13. August 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Positionen

Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zum Diskussionsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts


Berlin, den 13.08.2020. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, begrüßt, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts vorgelegt hat. Die Umsetzung der DSM-Richtlinie ist – fernab der polarisierten politischen Diskussion – rechtstechnisch komplex und die frühzeitige Beteiligung aller Interessenträger damit grundsätzlich begrüßenswert. Dennoch gibt der Deutsche Kulturrat zu bedenken, dass das BMJV mit dem Zwischenschritt des Diskussionsentwurfs erneut einen Vorschlag öffentlich auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene zur Diskussion stellt, der die Ressortabstimmung nicht durchlaufen hat. Der Deutsche Kulturrat bedauert zugleich, dass das Gesetzgebungsverfahren für ein Erstes Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts bereits seit Monaten nicht fortgesetzt wird. Mit diesem Entwurf sollten bestimmte Regelungsgegenstände, wie insbesondere die Verlegerbeteiligung an den gesetzlichen Vergütungsansprüchen, beschleunigt umgesetzt werden. Der Deutsche Kulturrat bittet die Bundesregierung deshalb, das Gesetzgebungsverfahren für dieses erste Umsetzungsgesetz nunmehr mit Nachdruck weiter zu betreiben.

 

Der Deutsche Kulturrat bündelt mit der vorliegenden Stellungnahme zum Entwurf des zweiten Umsetzungsgesetzes die gemeinsamen Positionen seiner Mitglieder. Zu seinen Mitgliedern gehören Verbände aus verschiedenen künstlerischen Sparten (Musik, darstellende Künste, Literatur, bildende Kunst, Baukultur und Denkmalpflege, Design, Film, Rundfunk und audiovisuelle Medien sowie Soziokultur und kulturelle Bildung). Das Mitgliederspektrum umfasst dabei sowohl Verbände der Urheber und ausübenden Künstler als auch Verwerterverbände sowie Zusammenschlüsse von Bildungs- und Kulturinstitutionen.

 

Am 11.09.2019 hat der Deutsche Kulturrat im Rahmen des Konsultationsverfahrens des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Umsetzung der „EU-Richtlinie über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt“ Stellung genommen. Weiter hat der Deutsche Kulturrat zum „Entwurf eines ersten Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts“ Position bezogen. Auf beide Stellungnahmen wird ergänzend verwiesen.

 

I. Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz

 

Der Deutsche Kulturrat hält den regulatorischen Ansatz, ein neues Gesetz zur Umsetzung von Art. 17 DSM-Richtlinie zu schaffen, grundsätzlich für möglich. Rechtlich bedenklich ist aber das damit verfolgte inhaltliche Konzept. Es ist sehr fraglich, ob mit Art. 17 DSM-Richtlinie ein neues – eigenständiges – Recht der öffentlichen Wiedergabe für urheberrechtlich geschützte Werke, die von Nutzern der Dienste auf Plattformen hochgeladen werden, geschaffen wurde. Vielmehr geht es nach hiesiger Einschätzung weiterhin um das – ausschließliche – Recht der öffentlichen Wiedergabe i.S. d. Art. 3 InfoSoc-Richtlinie; neu begründet wurde durch Art. 17 DSM-Richtlinie lediglich ein spezielles Haftungsregime für Diensteanbieter, die unter die Definition des Art. 2 Abs. 6 DSM-Richtlinie fallen und die nun unter bestimmten Voraussetzungen für eine Verletzung des Rechts der öffentlichen Wiedergabe durch die Nutzer des Dienstes selbst haften. Der Deutsche Kulturrat hält es deshalb für problematisch, dass im Rahmen des vorgeschlagenen neuen Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetzes (UrhDaG) die Vorgaben der InfoSoc-Richtlinie offenbar keine Anwendung finden sollen. Das gilt insbesondere in Bezug auf die – in der InfoSoc-Richtlinie nicht vorgesehene – Schrankenregelung nach § 6 UrhDaG-E. Weder die Protokollerklärung der Bundesregierung noch „Forderungen im politischen Raum“ (vgl. S. 35 der Begründung) können insoweit als tragfähige rechtliche Begründung herangezogen werden.

