Eine Hoffnung für Syrien

Das Stipendienprogramm HOPES ermöglicht Geflüchteten die Fortsetzung ihres Studiums

Vor dem Hintergrund einer Zahl von gut 65 Millionen Geflüchteten weltweit spricht der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, von „the biggest refugee and displacement crisis of our time“. Und auch wenn die Diskussion in Deutschland und Europa eher das Gegenteil vermuten ließe, so sucht ein Großteil der Flüchtlinge Schutz in den Nachbarländern der Krisenregionen. Im Falle der Syrer, die derzeit die größte Gruppe von Geflüchteten bilden, sind etwa 6,5 Millionen innerhalb des Landes auf der Flucht. Mehr als 5,1 Millionen haben in den Nachbarländern, vor allem in Jordanien, dem Libanon und der Türkei, Zuflucht gesucht. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Flüchtlinge hat entweder einen akademischen Hintergrund oder bringt zumindest die Voraussetzungen für ein Hochschulstudium mit. Um zu verhindern, dass hier eine „verlorene Generation“ entsteht, bietet die Europäische Union mit Mitteln aus dem MADAD-Trustfund entsprechende Unterstützung an. Der MADAD-Fund wurde im Jahr 2014 als direkte Antwort auf die Krise in Syrien ins Leben gerufen. Ziel ist es, die Folgen des Bürgerkriegs auf die Geflüchteten sowie die Aufnahmeländer der Region zu mindern. Der Fund bündelt die Anstrengungen und die humanitäre Unterstützung der EU, ihrer Mitgliedstaaten und der Türkei. Das Volumen des Funds umfasst derzeit fast 1,5 Milliarden Euro, aus denen Projekte zu Bildung, Gesundheit, Grundversorgung und Integration finanziert werden.

 

Zur Förderung der Hochschulausbildung in der Region – Türkei, Libanon, Jordanien, Ägypten, kurdische Region des Iraks – stehen aus Mitteln des MADAD-Funds aktuell 60 Millionen Euro bereit. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) implementiert in diesem Rahmen das regionale Großvorhaben Higher and Further Education Opportunities and Perspectives for Syrians (HOPES, www.hopes-madad.org) federführend mit seinen europäischen Schwesterorganisationen British Council, Campus France und Nuffic. Entsprechend beträgt das Gesamtvolumen zwölf Millionen Euro. Ziel des Programms ist es, jungen geflüchteten Syrerinnen und Syrern, aber auch bedürftigen jungen Menschen aus den Gastgesellschaften durch einen verbesserten Zugang zur Hochschul- und Weiterbildung, Qualifikationsperspektiven zu eröffnen. Dies soll durch ein Bündel von Aktivitäten sichergestellt werden: Bildungsberatung vor Ort, Individualstipendien inklusive Studiengebühren, Sprachkurse, Fachkurse und innovative Bildungsangebote lokaler Institutionen, Politikdialog und Netzwerkbildung.

 

Die Studierenden und Studieninteressierten aus Syrien stehen in ihren Gastländern vor großen Herausforderungen. Sie treffen auf ein Hochschulsystem, dass sich stark vom dem in ihrer Heimat unterscheidet. So sind die Unterrichtssprachen meist Englisch oder Französisch, während in Syrien alle Fächer in Arabisch gelehrt werden. Lehrmethoden und -inhalte orientieren sich meist stark an westlichen Vorbildern, sodass von den Studierenden ein hohes Maß an Eigenständigkeit und kritischem Denken gefordert wird – Fähigkeiten, die an syrischen Hochschulen wenig gefragt sind. Alle im Libanon von HOPES geförderten Studierenden streben einen Masterabschluss an, der das Verfassen einer umfangreichen Masterarbeit zur Voraussetzung hat. Da wissenschaftliche Methodik und Praxis im Schulunterricht keine und im Grundstudium meist nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben, bedeutet die Forderung, ein Forschungsthema zu definieren und zu bearbeiten, eine enorme Herausforderung für die Studierenden. Drei syrische HOPES-Masterstudenten in Tripolis, die sich dieser Aufgabe erfolgreich gestellt haben und kurz vor Abschluss ihres Studiums stehen, haben zusammen mit einem ihrer Professoren nun einen Kurs entworfen, in dem sie an vier Wochenenden 50 ihrer Mitstudierenden das nötige Handwerkszeug vermitteln werden. Aber die drei haben sich auch Gedanken über ein noch viel komplexeres Problem gemacht. Zum einen erlangen Schulkinder aus Flüchtlingsfamilien häufig nicht die nötige Hochschulreife, zum anderen bestehen für syrische Universitätsabsolventen derzeit keinerlei Möglichkeiten, einen adäquaten Beruf auszuüben. Beiden Problemen soll ein Pilotprojekt begegnen, in dem syrische Hochschulabsolventen gegen ein kleines Honorar jugendlichen Flüchtlingen regelmäßigen, strukturierten Nachhilfeunterricht geben wollen. Dabei wird es nicht nur um die Vermittlung von Wissen gehen, sondern auch darum, den Schülern durch das eigene Beispiel Mut zu machen, höhere Bildung anzustreben. Deren Wert ist nämlich unter geflüchteten Jugendlichen in Zweifel geraten, wie die geringe Absolventenquote der Abiturstufe und die rückläufigen Studierendenzahlen belegen. Die unterrichtenden Absolventen würden sich zum einen ein gewisses Einkommen sichern und könnten zum anderen ihr im Studium erworbenes Wissen anwenden und wertvolle Praxiserfahrungen sammeln. Eine Projektschule und ein akademischer Berater wurden schon gefunden, nun bedarf es nur noch eines Sponsors.

 

Auch wenn diese Vorhaben von der Eigenverantwortung der Flüchtlinge und ihrer enormen Einsatzbereitschaft zeugen, ihr Schicksal zu meistern, werden sie dafür bis auf Weiteres die Unterstützung durch Projekte wie HOPES benötigen. Und dies bedarf wiederum der fortgesetzten Förderung solcher Initiativen durch die europäischen Staaten, allen voran der EU.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2018.

Christian Hülshörster
Christian Hülshörster ist Leiter des Bereiches Stipendienprogramme Süd beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD).
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