Tanz in der Schule

Verortung und Stellenwert
Im Vergleich zu Musik oder Kunst ist Tanz kein eigenständiges Fach in der Schule, sondern in den Lehrplänen in den Fächern Sport, Musik sowie Darstellen und Gestalten bzw. Theater gesetzlich verankert. In quantitativer wie struktureller Hinsicht gibt es länderspezifische Unterschiede, die hier allerdings nicht im Einzelnen aufgeführt werden können. Im Fach Musik ist das Handlungsfeld Tanzen in Kombination mit Singen, Musik und Bewegung aufgeführt, im Fach Darstellen und Gestalten bzw. Theater in Verbindung mit Körpersprache, Tanztheater, Performance. Das Fach Sport weist den größten Umfang auf, in dem der Tanz – hier häufig in Kombination mit Gymnastik – zum Gegenstand von Unterricht gemacht werden soll. Seit 1981 ist diese Kombination in fast allen Lehrplänen der Bundesländer von der 1. Jahrgangsstufe der Primarschule bis zur 10. Jahrgangsstufe der weiterführenden Schulen verankert. In der Oberstufe sind Schwerpunktsetzungen (Grundkurs oder vereinzelt auch Leistungskurs) möglich.

 

Soweit die curricularen Vorgaben. In der tatsächlichen Unterrichtspraxis findet Tanz nur selten statt. Dies mag an der mangelnden Ausbildung der Lehrkräfte liegen (oft sind es nur 2 Wochenstunden über ein Semester im gesamten Studium) oder aber auch an der anspruchsvollen Aufgabe, einen besonders sensiblen, da körpernahen Handlungsbereich anzubieten, der in der Öffentlichkeit einen schweren Stand hat und meist nur in seiner professionellen Ausrichtung als Bühnen- und Showtanz oder im Kontext populärer Musikclips Anerkennung findet. Wo diese Hindernisse überwunden werden können, finden beeindruckende Unterrichtsvorhaben und Projekte statt, die die Schulen als Bereicherung wahrnehmen und die den Schülerinnen und Schülern Gelegenheit bieten, ungeahnte Fähigkeiten zu entdecken. Es sind meist einzelne, ausgesprochen engagierte Lehrerinnen (!), die bereits im Studium einen Schwerpunkt im Bereich von Tanz legen konnten und/oder auf eigene, tanzbiografische Expertisen zurückgreifen können. Solche Einzelprojekte belegen immer wieder, dass es nicht die mangelnde Motivation oder Nachfrage der Schülerschaft ist, dass der Tanz ein so großes Schattendasein im schulischen Alltag fristet, als vielmehr mangelnde personelle Voraussetzungen wie auch organisatorisch-materielle Bedingungen (Räume, Musikanlage, Bühnen). So verwundert es nicht, dass die zahlreichen Angebote außerschulischer Partnerinnen und Partner, Tänzerinnen und Tänzer, Choreografinnen und Choreografen oder Performancekünstlerinnen und Performancekünstler auf große Zustimmung von Seiten der Schulleitung und vor allem der Schülerinnen und Schüler stoßen.

 

Angestoßen durch das Großprojekt „Le sacre du printemps“ der Berliner Philharmoniker – bekannt geworden durch den Kinofilm „Rhythm is it!“ (2004) – existieren mittlerweile viele Programme und Initiativen, die den Tanz in der Schule verbreiten und damit jedem Schüler, jeder Schülerin einen aktiven Zugang und Umgang mit der Kunstform Tanz ermöglichen wollen. Kennzeichnend für solche Projekte ist die Kooperation von Tänzerinnen und Tänzern, Choreografinnen und Choreografen, Tanzpädagoginnen und Tanzpädagogen und den Schulen. Ob im Rahmen von Arbeitsgemeinschaften, Vormittagsunterricht, Projektwochen oder -tagen arbeiten sie mit Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Schulformen an Themen, die der Lebenswelt der Jugendlichen entstammen. Dabei nutzen sie den zeitgenössischen Tanz, der sich Grenzüberschreitungen zwischen den Künsten sucht und immer wieder mit vorhandenen tanzstilspezifischen Formen (ob aus dem HipHop, dem modernen oder auch klassischen Tanz) bricht. Das wachsende Interesse an zeitgenössischem Tanz wie aber auch alltags- und popkulturellen Tanzformen zeigt, dass der Tanz als Teilbereich kultureller Bildung an Schulen zunehmend mitgedacht und gewollt wird.