 

Im Übrigen äußert sich der Deutsche Kulturrat zu einzelnen Vorschriften des UrhDaG wie folgt:

 

§ 2 UrhDaG-E Diensteanbieter

 

Grundsätzlich begrüßt der Deutsche Kulturrat den Ansatz, in Bezug auf die Verpflichtungen der Diensteanbieter klare Regelungen zu schaffen. Die Kategorie der „kleinen Diensteanbieter“ nach § 2 Abs. 3 UrhDaG ist in der DSM-Richtlinie allerdings nicht vorgesehen. Nach hiesiger Einschätzung rechtfertigt es der in Art. 17 Abs. 5 DSM-Richtlinie erwähnte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht, generelle Haftungsprivilegien für bestimmte Gruppen von Unternehmen einzuführen. Explizite Sonderregelungen für Diensteanbieter bestehen lediglich nach Art. 17 Abs. 6 DSM-Richtlinie; hierauf sollte die Umsetzung beschränkt werden.

 

§ 3 UrhDaG-E Nicht erfasste Dienste

 

Der Gesetzentwurf übernimmt in Bezug auf nicht erfasste Dienste weitgehend den Wortlaut des Art. 2 Nr. 6 UA 2 DSM-Richtlinie; das ist zu begrüßen. Problematisch ist allerdings, dass es sich insoweit lediglich um Regelbeispiele handeln soll; ein solcher Ansatz sollte aus Gründen der Rechtssicherheit möglichst vermieden werden.

 

§ 4 UrhDaG-E Vertragliche Nutzungsrechte

 

Der Entwurf sieht vor, dass nur bestimmte Angebote von Nutzungsrechten von den Diensteanbietern beachtet werden müssen. § 4 Abs. 1 UrhDaG dürfte die Vorgaben der DSM-Richtlinie insofern nicht richtlinienkonform umsetzen. Diese sieht eine mögliche Eigenhaftung der Dienstanbieter unabhängig davon vor, ob Rechteinhaber zuvor Lizenzangebote unterbreitet haben. Hier geht der Entwurf unter Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erneut – zu Gunsten der Dienstanbieter deutlich über das hinaus, was in der DSM-Richtlinie angelegt ist. Auch wenn es durchaus sinnvoll sein kann, dass Nutzungsrechte für bestimmte Werkkategorien oder geschützte Leistungen von Verwertungsgesellschaften in Bezug auf die Diensteanbieter wahrgenommen werden, so sollte es doch auch möglich sein, dass individuelle Rechtsinhaber unmittelbar relevante Angebote machen können, die von den Dienstanbietern zu beachten sind. Der Entwurf sieht dies nur vor, wenn die Nutzungsrechte sich auf ein repräsentatives Repertoire beziehen und darüber hinaus die Nutzung „zu angemessenen Bedingungen“ ermöglichen; diese Kriterien, die überdies unbestimmt sind, dürften aber von individuellen Rechtsinhabern nur ausnahmsweise erfüllt werden.

§ 5 UrhDaG-E Maschinell nicht überprüfbare gesetzlich erlaubte Nutzungen

 

Art. 17 Abs. 7 UA 2 DSM-Richtlinie gibt zwingend vor, dass die dort genannten Schrankenregelungen einzuführen sind. Dessen ungeachtet ist hier – wie auch bei § 51 UrhG-E – sehr problematisch, dass der Umfang der erlaubten Nutzungen unklar bleibt. Das gilt vor allem für die neue „Pastiche“-Schranke, die ausweislich der Begründung weitreichende Nutzungsmöglichkeiten zulässt. Es kommt hinzu, dass insoweit keinerlei Vergütung vorgesehen ist. Auf die weiteren Ausführungen zu § 51 UrhG-E (vgl. unten) wird verwiesen. Klargestellt werden sollte im Normtext, dass nur veröffentlichte urheberrechtlich geschützte Werke genutzt werden dürfen. Ferner ist klarzustellen, dass es sich bei dem Verweis nach § 5 Nr. 3 UrhDaG-E auf die gesetzlichen Schrankenregelungen nach Teil 1 Abschnitt 6 UrhG um eine Rechtsgrundverweisung (auch in Bezug auf die Vergütungsansprüche) und nicht etwa um eine Rechtsfolgenverweisung handelt.

