Um Jahre zurückgeworfen

Kulturwirtschaft: Studien belegen dramatische Einbrüche durch die Pandemie

Anfang dieses Jahres erschienen zwei Studien, die die dramatischen wirtschaftlichen Einbrüche in der Kultur- und Kreativwirtschaft mit Zahlen belegen.

 

Europaweite Auswirkungen

 

In der Studie „Rebuilding Europe. Die Kultur- und Kreativwirtschaft vor und nach Covid-19“ wird aufgezeigt, welche Relevanz die Kultur- und Kreativwirtschaft in der EU noch bis einschließlich 2019 hatte und wie tief der Fall in der Corona-Pandemie ist. Die Studie wurde von der GESAC (European Grouping of Societies of Authors and Composers) bei der Wirtschaftsberatung Ernst & Young in Auftrag geben. Für das Jahr 2019 wurde festgestellt, dass in der Kultur- und Kreativwirtschaft in Europa mehr Menschen erwerbstätig waren als in der Telekommunikationsbranche, der Chemie- oder auch der Autoindustrie. Der Beschäftigungsaufwuchs betrug von 2010 bis 2019 10 Prozent. Der Gesamtertrag stieg im selben Zeitraum um 17 Prozent. Die Digitalisierung führte auf der einen Seite zu einer starken Nachfragesteigerung, auf der anderen Seite zu der Herausforderung, dass die Rechteinhaber angemessen vergütet werden und angesichts der starken Marktmacht der Plattformen einen wirtschaftlichen Ertrag aus der Verwertung ihrer Leistungen ziehen können. Es war also keineswegs „alles in Butter“, sondern die Branche stand vor großen Herausforderungen. Denen wurde sich allerdings – so die erwähnte Studie – in dem Bewusstsein gestellt, dass gerade die Kultur- und Kreativwirtschaft die Inhalte generiert, die die US-amerikanischen Plattformen brauchen, um erfolgreich zu sein.

 

Das erste Corona-Jahr 2020 stellte einen tiefen Einschnitt dar. Der Umsatzverlust der Kultur- und Kreativwirtschaft in Europa beträgt im Vergleich zum Vorjahr 31 Prozent und ist damit größer als der Umsatzverlust der Tourismuswirtschaft mit 27 Prozent oder der Automobilbranche mit 25 Prozent. Innerhalb der Kultur- und Kreativwirtschaft ist der Umsatzverlust im Markt für darstellende Kunst europaweit mit 90 Prozent am höchsten, gefolgt von der Musikwirtschaft (minus 76 Prozent), der Bildenden Kunst (minus 38 Prozent) und der Architektur (minus 32 Prozent).

 

Umsatzverluste unterhalb des Durchschnittswerts haben folgende Branchen zu verzeichnen: Werbung (minus 28 Prozent), Buchbranche (minus 25 Prozent), Zeitungen und Zeitschriften (minus 23 Prozent), audiovisuelle Inhalte (minus 20 Prozent). Einzig und allein die Gamesindustrie konnte europaweit einen Umsatzzuwachs von 9 Prozent aufweisen. Besonders betroffen sind innerhalb der EU mittel- und osteuropäische Länder. In Bulgarien und Estland beträgt der Umsatzrückgang 44 Prozent und in Litauen beispielsweise 36 Prozent.

 

Ernst & Young prognostizieren, dass die Auswirkungen noch lange zu spüren sein werden. Als Beispiel führen sie die Einnahmeverluste der Verwertungsgesellschaften im Jahr 2020 von rund 35 Prozent an. Sie werden sich bei den Ausschüttungen an die Urheberinnen und Urheber in den Jahren 2021 und 2022 unmittelbar bemerkbar machen. Deren Einnahmen werden aus diesem gerade im Musikbereich essenziellen Bereich auch dann noch sinken, wenn der Kulturbetrieb wieder nach Ende der Pandemie langsam hochgefahren sein wird. Auch können die Erlöse aus digitalen Verbreitungswegen die wegfallenden Erlöse physischer Verbreitungswege nicht kompensieren. Darauf folgt, dass auch wenn die Pandemie einmal vorbei sein wird, die Künstlerinnen und Künstler Corona noch unmittelbar bei ihren Einnahmen spüren werden. D.h. auch, dass Unterstützungs- und Hilfsmaßnahmen nicht nur für die Dauer der Pandemie, sondern für die nächsten Jahre gedacht werden müssen.

 

Blick nach Deutschland

 

Im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie sowie Der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien hat das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes Mitte Februar eine neue „Betroffenheitsanalyse der Kultur- und Kreativwirtschaft von der Corona-Pandemie vorgelegt. Die Analysen und Trends wurden vom Forschungsinstitut Prognos vorgenommen. Bereits im Jahr 2020 hatte Prognos zwei Betroffenheitsanalysen erstellt, die auch Eingang in den „Monitoring-Bericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2020“ gefunden haben. Der „Monitoring-Bericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2020“ wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie von Goldmedia, der Hamburg Media School und der Hochschule für Wirtschaft, Technik und Kultur erstellt. Im Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2020 wurde bereits von starken Umsatzverlusten ausgegangen.

