Musiklehrerausbildung in der digitalen Gesellschaft

Die Digitalisierung ist im Bereich der Musik im Grunde nichts Neues. Seit der Einführung der Compactdisc in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts ist Musik in digitalisierter Form für jedermann erhältlich. Wenn wir heute über Digitalisierung und Mediatisierung in der Musik und der Musikpädagogik sprechen, ist damit aber nur selten die digitale Speicherung und das spätere Abspielen analog erzeugter Musik gemeint. Durch Smartphones, Tablets, iPads, Laptops, Smartboards oder iWatches erfährt Musik in ihrer ästhetischen Wirklichkeit und Wertigkeit einen grundlegenden Wandel, der auch vor den musikbezogenen Studiengängen sowie Aus- und Weiterbildungen nicht Halt macht. Es verändern sich die Formen und Formate des Lernens und Lehrens sowie des Musizierens und Komponierens mit digitalen Endgeräten und Instrumenten. Insbesondere durch den Touchscreen und die Bewegungssteuerung eröffnen sich neue Möglichkeiten, die in zahlreichen Apps für musikbezogene Aktivitäten angeboten werden. Die Plattformen Google PlayStore und Apple AppStore bieten aktuell jeweils mehr als zwei Millionen unterschiedliche Apps, von denen jeweils knapp 100.000 Anwendungen einen Bezug zu Musik aufweisen.

 

Die kleinen Geräte wie Smartphones und Tablets sind tägliche Wegbegleiter für die meisten Jugendlichen und Erwachsenen geworden. Außerhalb von Schulen und Hochschulen sind die allgegenwärtigen Umgangsweisen mit den „schlauen“ Geräten nicht mehr wegzudenken. Die Beschreibungen einschlägiger Jugendstudien zeigen jedoch, dass sich Musik mit digitalen Medien fast ausschließlich und einseitig auf Konsumption und Konstruktionen von Wertigkeit von Musik beschränkt. Produktive, kooperative und kollaborative Prozesse in Bezug auf digitales Erzeugen (Spielen), Verändern, Komponieren oder Improvisieren von Musik finden kaum statt.

 

Anforderungen an Studium und Ausbildung der künftigen Musiklehrerinnen und Musiklehrer
Systematisch betrachtet unterliegen Studium und Ausbildung der künftigen Musiklehrerinnen und Musik-lehrer in der digitalen Gesellschaft zunächst den gleichen Veränderungen wie andere pädagogische Studiengänge und Ausbildungen: Didaktische und technologische Perspektiven von adaptiven Lern- und Prüfungsumgebungen, Interaktivität und Multimedialität digitaler Lernumgebungen oder Verbindungen von Theorie und Praxis in digitalen Lernumgebungen nehmen in Form von neuen Unterstützungs-, Lern-, Dokumentations- oder Leistungsmessungsmöglichkeiten in fast allen Studiengängen und Ausbildungen eine zentrale Bedeutung ein. Im Besonderen bieten in diesem Kontext Apps für traditionelle Formen des Musizierens, Komponierens und musikbezogenen Lernens neue Werkzeuge. Beispielsweise können Apps die Messung von Schallereignissen (Tonhöhe, Lautstärke, Frequenzspektrum), die ein- und mehrspurige Aufnahme von Schall, das Editieren von gespeicherten Aufnahmen, das Lernen von Bereichen der Musiklehre (Notation, Rhythmen, Gehörbildung, Harmonielehre), das Scannen von Noten und vieles weitere mehr ermöglichen oder erleichtern.

 

Für die Musik und die Musikpädagogik besteht das Besondere der Digitalisierung und Mediatisierung jedoch darin, dass neben diesen veränderten Möglichkeiten traditionellen Lernens und Gestaltens , neue Formen des virtuellen Musizierens, Gestaltens und Komponierens entstehen. Durch den Touchscreen können die Geräte als digitale Instrumente zur Imitation analoger Klänge und zur Schaffung synthetischer Klänge für Produktion, Komposition und Sounddesign in Form von Loops, Effekten, sphärischen Flächensounds, polyrhythmischen Drum-Pattern usw. genutzt werden. Diese Entwicklungen bieten so neue Potenztiale für eine kulturelle Produktivität und Kreativität der Heranwachsenden mit digitalen Endgeräten und für eine Weiter- und Neuentwicklung musikalischer Praxen. Zugleich sind die Geschwindigkeit und die Intensität des digitalen Wandels in der Technik und der Gesellschaft so beeindruckend, dass sich die Frage stellt, ob wir es sind, die die Digitalisierung gestalten oder ob es umgekehrt ist. Die Schülerinnen und Schüler wie Studierende und Lehrkräfte sind daher gefordert, einer Mediengesellschaft selbstbewusst und mit allen erforderlichen Fähigkeiten begegnen zu können. Dies schließt die Handhabung tontechnischer Verfahren und digitaler Kommunikations- und Produktionsmöglichkeiten einerseits und eine sinnvolle, reflektierte und verantwortungsbewusste Nutzung der Medien andererseits mit ein.