 

§ 6 UrhDaG-E Maschinell überprüfbare gesetzlich erlaubte Nutzungen

 

Der Deutsche Kulturrat hält den Vorschlag für eine neue „Bagatellschranke“ für europarechtlich sehr zweifelhaft. Er dürfte überdies in der jetzigen Form in Widerspruch zu den Verpflichtungen Deutschlands durch internationale Verträge wie das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums („TRIPS“), der Revidierten Berner Übereinkunft (RBÜ) und des WIPO Copyright Treaty (WCT) stehen. Zwar ist zu begrüßen, dass bei dieser Schrankenregelung ein gesetzlicher Vergütungsanspruch vorgesehen ist. Problematisch ist aber, dass der abschließende Katalog der InfoSoc-Richtlinie eine solche Schranke nicht kennt (vgl. Erwägungsgrund 32 InfoSoc-Richtlinie). Für die allgemeine Auslegung der Schranken bleiben jedoch Art. 5 Abs. 3, 5 InfoSoc-Richtlinie einschlägig (vgl. Art. 25 DSM-Richtlinie). Art. 1 Abs. 2 DSM-Richtlinie ordnet insofern ausdrücklich an, dass die Info-Soc-Richtlinie „in keiner Weise“ beeinträchtigt wird. Wie oben bereits ausgeführt, ist die Annahme eines sui generis Recht nicht überzeugend, weil es bei der Nutzung der Werke auf Plattformen (weiterhin) um das Recht der öffentlichen Wiedergabe i. S. d. InfoSoc-Richtlinie geht. Es kommt hinzu, dass der erlaubte Nutzungsumfang sehr weitgehend ist und den Primärmarkt – entgegen der Begründung (vgl. S. 88) – durchaus beeinträchtigen kann. So sind bspw. viele Gedichte, aber auch Presseartikel, kürzer als 1000 Zeichen; auch können 1000 Zeichens eines Nachschlagewerks oder Bildungsmediums oder 20 Sekunden eines Filmwerkes oder eines Sportereignisses (z.B. eines Fußballspieles) die entscheidende Sequenz ausmachen. Gleiches gilt für Musik; bei Lichtbildern oder Grafiken können nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 UrhDaG-E sogar ganze Werke in einer Datenqualität genutzt werden, die auch bei lizenzierten Inhalten nicht unüblich ist und nicht hinter dem heutigen Standard für Bild-Nutzungen in Social Media zurückbleibt. Schließlich ist im Hinblick auf den Umfang der Nutzung nicht ersichtlich, worauf sich die Beschränkung in § 6 Abs. 1 Nr. 4 UrhDAG-E „je eines/je einer“ bezieht.

 

§ 7 UrhDaG-E Direktvergütungsanspruch für vertragliche Nutzungen, angemessene Vergütung gesetzlich erlaubter Nutzungen

 

Die Mitglieder des Deutschen Kulturrats vertreten im Hinblick auf den in § 7 UrhDaG-E vorgeschlagenen Direktvergütungsanspruch unterschiedliche Positionen; insoweit wird deshalb von einer Stellungnahme abgesehen.

 

§ 8 UrhDaG-E Kennzeichnung erlaubter Nutzungen

 

Grundsätzlich ist gegen den Ansatz des „Pre-Flagging“ nach § 8 UrhDaG-E wenig einzuwenden. Problematisch ist aber, dass die Kennzeichnung nach § 8 Abs. 2 UrhDaG-E, soweit sie nicht offensichtlich unzutreffend ist, dazu führt, dass bis zu einer Entscheidung über eine etwaige Beschwerde der jeweilige Inhalt auf der Plattform verbleibt und diese – sowie nach § 8 UrhDaG-E auch der Nutzer des Dienstes – nach § 16 UrhDaG-E nicht haftet. Es kommt hinzu, dass in diesen Fällen vielfach auch keine Vergütung seitens der Diensteanbieter gezahlt werden wird. Kommt es zu keiner Beschwerde, so besteht damit für Plattform und deren Nutzer keinerlei Risiko, selbst wenn die Voraussetzungen für die Kennzeichnung nicht vorliegen. Es obliegt demnach nicht den Nutzern der Dienste, für eine Falscheinschätzung in Bezug auf die Zulässigkeit der Nutzung einzustehen, vielmehr muss der Urheber oder sonstige Rechtsinhaber bis zu einer Entscheidung im Beschwerdeverfahren die (unzulässige) Nutzung hinnehmen. Die Feststellung, dass eine Kennzeichnung offensichtlich unzutreffend i. S. d. § 12 UrhDaG-E ist, dürfte dabei in vielen Fällen nur schwer möglich sein und deshalb häufig nicht zu einer Sperrung und Entfernung des fremden Inhalts führen.

