KI-Inhalten.

 

Steuerrecht

CDU/CSU wollen die Ehrenamts- und Übungsleiterpauschale erhöhen. Bündnis 90/Die Grünen setzen sich für eine steuerfreie Aufwandspauschale für Ehrenamtliche ein. Ferner wollen sie sich für eine Klarstellung stark machen, dass die Teilnahme an politischer Willensbildung nicht der Gemeinnützigkeit widerspricht. Die AfD will Künstler, Musiker und Pädagogen bis zu einer sinnvollen Einkommensgrenze – wo auch immer die liegen mag – umsatzsteuerfrei stellen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/25.

 

 

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
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