1. Februar 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturpolitischer Wochenreport

5. KW: Heimat, Lohrheim, Wachgeküsst, ...


... Wir müssen reden, Leipziger Buchmesse, Buchempfehlung

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

der Begriff „Heimat“ ist schillernd. Zurzeit hat er Konjunktur und dies nicht erst seit es ein Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gibt. Die verschiedenen Parteien im Deutschen Bundestag, von rechts bis links, versuchen sich dem Begriff zu nähern und auch der Deutsche Kulturrat setzt sich in einem auf zwei Jahre angelegten Projekt mit dem Spannungsfeld von Heimat und Nachhaltigkeit auseinander. Ausgangspunkt ist hier die Frage: „Heimat – was ist das?“.

 

Was ist Heimat? Ist Heimat der Geburtsort? Ist Heimat ein Sehnsuchtsort? Ist Heimat ein Gefühl? Ist Heimat der Ort, an dem ich lebe? Im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm wird das deutsche Wort „Heimat“ mit dem lateinischen Worten „patria“ sowie „domicilium“ übersetzt. Althochdeutsch heißt es „heimôti“ und wird im mittelhochdeutschen zu „heimuot“. Wobei das mittelhochdeutsche „muot“ nicht mit dem neuhochdeutschen „Mut“ zu übersetzen ist, sondern mit „Denken“, „Ansicht“, „Einstellung“ oder „Absicht“. D. h. bereits in seinem Wortstamm und in seiner Wortgeschichte handelt es sich bei „Heimat“ um ein Wort, das sich eben nicht in erster Linie auf einen Ort oder einen politischen Zusammenhang (Latein: patria, Deutsch: Vaterland), sondern vielmehr auf Ansichten oder Einstellungen bezieht. Die literarischen Beispiele zur Verwendung des Begriffs „Heimat“ im Grimmschen Wörterbuch beziehen sich auf die Hebräische Bibel, hier besonders das Buch Mose, oder vielfach auf Texte der Romantik oder Autoren des bürgerlichen Realismus.

 

Die literarische Verwendung des Begriffs „Heimat“ macht den Bedeutungsgehalt des Wortes meines Erachtens sehr gut deutlich. Mit „Heimat“ wird sehr oft das beschrieben, was nicht mehr ist, was schmerzlich vermisst wird, was im Rückblick in einem ganz neuen, vielfach glänzenden Licht erscheint. Die Romantik als literarische Epoche, die sich bewusst von der Aufklärung absetzte und sehr oft das Unheimliche zum Gegenstand hatte, schaute zurück. Das Mittelalter erschien in jener Zeit in einem ganz neuen Glanz. Nicht mehr die Pestilenz stand im Vordergrund, sondern die Epen von tapferen Rittern und tugendhaften Damen, die, kleiner Aperçu am Rande, zumeist Nachdichtungen französischer Epen waren.

 

Eine besondere Stärke des bürgerlichen Realismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die Naturbeschreibung, wenn etwa Adalbert Stifter im „Nachsommer“ über Seiten Bäume, die an fließenden Gewässern stehen, beschreibt und die heile Natur beschwört. Gleichzeitig brach sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts mit der fortschreitenden Industrialisierung der Raubbau an der Natur Bahn. Die Naturalisten stellten genau diesen Raubbau an Menschen und Natur in den Mittelpunkt ihres literarischen Schaffens.

 

Heimat oder auch Naturbetrachtung, insbesondere der deutsche Wald, gewinnen in der Literatur an Relevanz, wenn die Welt im Umbruch ist, wenn eben alles nicht mehr so schön ist, wie in der Dichtung beschrieben. Nicht von ungefähr hat darum meines Erachtens heute der Begriff „Heimat“ Konjunktur. Viele Menschen spüren im Privaten, aber auch im gesellschaftlichen Zusammenleben das Wegbrechen alter Gewissheiten. Menschen in Ostdeutschland ohnehin, die in einem seit nunmehr 30 Jahre dauernden Transformationsprozess unter Dauerstress gesetzt sind. Aber auch die Bevölkerung an anderen Orten Deutschlands erleben die Umbrüche oftmals als ein Stakkato der Zumutungen. Die Digitalisierung der Arbeitswelt, der Anspruch jederzeit verfügbar zu sein, die Entgrenzung von Arbeit und Leben, die Industrialisierung der Landwirtschaft und nicht zuletzt die weltweiten Migrationsbewegungen zeigen, die Welt ist in Bewegung.

 

Diese Bewegung kann ebenso Angst machen, wie der Verlust anderer Gewissheiten wie beispielsweise der Bedeutung der Volksparteien für die deutsche Demokratie. Es entsteht hieraus auf der einen Seite eine Sehnsucht nach Heimat, nach der Zeit, in der tatsächlich oder vermeintlich alles noch in Ordnung war. Diese Sehnsucht ist sehr oft verbunden, mit einer Suche nach Identität, die dann eher im gestern als im heute verortet wird. Auf der anderen Seite gibt es jene, die Heimat als Kitsch und Romantisierung aburteilen oder gleich den Begriff ausschließlich den Rechtspopulisten zuordnen. Ich halte letztere Haltung für kurzsichtig und falsch.

