25. April 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

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Kultur verändert – Kultur verändern


Konkretisierung der UN-Agenda 2030 in Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildung

Berlin, den 25.04.2021. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, hat am 15.01.2019 das Positionspapier „Umsetzung der Agenda 2030 ist eine kulturelle Aufgabe“ veröffentlicht. In dem Positionspapier hat der Deutsche Kulturrat unterstrichen, dass die UN-Agenda 2030 ein Weltzukunftsplan ist, dessen Umsetzung neues Denken und eine neue Haltung verlangt. Die UN-Agenda 2030 betrifft alle. Er hat hervorgehoben, dass Nachhaltige Entwicklung eine kulturelle Herausforderung ist und kulturelle Transformation verlangt, da alte Muster, Gewohnheiten und Gewissheiten hinterfragt werden müssen und die Gesellschaft daran zu messen ist, inwiefern sie sich auf Neues, Unbekanntes einlässt.

 

Der Deutsche Kulturrat positioniert sich mit dieser Stellungnahme erneut,

  • weil die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie aktualisiert wird und der Deutsche Kulturrat einen Beitrag zur Debatte leisten möchte,
  • weil die Corona-Pandemie vor Augen führt, wie wichtig kulturelle Teilhabe für den Menschen als soziales Wesen ist und dass kulturelle Teilhabe allen Menschen ermöglicht werden muss,
  • weil in der Corona-Pandemie der internationale Austausch und die Verantwortung für die „eine Welt“ nicht vernachlässigt werden darf.

 

Der Deutsche Kulturrat hat in seiner eingangs erwähnten Stellungnahme vom 15.01.2019 das Potential von Kunst, Kultur, Medien, Kultur- und Kreativwirtschaft für eine positive Transformation im Sinne der Entwicklungsziele der Vereinten Nationen hervorgehoben.

 

In diesem Positionspapier geht es um Kultureinrichtungen sowie um Einrichtungen der kulturellen Bildung. Es sind weitere Stellungnahmen für die anderen Sektoren des Kulturbereiches geplant, um sich mir deren spezifischem Zugang und ihrer Verantwortung für die Verwirklichung der Ziele der UN-Agenda 2010 zu befassen.

 

In den Mittelpunkt dieser Stellungnahme rückt der Deutsche Kulturrat die Themen Kulturelle Teilhabe, Bildung und gesellschaftlicher Zusammenhalt. Er formuliert Anforderungen an die Einrichtungen selbst, aber auch an Politik und Verwaltung, damit Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildung auf ihrem Weg unterstützt werden. Dabei konzentriert er sich vor allem auf die Situation in Deutschland.

 

Für den Deutschen Kulturrat ist zentral, dass die Kulturfinanzierung von Bund, Ländern und Kommunen stabil bleibt, damit Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildung die im Folgenden beschriebenen Aufgaben und Maßnahmen erfüllen können. Von herausragender Bedeutung ist ferner, dass die Expertise der Verbände stärker anerkannt wird und sie, wie auch Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildung, in die Umsetzung der UN-Agenda 2030 auf allen Ebenen eingebunden werden.

 

Kulturelle Teilhabe

 

Alle Menschen in Deutschland müssen unabhängig von ihrem Alter, ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrem Wohnort, ihrer wirtschaftlichen und sozialen Situation Zugang zu Kunst, Kultur und kultureller Bildung haben, um so am kulturellen Leben teilhaben und sich selbst kulturell betätigen zu können. Deutschland zeichnet sich durch eine breit gefächerte und vielfältige Landschaft an Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildung aus. Sie werden getragen von bürgerschaftlichem Engagement, von gesellschaftlichen Organisationen, von Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie von den Kommunen, den Ländern und dem Bund. Neue Chancen der kulturellen Teilhabe bietet die Digitalisierung und ermöglicht ortsunabhängig den Zugang zu Kunst und Kultur.

 

Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildung befinden sich in einem stetigen Veränderungsprozess. Sie nehmen die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in den Blick. Sie bilden aktuelle künstlerische und gesellschaftliche Entwicklungen ab bzw. befördern diese.