 

Hochschulen im Kontext von Musik und Digitalisierung
Die Lehrerbildung in musikbezogenen Studiengängen ist vor neue Anforderungen und Herausforderungen gestellt. Die Wege der Hochschulen und Universitäten, dem zu begegnen, sind sehr unterschiedlich. Universitäten und Hochschulen verfügen meistens über ein allgemeines medienpädagogisches Angebot, ein Medienzentrum oder eine E-Learning-Plattform, an dem Studierende mit dem Ziel, Musiklehrerin oder Musiklehrer zu werden, partizipieren. Musikspezifische Angebote für digitale Musizier- oder Kompositionspraxen mit mobilen Endgeräten sind hier, wie auch an den Musikhochschulen, die Ausnahme. An den meisten Musikhochschulen befinden sich zudem die allgemeinen Angebote, wie E-Learning-Plattformen erst im Aufbau. In vielen Fällen wird ein Seminar von einem Lehrbeauftragten angeboten, mit dem das Thema Digitalisierung, Medien und Medienkompetenz für das gesamte Studium abgehakt ist. Zeitaufwand und Kosten für aktuelle technische Entwicklungen sowie ungeklärte rechtliche Fragen sind vordergründig Argumente für eine – insgesamt betrachtet – musikpädagogische Abstinenz in Sachen Smartphones und Tablets.

 

Abgesehen von wenigen Ausnahmen, setzt sich vielerorts eine resignative Haltung fort, in der digitale Endgeräte als unmusikalisch und den eigentlichen Zielen einer musikalischen und pädagogischen Ausbildung bzw. eines Studiums als hinderlich und fremd betrachtet werden. Größere Forschungsprojekte gab es in den letzten Jahren nicht und die großen Forschungsvorhaben der letzten zehn Jahre verfolgten eher das Ziel, eine Form von Gegenwelt zur Mediatisierung aufzubauen.

Trotz dieser allgemein ernüchternden Gesamtlage, ist einiges in Bewegung. In der musikpädagogischen Lehrerinnen- und Lehrerausbildung zeigen einzelne Hochschulstandorte Entwicklungen auf, die neue Akzente setzen. Die folgenden drei Beispiele sind insofern besonders, da sich die Institutionen über einzelne Lehrangebote hinaus mit Digitalisierung und Mediatisierung in musikalisch-künstlerischen, pädagogischen und wissenschaftlichen Dimensionen befassen.

 

Landeszentrum Musik-Design-Performance an der Hochschule für Musik Trossingen
Die kleine Musikhochschule auf der Baar im Süden Deutschlands erhielt 2016 von der Landesregierung in Baden-Württemberg die Möglichkeit, ein Landeszentrum „Musik-Design-Performance“ zu schaffen, das als Bindeglied zwischen Musiktradition und digitalisierter Welt fungieren soll. Die Hochschule setzt sich mit dem Landeszentrum bewusst das Ziel, für künstlerische Gestaltung in Komposition, Improvisation und Performance neue Räume zu schaffen und zugleich ein musikalisch-künstlerisches Erbe zu erhalten und fortzuschreiben. Dabei stehen Fragen nach den Veränderungen von Verhalten, Wahrnehmung, Kommunikation, Gestaltungsansätze und ästhetische Kategorien im Zuge der Mediatisierung und Digitalisierung im Zentrum. Künstlerische, pädagogische und wissenschaftliche Aspekte des Landeszentrums werden gemeinsam von insgesamt sechs neu eingerichteten Professuren in der Hochschullehre, Performance und Forschung be- und erarbeitet. Von den Veränderungen und neuen Möglichkeiten sollen nicht bestimmte Studierenden profitieren, sondern die Hochschule insgesamt. Für diese strategische Ausrichtung sind die Hochschule Furtwangen University (HFU), die Universität Konstanz, die Tongii Universität Shanghai sowie ein Netzwerk renommierter künstlerisch-medial agierender Institutionen wie das IRCAM in Paris, das ZKM in Karlsruhe und die Filmakademie BW in Ludwigsburg wichtige Partner der Hochschule. Die offizielle Eröffnung des Landeszentrums erfolgt Anfang Dezember 2017 in Trossingen.