 

II. Änderungen des UrhG

 

§§ 20b bis 20c UrhG-E Umsetzung Online-SatCab-Richtlinie

 

Der Deutsche Kulturrat hält die Vorschläge zur Umsetzung der Online-SatCab-Richtlinie im Wesentlichen für sachgerecht.

 

§ 23 UrhG-E Einwilligungsbedürftige Bearbeitungen und Umgestaltungen

 

Bei der Neuformulierung des § 23 UrhG-E bleibt im Gesetzeswortlaut unklar, unter welchen Voraussetzungen ein „hinreichender Abstand zum verwendeten Werk“ gewahrt und deshalb eine Einwilligung des Urhebers entbehrlich ist. Nach der Gesetzesbegründung soll dies nur dann der Fall sein, wenn das vorbestehende Werk nicht mehr oder nur noch rudimentär zu erkennen ist; ein „innerer Abstand“ reicht dagegen nicht aus. Vorzugwürdig wäre es, diese Vorgabe in den Gesetzestext aufzunehmen.

 

§§ 32 Abs. 2 bis 41 Abs. 5 UrhG-E Urhebervertragsrecht

 

Der Deutsche Kulturrat hat sich stets für eine angemessene Vergütung von Urhebern und ausübenden Künstlern eingesetzt und unterstreicht erneut dieses Anliegen, welches grundsätzlich von allen Mitgliedern geteilt wird. Dessen ungeachtet werden zu den einzelnen Regelungsvorschlägen teilweise unterschiedliche Positionen vertreten, so dass auf eine detailliierte Stellungnahme verzichtet wird. Hingewiesen wird aber darauf, dass übereinstimmend Branchenlösungen in Form von gemeinsamen Vergütungsregeln und Tarifverträgen für sinnvoll gehalten werden, weil sie besonders geeignet sind, gesetzliche Vorgaben zum Vorteil aller Beteiligten auszugestalten. Die Regelung in § 32d Abs. 3 UrhG-E wird deshalb für problematisch gehalten; hier sollte erneut geprüft werden, ob die DSM-Richtlinie eine solche Vorgabe tatsächlich zwingend erfordert (vgl. Begründung S. 58).

 

§ 51a UrhG-E Karikatur, Parodie und Pastiche

 

Mit § 51a UrhG-E wird eine neue Schrankenregelung in das UrhG eingeführt, die Karikaturen, Parodien und Pastiches gesetzlich erlaubt. Soweit es um die auch bisher nach § 24 UrhG bereits erlaubten Parodien und Karikaturen geht, ist dagegen vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung (insbes. EuGH GRUR 2019, 929 – Pelham („Metall auf Metall“)) nichts einzuwenden. Völlig neu (und europarechtlich nur im Rahmen der Plattformhaftung nach Art 17 DSM Richtlinie tatsächlich geboten) ist aber im deutschen Recht die „Pastiche“-Schranke. Hier fehlt im Entwurf eine gesetzliche Definition, die in jedem Fall zwingend erforderlich wäre. Nach der Begründung können unter ein Pastiche offenbar alle möglichen Formen der Übernahme von fremden Werken fallen, ohne dass deutlich würde, welchen Zweck der Nutzer des Dienstes genau verfolgen muss. Insbesondere nutzergenerierte Inhalte im Internet unter Verwendung fremder Werke scheinen weitgehend von der Regelung abgedeckt zu sein. Hinzukommt, dass dies offenbar auch für kommerzielle Nutzungen gilt. Remix, Mashup, Cover, Sampling usw. wäre ohne weiteres erlaubt, obwohl derzeit für derartige Nutzungen Lizenzen erteilt und Vergütungen kassiert werden. Zumindest eine vergütungsfreie Nutzung, wie im Entwurf vorgesehen, dürfte deshalb mit dem 3-Stufen-Test kaum in Einklang zu bringen sein.

 

§ 61d UrhG-E Nicht verfügbare Werke

 

Die neue Schrankenregelung für die Nutzung von vergriffenen Werken steht in unmittelbaren Zusammenhang mit den Regelungsvorschlägen zu §§ 51b VGG-E; auf die dortigen Ausführungen wird verwiesen. Ausdrücklich begrüßt wird vom Deutschen Kulturrat, dass nach § 61d Abs. 5 UrhG-E für die Nutzung der nicht verfügbaren Werke eine Vergütung vorgesehen ist.