 

Personalentwicklung

 

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildung arbeiten hoch engagiert und sind meist in hohem Maße intrinsisch motiviert. Die eigenen Anforderungen können mitunter dazu führen, dass bis an das Limit gearbeitet wird. Personalverantwortliche müssen daher im Sinne des Zieles 3 der UN-Agenda 2030 agieren (Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern) und dem physischen und psychischen Gesundheitsschutz aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besondere Aufmerksamkeit widmen.

 

Viele Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildung bemühen sich in diesem Sinne bewusst um interne Entwicklungsprozesse. Sie legen bei ihrer Personalpolitik Wert darauf, dass sich zunehmend die Vielfalt der Gesellschaft auch in der Belegschaft widerspiegelt. Vielfalt des Personals bezieht sich z.B. auf eine durchmischte Altersstruktur der Beschäftigten, Menschen mit und ohne Einschränkungen, Menschen mit und ohne familiäre Zuwanderungsgeschichte. Personalpolitische Veränderungsprozesse in Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildung werden teilweise im Rahmen von Projekten unterstützt. Um nachhaltige Wirksamkeit zu entfalten, müssen Veränderungsprozesse jedoch über zeitlich begrenzte Projekte hinaus institutionalisiert und als fester Bestandteil der Einrichtungen verankert werden. Eine zentrale Herausforderung ist dabei, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht auf Merkmale zu reduzieren, sondern in ihrer persönlichen Vielfältigkeit in den Blick zu nehmen.

 

Zu diesem Veränderungsprozess gehören auch eine geschlechtergerechte Personalentwicklung und die Überwindung des nach wie vor noch existierenden Gender Pay Gap im Kultur- und Medienbereich. Gleichfalls muss der immer noch vielfach festzustellende Gender Show Gap überwunden werden. Werke von Künstlerinnen aller künstlerischen Sparten werden weniger als die ihrer männlichen Kollegen aufgeführt oder gezeigt. Der Gender Show Gap ist eine Hauptursache für den Gender Pay Gap. Der Deutsche Kulturrat hat sich in seiner Stellungnahme „Forderungskatalog zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit in Kultur und Medien“ vom 10.08.2020 zu erforderlichen Veränderungen klar positioniert und unterstreicht damit die Bedeutung von Ziel 5 der UN-Agenda 2030 (Geschlechtergerechtigkeit erreichen und alle Frauen und 129 Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen).

 

Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildung stehen genauso in der Verantwortung, die von ihnen beauftragten Künstlerinnen und Künstler, Kulturpädagogen und -pädagoginnen sowie Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft angemessen zu vergüten. Gerade öffentliche und öffentlich-geförderte Institutionen müssen mit dem guten Beispiel der angemessenen Vergütung vorangehen. Daraus folgt, dass bei der Beantragung öffentlicher Mittel die Kosten- und Finanzierungspläne so angepasst werden müssen, dass adäquate Vergütungen gewährleistet sind. Damit wird Ziel 1 der UN-Agenda 2030 (Armut in allen ihren Formen und überall beenden) mit Leben erfüllt.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert Politik und Verwaltung der Kommunen, der Länder und des Bundes auf, in der Kulturförderung sowie in der Förderung der kulturellen Bildung ausreichend Personalmittel und Sachmittel für Honorare und Aufträge zur Verfügung zu stellen, damit die o.g. Ziele erreicht werden können. Bei der Prüfung von Anträgen und Bewilligung von Fördermitteln muss hierauf besonders geachtet werden.