 

Forschungsstelle Appmusik, MMM2017, App2music an der Universität der Künste Berlin
Als Institut für digitale Musiktechnologien in Forschung und Praxis ist die Forschungsstelle Appmusik (FAM) seit 2014 eine Einrichtung der Universität der Künste (UdK) Berlin. Zum einen widmet sich das Institut der musikalischen Praxis mit Apps auf mobilen Digitalgeräten wie Smartphones und Tablets und erforscht musikpädagogische sowie ästhetische Fragestellungen musikorientierten Handelns innerhalb diverser Kontexte. Die Gründer und Mitarbeiter verfolgen dabei das Ziel, durch Open Science gewonnene Erkenntnisse unmittelbar in Bildungsangebote zu überführen und umgekehrt diese für Erkenntnisse zu nutzen. Zum anderen bildet das Institut seit vielen Jahren eine zentrale Plattform für verschiedenste musikpraktische und musikpädagogische Projekte, wie beispielsweise »app2music – Appmusik-AGs an Berliner Schulen«, das Schülerinnen und Schülern in wöchentlichen AGs ermöglicht, mit Apps zu musizieren. Die internationale Fachtagung »Mobile Music in the Making 2017« (MMM2017) im Frühjahr 2017 verdeutlichte eindrücklich die regionale und internationale interdisziplinäre Vernetzung des Instituts und zugleich den enormen Entwicklungsbedarf im Bereich der Musiklehrerausbildung an Hochschulen und Universitäten.

 

Fachtagung und Lehre im Bereich Digitalisierung an der Hochschule für Musik Detmold
Bereits im Vorjahr war die Hochschule Treffpunkt für eine Tagung der Musikhochschulen zur Digitalisierung, die mit der Öffnung für alle Institutionen im Bereich der musikbezogenen Studien- und Ausbildungsgänge 2017 ihre Fortsetzung fand. Die Fachtagung für künstlerische Praxis und Wissenschaft zum Thema der Digitalisierung in der musikbezogenen Aus- und Weiterbildung ermöglichte Musik- und Medienpädagogen, Musikwissenschaftlerinnen und Musikwissenschaftlern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verschiedener Musikhochschulen, Hochschulen und Universitäten einen intensiven Austausch über Projekte, Lehr- und Lernpraxen, Konzepte und Forschungsvorhaben. Die präsentierten und diskutierten Projekte oder Praxisbeispiele aus unterschiedlichen pädagogischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Bereichen, reichten von digitalen Musikvermittlungskonzepten über Potenztiale von Feedbacksystemen im Musikunterricht undbis zu interaktiven Gehörbildungsprogrammen bis zu Entwicklungen für orts- und zeitunabhängigere Gestaltungs- und Lernsituationen, in denen individuelle Lernvoraussetzungen stärker im Mittelpunkt stehen. Die Beiträge und Diskussionen zeigten ein weites Feld zukünftiger Lernumgebungen und weitreichende Veränderungen für zukünftiges Lehren und Lernen im Zeitalter der musikbezogenen Digitalisierung und Mediatisierung. Für die Hochschule für Musik Detmold war die Tagung Teil eines Entwicklungsprozesses, in dem neue digitale Angebote für Studierende, wie die DetmoldMusicTools, und die dafür erforderlichen Veränderungen in der Hochschule mit Beteiligten aus allen Bereichen diskutiert und verankert werden.

 

Chancen und Risiken der Musiklehrerausbildung in der digitalen Gesellschaft im Sinne neuer Möglichkeiten des musikbezogenen Gestaltens, Lernens, Unterrichtens und Forschens werden an solchen Beispielen deutlicher. Aber die Entwicklungen der Digitalisierung und die Erwartungen an digitale Medien in musikpädagogischen Kontexten für Praxis und Forschung fordern weiterhin intensive Diskussionen, erhebliche Investitionen in Lehrpersonal und Ausstattung sowie eine breite empirische Forschung und Entwicklung im Umfeld der großen Anzahl an künstlerischen und pädagogischen bzw. didaktischen Fragestellungen.

 

Weitere Informationen

 

Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im Juli 2017.

Philipp Ahner
Philipp Ahner ist Professor für Musikpädagogik und Musikdidaktik im Kontext digitaler Medien an der Hochschule für Musik Trossingen.
Vorheriger ArtikelLehrer- und Lehrerinnenausbildung für den Kunstunterricht in der digitalen Gesellschaft
Nächster ArtikelZur filmpädagogischen Arbeit kommunaler Kinos in der digitalen Gesellschaft