 

Wie stark die Umsatzverluste sind und wie langsam die Erholung erfolgen wird, wird in der Prognos-Studie „Betroffenheitsanalyse der Kultur- und Kreativwirtschaft von der Corona-Pandemiedeutlich. Betrachtet werden die Umsatzverluste des Jahres 2020 im Vergleich zu den Vorjahren. In einer Szenarioanalyse werden drei Szenarien der künftigen Umsatzentwicklung geschätzt.

 

Die Umsatzverluste in der Kultur- und Kreativwirtschaft im Jahr 2020 waren erheblich. Insgesamt wird ein Umsatzeinbruch von 13 Prozent verzeichnet. Das ist der größte Verlust seit 2009. In einigen Branchen der Kultur- und Kreativwirtschaft sinkt das Umsatzniveau unter das des Jahres 2003. Besonders stark betroffen sind der Markt für darstellende Künste mit einem Umsatzverlust von 85 Prozent. Weiterhin stark betroffen sind der Musikmarkt (Umsatzverlust 54 Prozent), der Kunstmarkt (Umsatzverlust 51 Prozent) und die Filmwirtschaft (Umsatzverlust 48 Prozent). Diese deutschlandspezifischen Daten zeigen, dass die Umsatzverluste in der deutschen Kultur- und Kreativwirtschaft teilweise größer sind als im EU-weiten Durchschnitt. Leidtragende auf der Seite der Erwerbstätigen sind neben den Soloselbständigen und Freiberuflern insbesondere auch geringfügig Beschäftigte und Mini-Jobber im Kulturbereich.

 

Für das Jahr 2021 werden drei Szenarien untersucht. Szenario 1 mit einem kurzen, harten Lockdown bis Anfang März, Szenario 2 mit einem langen harten Lockdown bis Ende März und Szenario 3 mit einem zweifachen harten Lockdown mit verfrühter Öffnung im März und erneuten Schließungen im April. Die Umsatzverluste der Kultur- und Kreativwirtschaft werden gegenüber dem Vergleichsjahr 2019, also dem Jahr vor der Pandemie, auf 7 bis 18 Prozent je nach Branche geschätzt. Selbst wenn eine positive Entwicklung im mittleren Szenario vorausgesetzt wird, wird davon ausgegangen, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft lediglich das Umsatzniveau des Jahres 2015 erreichen wird. Die Kultur- und Kreativwirtschaft wird also um Jahre zurückgeworfen.

 

Fazit

 

In den genannten Studien wird allein die erwerbswirtschaftlich orientierte Kultur- und Kreativwirtschaft in den Blick genommen. Sie zeigen, dass die Auswirkungen der Pandemie und des ersten und des seit November 2020 andauernden zweiten Lockdown noch über Jahre zu spüren sein werden. Selbst wenn, was nicht der Fall sein wird, morgen wieder geöffnet werden könnte, wird es dauern, bis die Umsätze wieder das Jahr 2019 erreichen werden.

 

Das bedeutet, dass die Corona-Hilfen nicht einfach enden dürfen, wenn der Lockdown endet. Es gilt vielmehr, eine längerfristige Perspektive in den Blick zu nehmen. Jetzt sind Überbrückungshilfen und Neustarthilfen vonnöten, um das wirtschaftliche Überleben von Unternehmen sowie von Unternehmerinnen und Unternehmern zu sichern. Darauf müssen Maßnahmen zur Sicherung von Unternehmen sowie zur Umstrukturierung folgen. Auch werden insbesondere Künstlerinnen und Künstler, deren Haupteinnahmequelle Vergütungen aus Verwertungsgesellschaften sind, noch über einen längeren Zeitraum Unterstützungen benötigen.

 

Neben Öffnungsszenarien, die jetzt entwickelt werden müssen, geht es auch darum, Perspektiven zum Fortbestand und der befristeten Unterstützung der Kultur- und Kreativwirtschaft zu entwickeln. Indirekte Fördermaßnahmen wie Steuervergünstigungen können dabei ein probates Mittel sein. Wichtig ist, nicht nur bis zur Bundestagswahl im September dieses Jahres zu denken, sondern darüber hinaus, denn die erwerbswirtschaftlich orientierte Kultur- und Kreativwirtschaft ist ein wichtiger Teil des Kulturbereiches und spielt in mancher Kunstform eine weitaus bedeutsamere Rolle als die öffentliche Kulturförderung.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2021.

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
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