 

Ich bin der festen Überzeugung, dass Heimat wie andere Begriffe auch inhaltlich gefüllt werden muss. Deutschland ist heute die Heimat vieler hier lebender Menschen. Jener, die hier geboren wurden und jener, die freiwillig oder auch unfreiwillig hierhergekommen sind. Gerade Deutschland zeichnet sich durch eine sehr große Vielfalt aus. Der Norddeutsche kann nicht mit dem Bayern verwechselt werden. Westfalen und Rheinländer befinden sich wie Schwaben und Württemberger erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einem Bundesland. Die Vielfalt an Dialekten, an Brauchtum, an Sprachen machen Deutschland aus. Diese Vielfalt wird seit vielen Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten durch Migrantinnen und Migranten bereichert, die ihrerseits zu einem großen Teil längst Franken, Ostfriesen, Sachsen oder auch Mecklenburger geworden sind.

 

Die Bedeutung der Heimat wird vermutlich erst in der Ferne so richtig begreifbar. Der Exilant Heinrich Heine schrieb in „Deutschland. Ein Wintermärchen“:

 

„Und als ich an die Grenze kam,
Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen
In meiner Brust, ich glaube sogar
Die Augen begunnen zu tropfen.
Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
Da ward mir seltsam zumute;
Ich meinte nicht anders, als ob das
Herz Recht angenehm verblute.“

 

Wer längere Zeit im Ausland gelebt hat, weiß, welche Bedeutung auf einmal deutsche Speisen bekommen können, welche Relevanz die deutsche Sprache hat und wie klein auf einmal die Unterschiede der kulturellen Vielfalt innerhalb Deutschlands werden. Und genauso wie es vielen Deutschen im Ausland geht, ergeht es vielen Migrantinnen und Migranten in Deutschland. Auch wer längst Deutsche oder Deutscher ist, kennt die Sehnsuchtsorte der Kindheit, die Sprache und die Erzählungen der Heimat, das heimatliche Essen. Die Suche nach den Wurzeln, teilweise auch nach der Religion gehören für viele Menschen zur Auseinandersetzung mit der Heimat.

 

Heimat ist nichts Statisches und wahrscheinlich für jeden Menschen etwas anderes. Wenn der eine mit Heimat die norddeutsche Tiefebene assoziiert, sind es für den anderen dichte Wälder, für noch jemand anderen das Lärmen der Großstadt oder aber etwas ganz anderes. Entscheidend ist meines Erachtens, dass der Begriff „Heimat“ eben nicht missbraucht, sondern in seiner Offenheit für jede und jeden gesehen wird.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 

PS. In der nächsten Woche erscheint kein kulturpolitischer Wochenreport, da ich im Urlaub bin. Shalom.

 


 

Neue Texte zur Heimat-Debatte und eine filmische Reise nach Lohrheim

 

Heimat ist in aller Munde – nicht zuletzt, weil es nicht einen Heimatbegriff gibt, sondern die Suche nach Heimat und damit verbundener Identität meist ein ganzes Leben andauert. Die folgernden Texte widmen sich der Suche nach Heimat – Identität. Eine Rolle spielen dabei unter anderem Religion und Ehrenamt als identitätsstiftende Faktoren, der Gegensatz zwischen Land und Stadt, Perspektiven von Minderheiten wie Sinti und Roma oder Sorben und vieles mehr.

 

Blick auf meinen Heimatort Lohrheim im Taunus: Lohrheim ist eine Gemeinde von rund 580 Einwohnern, die im Rhein-Lahn-Kreis liegt, unweit von Limburg. Lutz Näkel hat die „Hauptstraße“ von Lohrheim für den SWR portraitiert.

 

 


 
Wachgeküsst – Gemeinsame Perspektive für eine Kulturpolitik von Bund und Ländern

 

Am Montag, den 28. Januar 2019, fand die Veranstaltung „Wachgeküsst – Gemeinsame Perspektive für eine Kulturpolitik von Bund und Ländern“ der Staatsbibliothek zu Berlin, der Kulturstiftung der Länder und des Deutschen Kulturrates im Wilhelm-von-Humboldt-Saal der Staatsbibliothek zu Berlin statt.

 

Hier sehen Sie Statements zur Veranstaltung von Dr. h.c. (NUACA) Barbara Schneider-Kempf, Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Dr. Günter Winands, Amtschef der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Senator Dr. Carsten Brosda, Vorsitzenden der neuen Kulturministerkonferenz, Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber des Buches „Wachgeküsst“.