 

Beschaffung

 

Kultureinrichtungen, Einrichtungen der kulturellen Bildung und Schulen tragen darüber hinaus Verantwortung, dass sie ressourcenschonende Materialien einsetzen. Nachhaltige Beschaffung trägt dazu bei, die regionale Wirtschaft zu stärken. Oftmals scheinen nachhaltige Produkte auf den ersten Blick teurer als andere, die nicht nachhaltig sind. Aufgrund einer längeren Lebensdauer und Wertigkeit nachhaltiger Produkte sowie des verantwortungsbewussten Umgangs mit den natürlichen Ressourcen bei Herstellung und Recycling zahlen sie sich auf Dauer aber aus. Hierin finden der Respekt und die Achtung unserer natürlichen Lebensgrundlagen ihren Ausdruck. Mit einer nachhaltigen Beschaffung wird das Ziel 12 der UN-Agenda 2030 (Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen) ernstgenommen.

 

Die Beschaffung erstreckt sich ebenso auf Dienstleistungen, die sehr oft von Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft angeboten werden. Hier gilt ebenfalls, dass auf den ersten Blick preiswertere Angebote bei genauerem Hinsehen teurer sind. Die angemessene Vergütung von Dienstleistungen ist ein Aspekt der nachhaltigen Beschaffung in diesem Bereich.

 

Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildung sollten daher bei Beschaffungen ihre Bewertungskriterien so formulieren, dass der Nachhaltigkeit von Dienstleistungen, von Produkten und von Produktionsprozessen ein besonderer Stellenwert eingeräumt wird. Die Verwaltung von Bund und Länder ist gefordert, Vergabebedingungen so anzupassen, dass Nachhaltigkeit zu einem wesentlichen Kriterium wird. Hier hat die öffentliche Hand ein Steuerungsinstrument, um durch die entsprechenden Kriterien die nachhaltige Entwicklung zu fördern.

 

Kommunen, Länder und der Bund müssen bei der Prüfung von Beschaffungen dem Kriterium der Nachhaltigkeit größeres Gewicht beimessen und teurere, aber sich langfristige auszahlende nachhaltige Beschaffungen sowohl von Dienstleistungen als auch von Gütern nicht monieren. Staatliche Einrichtungen wie z.B. Schulen sollten in diesem Bereich vorbildlich handeln.

 

Gesellschaftlicher Zusammenhalt

 

Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildung sind per se Bildungsorte und nicht lediglich Orte sinnvoller Freizeitgestaltung. Als sogenannte Dritte Orte, die weder die eigene Wohnung, noch der Arbeitsort und auch nicht kommerziell geprägt sind, bieten sie Raum für Begegnungen, um gesellschaftliche Diskurse zu führen und Reflexion anzuregen. Sie sind damit auch Resonanzräume für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft.

 

Dritte Orte müssen architektonisch und baukulturell angemessen sein. An sie sind nicht nur funktionale, sondern auch ästhetische, atmosphärische und räumliche Ansprüche zu stellen, damit die Bevölkerung sie gerne nutzt. Damit Dritte Orte ihre Wirkung entfalten können, müssen sie sowohl in urbanen Zentren als auch im ländlichen Raum präsent und gut erreichbar sein. Sie müssen inklusiv sein, um auch für Menschen mit Beeinträchtigungen offen zu stehen. Damit kann das Ziel 11 der UN-Agenda 2030 (Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten) verwirklicht werden.

 

Der Deutsche Kulturrat hat bereits in diversen Stellungnahmen[1] die Bedeutung von kultureller Bildung für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft unterstrichen. Hierzu zählen seine Stellungnahmen zu den künstlerischen Schulfächern, zur außerschulischen kulturellen Bildung sowie zur kulturellen Erwachsenenbildung1. Der Zugang zu Wissen und Information leistet einen Beitrag zur Demokratie, denn der informierte Diskurs ist ein Herzstück der demokratischen Auseinandersetzung und Voraussetzung für eine lebendige und offene Gesellschaft, die ihre Lösungen im gemeinsamen Austausch sucht und probiert. Bildung ist dabei weit mehr als Wissensvermittlung: Bildung ist auch Persönlichkeitsentwicklung, Entwicklung von Haltung und ein Weg zu Gestaltungskompetenz und zu mehr Mut zur Einmischung.

