Robert Staats - 28. August 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Urheberrecht

Gesetzlich erlaubte Nutzungen


Die Schranken des Urheberrechts I

Ein rechtspolitisch häufig besonders umstrittener Bereich sind die sogenannten „Schranken“ des Urheberrechts. Was ist darunter zu verstehen? Ausgangspunkt ist, dass die vermögensrechtlichen Bestandteile des Urheberrechts als Eigentum im Sinne von Artikel 14 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich geschützt sind. Das ist unstreitig, zumal auch Artikel 17 Absatz 2 der EU-Grundrechtecharta explizit einen Schutz des geistigen Eigentums vorsieht. Inhalt und Schranken des Eigentums können aber – wie sich unmittelbar aus Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes ergibt – durch den Gesetzgeber bestimmt werden. Das Urheberrechtsgesetz kennt deshalb einen besonderen Abschnitt, in dem die Schranken des Urheberrechts geregelt sind. Der Begriff „Schranke“ bezeichnet demnach eine Beschränkung des Urheberrechts und nicht etwa eine Beschränkung von Werknutzungen durch das Urheberrecht. Spätestens seit dem Jahr 2017 kann es darüber auch keine Missverständnisse mehr geben, weil in das Gesetz der ausdrückliche Hinweis aufgenommen wurde, dass es sich bei Schranken um gesetzlich erlaubte Nutzungen handelt. Beweggründe des Gesetzgebers für Schrankenregelungen können sehr unterschiedlich sein. So können beispielsweise Informationsbedürfnisse der Allgemeinheit, Bildungs- und Wissenschaftszwecke, soziale und kulturelle Anliegen oder die Interessen der Rechtspflege eine Rolle spielen. Stets aber geht es darum, die Interessen von Urhebern, Verwertern und Nutzern angemessen zum Ausgleich zu bringen.

 

Bei diesem Interessenausgleich ist der deutsche Gesetzgeber nicht völlig frei. Vielmehr findet sich in der EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft (InfoSoc-RL) ein abschließender Katalog von Schrankenregelungen in Bezug auf die wichtigsten urheberrechtlichen Verwertungsrechte; es ist deshalb europarechtlich unzulässig, auf nationaler Ebene eine Schranke einzuführen, die in der InfoSoc-RL nicht erwähnt ist. Diese Vorgabe spielt auch bei der Diskussion des aktuellen Entwurfs des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) für ein „Zweites Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts“ eine wichtige Rolle, weil dort eine neue Schranke für Ausschnittnutzungen von Werken durch Upload-Plattformen vorgeschlagen wird.

 

Schrankenregelungen müssen außerdem stets verhältnismäßig sein und den sogenannten Dreistufentest bestehen, der ebenfalls in der InfoSoc-RL festgeschrieben ist. Dieser sieht vor, dass Ausnahmen und Beschränkungen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden dürfen (Stufe 1), in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird (Stufe 2) und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden (Stufe 3).

 

Ein wichtiger Punkt ist bei der Abwägung der unterschiedlichen Interessen, ob für die gesetzlich erlaubte Nutzung eine angemessene Vergütung zu zahlen ist. Weitgehende Schrankenregelungen werden nur dann verhältnismäßig sein und den Dreistufentest bestehen, wenn hierfür eine angemessene Vergütung gezahlt wird. Zwar kann auch eine gesetzlich vorgeschriebene Vergütung nicht jede Schrankenregelung rechtfertigen, aber sie eröffnet doch deutlich größere Spielräume für den Gesetzgeber. Das lässt sich an der bis heute aktuellen Entscheidung „Kirchen- und Schulgebrauch“ des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1971 gut nachvollziehen (BVerfG, Beschluss vom 7. Juni 1971 – 1 BvR 765/66). Damals ging es darum, ob auf der Grundlage einer gesetzlichen Schrankenregelung, dem sogenannten „Schulbuchparagraphen“, in Schulbüchern fremde Werke, wie z. B. Gedichte, abgedruckt werden durften, ohne dass hierfür eine Vergütung zu zahlen war. Das Bundesverfassungsgericht hat dies verneint und darauf hingewiesen, dass das Interesse der Allgemeinheit an einem ungehinderten Zugang zu den Kulturgütern zwar die gesetzlich erlaubte Nutzung rechtfertige, nicht aber, dass der Urheber sein Werk vergütungsfrei zur Verfügung stellen muss. Vor diesem Hintergrund sind – bis heute – Nutzungen von fremden Werken in Unterrichts- und Lehrmedien nur gegen Zahlung einer angemessenen Vergütung zulässig. Interessanterweise sah übrigens der ursprüngliche Regierungsentwurf des Schulbuchparagraphen einen Vergütungsanspruch vor, der aber aufgrund der Intervention des Bundesrats, die Länder befürchteten eine Verteuerung der Schulbücher, im weiteren Gesetzgebungsverfahren gestrichen wurde. Das war – wie sich später zeigte – ein Fehler.

 

Bedenklich ist es deshalb, dass der bereits erwähnte – jüngste – Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) nun eine neue Schranke vorschlägt, die unter anderem Nutzungen von Werken für Zwecke eines „Pastiches“ erlaubt. Nicht nur, dass unklar ist, was genau unter einem Pastiche zu verstehen ist, die Nutzungen sollen vielmehr auch ohne jede Vergütung zulässig sein.
Sehr problematisch ist auch, dass Verlage seit Jahren an den gesetzlich vorgesehenen Vergütungsansprüchen im Zusammenhang mit Schrankenregelungen nur unter besonderen Voraussetzungen partizipieren können. Derartige Vergütungsansprüche dienen – wie beschrieben – dem Interessenausgleich bei gesetzlich erlaubten Nutzungen, und die Interessen von Verlagen können dabei nicht ausgeblendet werden. Es ist deshalb dringend erforderlich, dass eine regelmäßige Verlegerbeteiligung an den gesetzlichen Vergütungsansprüchen wieder gesetzlich ermöglicht wird; ein entsprechender Vorschlag des BMJV im Diskussionsentwurf für ein Erstes Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes wird leider seit Monaten nicht weiter vorangebracht. Fortsetzung folgt.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.


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