 

§ 68 UrhG-E Vervielfältigungen gemeinfreier visueller Werke

 

Gegenüber § 68 UrhG-E bestehen aus Sicht des Deutschen Kulturrats im Grundsatz keine Bedenken. Allerdings bleibt offen, was genau unter „visuellen Werken“ zu verstehen ist. Dies sollte im Gesetzestext klargestellt werden.

 

III. Änderungen des VGG

 

§ 51 VGG-E Kollektive Lizenzen mit erweiterter Wirkung

 

Der Vorschlag, Art. 12 DSM-Richtlinie in das deutsche Recht umzusetzen und eine generelle Regelung zur Vergabe von kollektiven Lizenzen mit erweiterter Wirkung zu schaffen, wird von den Mitgliedern des Deutschen Kulturrats ganz überwiegend begrüßt; teilweise wird der Vorschlag auch eher kritisch gesehen. Die Befürworter verweisen vor allem darauf, dass durch den Regelungsmechanismus kleinteilige Massennutzungen rechtssicher ermöglicht und gleichzeitig eine angemessene Vergütung zu Gunsten der Rechtsinhaber sichergestellt werden kann. Hinzu kommt, dass durch erweiterte kollektive Lizenzen Transaktionskosten bei allen Beteiligten erheblich gesenkt werden. Der Deutsche Kulturrat verweist aber darauf, dass es stets bei den von der Verwertungsgesellschaft vertretenen Rechtsinhabern liegen muss, darüber zu entscheiden, ob der Verwertungsgesellschaft Nutzungsrechte eingeräumt werden, die anschließend mit erweiterter Wirkung vergeben werden können.

 

In Bezug auf § 51 Abs. 3 Nr. 4 VGG-E wird gebeten zu überprüfen, ob der Begriff der „Unzumutbarkeit“ den Anwendungsbereich der Norm nicht zu sehr einschränkt. Art. 12 Abs. 2 DSM-Richtlinie lässt es hier ausreichen, dass die Einholung der Erlaubnis der Rechtsinhaber „beschwerlich und in einem Maße praxisfern ist, dass die erforderliche Erteilung der Lizenz unwahrscheinlich wird“. Diese Vorgaben dürften unterhalb der Schwelle der Unzumutbarkeit liegen.

 

Problematisch ist ferner, dass nach § 51 Abs. 3 Nr. 5 lit. a) VGG-E eine Verpflichtung der Verwertungsgesellschaft besteht, über individuelle Nutzungsdaten zu informieren. Da es bei den einschlägigen Verträgen in der Regel um Massennutzungen unterschiedlichster Art geht, werden häufig keine konkreten Nutzungsdaten vorliegen, über die informiert werden könnte. Ausreichend sollte es deshalb sein, wenn über den einschlägigen Vertrag sowie die genutzten Werkkategorien und betroffenen Rechtsinhabergruppen unterrichtet wird. Dies dürfte auch im Einklang mit Art. 12 Abs. 3 lit d) DSM-Richtlinie stehen, wonach „angemessene Informationsmaßnahmen“ ausreichend sind. Bei der Nutzung von nicht verfügbaren Werken (vgl. § 51b VGG-E) kann etwas anderes gelten, weil dort die Nutzungsdaten bei den Kulturerbe-Einrichtungen ohnehin erhoben werden.

 

§ 51a VGG-E Repräsentativität der Verwertungsgesellschaft

 

Erweiterte kollektive Lizenzen können nur von „repräsentativen“ Verwertungsgesellschaften vergeben werden. Diese Voraussetzung soll nach § 51a Abs. 1 VGG-E erfüllt sein, wenn einer Verwertungsgesellschaft von einer „erheblichen Anzahl von Berechtigten“ entsprechende Rechte eingeräumt wurden. Hier sollte in geeigneter Weise klargestellt werden, dass sich eine Repräsentativität für ausländisches Repertoire in der Regel nur aufgrund von Gegenseitigkeitsverträgen mit ausländischen Schwestergesellschaften ergeben kann. Die Vermutungswirkung nach § 51a Abs. 2 VGG-E dürfte im Übrigen nur zur Anwendung kommen, soweit es um deutsche Verwertungsgesellschaften und um Rechte am deutschen Repertoire geht.