 

Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, spricht über gemeinsame Lösungsstrategien für den Umgang mit Sammlungsgütern aus kolonialen Kontexten (zum Video).

 

Carsten Brosda, Vorsitzender der neuen Kulturministerkonferenz, spricht über die Fragen und Themen, die die neu gegründete Kulturministerkonferenz in der KMK bearbeiten wird u.a. Digitalisierung, kulturelle Bildung und Post-Kolonialismus (zum Video).

 

Günter Winands, Amtschef der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, spricht über die Herausforderungen, vor denen die neue Kulturministerkonferenz bei der KMK steht (zum Video).

 

Barbara Schneider-Kempf, Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, beschreibt die Rolle der Staatsbibliothek zu Berlin (zum Video).

 

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber des Buches „Wachgeküsst“, spricht über das vor uns liegende spannende kulturpolitische Jahr 2019 und dessen kulturelle Herausforderungen wie Digitalisierung und Rechtsradikalismus (zum Video).

 

Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, spricht über große Herausforderungen im Kulturbereich wie digitale Transformationen und die Einbindung der Länder in die benötigten gemeinsamen Lösungsstrategien (zum Video).

 

Weitere Statements finden Sie hier.

 


 

Neue Politik & Kultur ist erschienen

 

  • Politik & Kultur ist die Zeitung des Deutschen Kulturrates. Sie wird herausgegeben von Olaf Zimmermann und Theo Geißler.

 

 

 


 

Save the date: Wir müssen reden! Aber mit wem? Und wie? Das demokratische Gespräch in der Krise.

 

  • Zeit: 20.02.2019, 19:00 Uhr
  • Ort: KulturForum St. Matthäus, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin

 

Podium:

 

  • Sebastian Kleinschmidt, Autor
  • Julia Helmke, Deutschen Evangelischen Kirchentag
  • Olaf Zimmermann, Deutscher Kulturrat
  • Ludwig Greven, Publizist

 

Moderation: Hans Dieter Heimendahl, Deutschlandfunk Kultur

 

Europa hört auf, grenzenlos zu sein, das Vertrauen in die Demokratie schwindet, die Autonomie der Künste wird angegriffen – allgemeingültige verstandene Grundprinzipien der offenen Gesellschaft drohen ihre Gültigkeit zu verlieren. Wie gehen wir mit diesen Veränderungen um? Können wir mit dem Diskurs den Diskurs retten? – Zweimal im Jahr stellen sich der Deutsche Kulturrat, das Kulturbüro der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Stiftung St. Matthäus in Kooperation mit dem Deutschlandfunk Kultur der Frage nach aktuellen gesellschaftlichen Umbrüchen und ihren kultur- und gesellschaftspolitischen Konsequenzen – bundesweit zu empfangen über Deutschlandfunk Kultur.

 

Eine Kooperationveranstaltung von KulturForum St. Matthäus, Kulturbüro der EKD, Deutschen Kulturrat und Deutschlandfunk Kultur

 

Eintritt frei

 

Weitere Informationen finden Sie hier.

 


 

Vorankündigung: Buchmesse Leipzig Was ist Künstliche Intelligenz tatsächlich? Wer denkt da?

 

Ein Diskussionsveranstaltung auf der Leipziger Buchmesse mit Eva Leipprand, Nina George, Olaf Zimmermann und Sven Gábor Jánszky. Moderation Regine Möbius.

 

Wann: 21 März 2019, 16:00 Uhr
Wo: Leseinsel Religion: Halle 3, Stand A200

 

Eine Veranstaltung des Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS in ver.di) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kulturrat.

 


 

Buchempfehlung: Wachgeküsst – die neue Kulturpolitik des Bundes

 

Das Buch „Wachgeküsst. 20 Jahre neue Kulturpolitik des Bundes 1998-2018“ bietet einen Überblick über die wichtigsten Themen der Bundeskulturpolitik der letzten zwanzig Jahre.

 

Urheberrecht, Kulturgutschutz, Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, Provinienzforschung, Filmförderung, Religion, Medien, Stiftungsreform, Künstlersozialversicherung, Kulturwirtschaft, Computerspiele, Erinnerungspolitik, Reformation, Digitalisierung, Kulturfinanzierung, Inklusion, Vielfalt und Diversität, das komplizierte Verhältnis zwischen Bund und Ländern in Kulturfragen, Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, …

 

Wer wissen will, was die neue Bundeskulturpolitik seit 1998 ausmacht und sich darüber informieren will, wie der Weg für eine sichtbare Bundeskulturpolitik bereitet wurde, für den ist das Buch unverzichtbar.

 

Olaf Zimmermann (Hg.) Wachgeküsst: 20 Jahre neue Kulturpolitik des Bundes 1998-2018
492 Seiten, Fadenheftung, ISBN 978-3-947308-10-1, 22,80 Euro

 

 


Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat

Adresse: https://www.kulturrat.de/presse/kulturpolitischer-wochenreport/5-kw/