 

Der spezifische Beitrag des Tanzes zur kulturellen Bildung
Als leibliches Phänomen bildet Tanz einen besonderen Anknüpfungspunkt kultureller Bildung. Die Wahrnehmung des eigenen Körpers, die unmittelbaren Erfahrungen und Erlebnisse mit und im Tanz eröffnen Kindern und Jugendlichen einen Zugang zur Auseinandersetzung mit der eigenen Körperlichkeit, die heute mehr denn je massiven, sozialen Erwartungen unterliegt. Im explorativen, spielerischen Umgang mit den Bewegungs- und Ausdrucksmöglichkeiten des eigenen Körpers bietet Tanz das Potenzial unmittelbarer, körpernaher Aufmerksamkeit und Sensibilität. Er birgt aber auch die Gefahr der individuellen Grenzüberschreitung und wahrgenommenen Bloßstellung, die mit körperlicher Exponiertheit verbunden ist und von daher einer besonders sensiblen Unterrichtsgestaltung bedarf. Im Unterschied zu anderen körperbetonten Tätigkeiten, wie z. B. dem Sport, enthält der Tanz einen vergleichsweise großen Freiraum für subjektive Auslegungen und individuelle Ausgestaltungen.

 

Als selbstbestimmte Form und geformter Selbstausdruck umfasst er immer auch eine gesellschaftlich-politische Dimension, weil der Mensch in und mit der gestalteten Bewegung Stellung zu der ihn umgebenden Welt bezieht. Im Tanz werden Botschaften vermittelt, die lesbar sind. Denn über die Bewegung können die einverleibten kulturellen, geschichtlichen und sozialen Strukturen verstanden werden. Insofern enthält der Tanz immer auch ein vermittelndes Moment, das den Rahmen für intersubjektive und interkulturelle Kommunikationsformen bietet. Diese im Tanz zu entwickeln, zu erproben, zu verwerfen, wiederherzustellen und zu nutzen, verweist auf eine entscheidende Bildungsdimension von Tanz.

Die Entwicklung von Tanz in der Schule
Alle Initiativen und Tanzprojekte zeichnen sich durch eine große inhaltliche, strukturelle wie personelle Vielfalt aus. Neben zeitlich befristeten Projekten in Form von halbjährlichen Arbeitsgemeinschaften oder einmaligen Angeboten gibt es Tanzklassen, die im Fächerkanon der Schulen einen festen Platz erhalten haben. Häuser wie die bayerische Staatsoper München, das Theater Bielefeld oder das Radialsystem Berlin wachsen mit Schulkassen zu fruchtbaren Gemeinschaften zusammen. Sie alle setzen sich für Tanz als Kunstform für und von Kindern und Heranwachsenden ein. Hauptakteure sind die Tänzerinnen und Tänzer, Tanzpädagoginnen und Tanzpädagogen und Choreografinnen und Choreografen, die sich vor allem als Künstlerinnen und Künstler verstehen, die die Kinder und Jugendliche an explorative Arbeitsweisen, körperpraktische Erkundungen und kreative Produktionen heranführen wollen. Sie trauen ihnen oft mehr zu als die hauptamtlichen Lehrkräfte, die an Stoffpläne sowie Leistungsüberprüfungen gebunden sind und finden einen besonderen Zugang zu sozial benachteiligten Gruppen. Denn sie kennen „das Gefühl der Entwurzelung […] und das Problem des Anfangs, das Ertragen des inneren Chaos, das Suchen nach einer Verankerung, das Ausprobieren, Verwerfen, Sich-Entscheiden für eine Form, das Verantworten dieser Entscheidung“ (Hildegard Kagerer (1991): Das Fremde hört nicht auf. Schule, ein Ort der gesellschaftlichen Weichenstellung. Neue Sammlung 31, 4, S. 592).