 

Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildung sind Reallabore zum Erproben, Debattieren und Erproben von innovativen und nachhaltigen Lösungen. Die Verwirklichung von Ziel 4 der UN-Agenda 2030 (Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern) obliegt sowohl den Akteuren als auch den verantwortlichen und zuständigen Stellen der non-formalen wie der formalen Bildung.

 

Kulturelle Teilhabe schließt den inklusiven, lebensbegleitenden Zugang zu kultureller Bildung ein, die flächendeckend und für jeden einzelnen Menschen zunächst in den Orten formaler Bildung gewährleistet werden muss. Darüber hinaus sind Kultureinrichtungen und Einrichtungen kultureller Bildung gefordert. Hier wird in einigen Einrichtungen bereits vieles geleistet und erprobt. Es bestehen aber noch Leerstellen, abseits von temporären Projekten tatsächlich allen Menschen in Deutschland lebensbegleitend den Zugang zu kultureller Bildung zu ermöglichen.

 

Die digitale Bildung erweitert die Zugangschancen und die Möglichkeiten der kulturellen Teilhabe. Mit Blick auf die Zugänglichmachung des kulturellen Erbes hat sich der Deutsche Kulturrat in dieser Hinsicht bereits positioniert und auf neue Teilhabemöglichkeiten verwiesen[2]. Die Digitalisierung eröffnet aber ebenfalls Zugangschancen zu zeitgenössischer Kunst und Kultur sowie zu kultureller Bildung. Die Potenziale hierfür sind noch nicht ausreichend ausgeschöpft.

 

In diesem Kontext besteht weiterer Ausbaubedarf an lokalen Bildungslandschaften, in denen auch die digitale Bildung eine Rolle spielt. Hier sind Investitionen in die Hardware und die Weiterentwicklung pädagogischer Konzepte erforderlich. Hierzu hat der Deutsche Kulturrat in seiner Stellungnahme vom 04.01.2021 zur Digital-Allianz Bildung Position bezogen[3].

 

Der Deutsche Kulturrat fordert darüber hinaus unabhängig von einem Förderprogramm Digitalpakt 2.0, die digitale Bildung sowohl durch einen Ausbau der technischen Infrastruktur als auch durch Investitionen in Personal voranzubringen. Dazu zählt ebenso eine Fort- und Weiterbildungsoffensive für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildung. Unverzichtbar ist für den Deutschen Kulturrat ferner eine angemessene Vergütung der Rechteinhaber bei digitalen Nutzungen.

 

Lokale Bildungslandschaften zeichnen sich weiter durch die Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure aus, seien es Schule und außerschulische Bildung, Kultureinrichtungen und Einrichtungen und andere Akteure der kulturellen Bildung, die der Umweltbildung und viele andere mehr.

 

Der Deutsche Kulturrat sieht insbesondere in der Zusammenarbeit von Akteuren der kulturellen Bildung mit jenen der Umweltbildung noch viele bislang ungenutzte Potenziale, um die UN-Agenda 2030 gesamtgesellschaftlich noch mehr zu verankern.

 

Es ist daher sehr bedauerlich, dass der Fonds Nachhaltigkeitskultur des Rates für Nachhaltige Entwicklung eingestellt wird. Gerade dieser Fonds zeichnete sich dadurch aus, dass Brücken zwischen zwei unterschiedlichen Bildungsbereichen geschlagen wurden und neue Kooperationen im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung eingegangen wurden.

 


 

[1] Beispielhaft zu nennen sind folgende Stellungnahmen: Offensive für kulturelle Erwachsenenbildung vom 12.02.2019; Künstlerische Schulfächer sind unverzichtbarer Teil des schulischen Bildungsauftrags vom 25.03.2015; Für eine Verantwortungspartnerschaft in der kulturellen Bildung für Kinder und Jugendliche vom 18.06.2014

[2] Siehe hierzu u.a. die Stellungnahme „Kulturerbe und Digitalisierung“ vom 31.03.2016

[3] Siehe hierzu Stellungnahme „Digital-Allianz Bildung auf den Weg bringen“ vom 04.01.2021


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