 

§ 51b VGG-E Kollektive Lizenzen mit erweiterter Wirkung für nicht verfügbare Werke

 

Der Deutsche Kulturrat weist darauf hin, dass die Regelungen für nicht verfügbare Werke durch die DSM-Richtlinie zwingend vorgegeben werden und in Bezug auf vergriffene Werke bereits ein Vorbild im deutschen Recht haben (vgl. §§ 51 ff. VGG). Der Deutsche Kulturrat hat sich in der Vergangenheit bereits wiederholt positiv zu den Regelungen über vergriffene Werke geäußert, die letztlich auf Vorschläge der AG Digitale Bibliotheken der Deutschen Literaturkonferenz zurückgehen. Dessen ungeachtet betont der Deutsche Kulturrat, dass bei der – kulturpolitisch sinnvollen – Nutzung von nicht verfügbaren Werken die Rechte der Rechtsinhaber – und insbesondere die Urheberpersönlichkeitsrechte der Urheberinnen und Urheber – berücksichtigt werden müssen. Eine Nutzung von unveröffentlichten Werken sollte deshalb in der Regel ausgeschlossen sein.

 

In der praktischen Umsetzung sieht § 51b Abs. 3 Nr. 5 VGG-E vor, dass die Verwertungsgesellschaft die erforderlichen Informationen an das Online-Portal des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) weiterleitet. Hier erscheint es wichtig, im Gesetz – oder jedenfalls in der Verordnung nach § 51e VGG-E – sicherzustellen, dass die Kulturerbe-Einrichtungen verpflichtet sind, die Informationen an die Verwertungsgesellschaften weiterzuleiten. Sichergestellt werden muss auch, wie zu verfahren ist, wenn die Nutzung von (komplexen) Werken in den Zuständigkeitsbereich verschiedener Verwertungsgesellschaften fallen.

 

§ 51c VGG-E Nicht verfügbare Werke einschließlich vergriffener Werke

 

Bei der Definition von nicht verfügbaren Werken sollte klargestellt werden, dass es in der Regel nur um die Nutzung von veröffentlichten Werken gehen kann. Urheberpersönlichkeitsrechtlich ist eine generelle Nutzungsmöglichkeit für nicht veröffentlichte Werke problematisch. Auch Erwägungsgrund 37 DSM-Richtlinie weist ausdrücklich darauf hin, dass nationale Regelungen bezüglich der Persönlichkeitsrechte unberührt bleiben; § 12 UrhG sieht aber das Veröffentlichungsrecht als ein zentrales Urheberpersönlichkeitsrecht des Urhebers vor. Der bloße Verweis in § 51e Nr.7 VGG-E auf eine Regelung in der beabsichtigten Verordnung ist hier aus Sicht des Deutschen Kulturrats nicht ausreichend.

 

Die Bewertung der unwiderleglichen Vermutungsregelung nach § 51c Abs. 2 VGG-E hängt vor allem davon ab, was unter „vertretbaren Aufwand“ zu verstehen ist. Hier spricht – wegen der Reichweite der vorgeschlagenen Regelung – ebenfalls viel dafür, die Voraussetzungen eines vertretbaren Aufwands im Gesetz und nicht lediglich nach § 51e Nr. 7 VGG-E in der beabsichtigten Verordnung festzuschreiben.

 

Zu begrüßen ist die Einführung einer „moving wall“ in § 51c Abs. 3 VGG-E bei vergriffenen Schriftwerken. Fraglich ist, ob diese Regelung nicht generell – auch bei nicht verfügbaren Werken i. S. d. § 51c Abs. 1 VGG-E – vorgesehen werden sollte. Das würde möglicherweise in der Praxis zu erheblichen Vereinfachungen bei der Nutzung der Werke führen.

 

§ 51e VGG-E Verordnungsermächtigung

 

Grundsätzlich dürfte die Verordnungsermächtigung in § 51e VGG-E – und auch in § 61e UrhG-E – den Vorteil haben, dass schnell auf Bedürfnisse der Praxis reagiert werden kann. Dessen ungeachtet wird gebeten, nochmals genau zu prüfen, inwieweit zentrale Bestimmungen nicht besser bereits im Gesetz festgelegt werden. Das gilt insbesondere für die Repräsentativität von Verwertungsgesellschaften (§ 51e Nr. 5 VGG-E) sowie für die Verfügbarkeit von Werken und den erforderlichen vertretbaren Aufwand sowie die Wahrung der Persönlichkeitsrechte bei nicht veröffentlichten Werken (§ 51e Nr. 7 VGG-E).  Der Deutsche Kulturrat geht im Übrigen davon aus, dass die betroffenen Kreise vor dem Erlass der Verordnung in geeigneter Weise rechtzeitig einbezogen werden.

 

 


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