 

Die Vermittlung von Tanz verlangt von ihnen im System von Schule ganz besondere Fähigkeiten und Qualifikationen, die sie kaum im Rahmen ihrer Ausbildung als Tänzerinnen oder Tänzer erwerben konnten. So wurden im Zuge von Tanzplan Deutschland, einer Initiative der Kulturstiftung des Bundes, Module entwickelt, die sich genau dieser schulspezifischen Aufgabe und Herausforderung widmen. Unter dem Dach des 2007 gegründeten Bundesverband Tanz in Schulen schlossen sich zeitgleich mit den Aktivitäten von Tanzplan Deutschland zahlreiche Initiativen, Institutionen und Einzelpersonen zusammen, um neben der Verbreitung und strukturellen Stärkung von Tanz an Schulen vor allem die Qualität der Angebote zu entwickeln und nachhaltig zu sichern. Mit der Formulierung von Gelingensbedingungen wie Qualifikationen und Kompetenzen, die für eine professionelle Leitung von TanzinSchule-Projekten notwendig sind, hat sich der Verband zu einer Anlaufstelle für Beratung, fachliche Begleitung und Qualitätsmanagement entwickelt. Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) konnte er zu Evaluierungsmaßnahmen anstoßen, die – weitere Förderung vorausgesetzt – nicht nur die Qualität von Tanz an Schulen empirisch erfassen, sondern auch zu weiteren Forschungsfragen des spezifischen Bildungsbeitrags von Tanz anregen. Damit kann die noch junge Entwicklung von Tanz als Teilbereich kultureller Bildung an Schulen nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht notwendige Fortschritte machen, sondern auch zu curricularen Überlegungen in schulischen wie außerschulischen Bildungseinrichtungen beitragen.

 

Ausblick und Notwendigkeiten
Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Tanz einen nicht mehr zu leugnenden Stellenwert in der Schule hat und als Teilbereich kultureller Bildung selbstverständlicher geworden ist. Die zahlreichen Initiativen sowie Förderprogramme auf Bund- und Länderebene sind ein sichtbares Zeichen dieser Bedeutungszuweisung. Dennoch darf dieser Aufschwung nicht überbewertet werden. Noch leben viele der Projekte von dem Engagement einzelner Tänzerinnen und Tänzer, Lehrerinnen und Lehrer sowie Vermittlerinnen und Vermittler. Das Bemühen Tanz als individuelle und kulturelle Ausdrucksform allen Schülerinnen und Schülern zugänglich machen zu wollen und Tanz in die Kultur- und Bildungslandschaft einzubinden, kann nur dann erfolgreich fortgesetzt werden, wenn die verantwortlichen Bildungs- und Kulturpolitiker ihre Unterstützung nicht nur zusagen, sondern auch tatkräftig umsetzen, denn Sonntagsreden und Alltagshandeln klaffen fast nirgendwo so eklatant auseinander wie in der kulturellen Bildung. Darüber hinaus sind die erst zaghaft begonnenen Forschungsversuche fortzusetzen, um die Spezifik dieser Kunstform im Kontext von Bildung herauszuarbeiten, weniger in ihrer möglichen Funktion für das Lernen in den „nützlichen“ Fächern als vielmehr im Hinblick auf seine ganz eigene Zugangsweise der Auseinandersetzung mit sich selbst und der Welt.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im November 2013.

Antje Klinge
Antje Klinge ist Vorstandsmitglied im Bundesverband Tanz in Schulen e.V..
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