Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz - 29. März 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Was fehlt? Einkommen!


Länder und Kommunen müssen die adäquate Vergütung von künstlerischen Leistungen sicherstellen

Oft wurde schon geschrieben, dass die aktuelle Corona-Pandemie wie in einem Brennglas die bestehenden Probleme im Kultur- und Medienbereich bündelt. Und auch wir haben verschiedene Beiträge in Politik & Kultur diesem Thema gewidmet. Gesetzliche Regelungen, die noch vor zwei Jahren mit eher spitzen Fingern angefasst wurden, wie die Arbeitslosenversicherung für Selbständige, bekommen heute den Charakter eines Rettungsankers. Weitere Maßnahmen zur Anpassung der sozialen Sicherungssysteme sind in der Diskussion.

 

Es ist richtig und gut, dass Bewegung in die soziale Absicherung von Selbständigen kommt. Dazu gehören die Verbesserung der Arbeitslosenversicherung für Selbständige, die Bemessung der Beiträge von Selbständigen in der Kranken- und Pflegeversicherung nach dem tatsächlichen Einkommen oder auch die Präzisierung der hauptsächlichen künstlerischen und der nebenberuflichen nichtkünstlerischen Tätigkeit bei Versicherten in der Künstlersozialversicherung, wenn es sich in beiden Fällen um eine selbständige Tätigkeit handelt – diese Themen gehören auf die Tagesordnung der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Debatten. Nicht vergessen werden sollte die Einbeziehung von Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung, die bereits seit drei Wahlperioden angekündigt wird, und nicht vom Fleck kommt. Alle diese Themen beschäftigen den Deutschen Kulturrat. In Stellungnahmen wurde und wird sich weiterhin hierzu positioniert und konkrete Vorschläge unterbreitet. Diese Vorschläge beziehen sich teilweise auf die in der Künstlersozialversicherung versicherten Künstlerinnen und Künstler, teilweise werden aber auch Veränderungen für die Selbständigen im Kultur- und Medienbereich angemahnt, die nicht Mitglied der Künstlersozialversicherung werden können, weil sie nicht künstlerisch oder publizistisch arbeiten.

 

Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik kann aber nur absichern, besondere Härten abmildern oder abfedern. Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist kein Instrument, um dauerhaft Einkommen zu sichern. Und genau darum muss es im Kultur- und Medienbereich jetzt gehen: Dreh- und Angelpunkt ist das Einkommen. Wenn mit der künstlerischen Arbeit ein zu geringes Einkommen erzielt wird, müssen die Betreffenden etwas hinzuverdienen. Das geringe Einkommen findet seine Entsprechung in einer geringen Rente, bei denjenigen, die in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Viele haben ein so geringes Einkommen während der Berufslaufbahn erwirtschaftet, dass sie noch nicht einmal Grundrente erhalten, weil ihr Durchschnittseinkommen weniger als ein Drittel des durchschnittlichen Einkommens der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten betragen hat. Nicht zu vergessen sind auch diejenigen, die als Selbständige aus dem Kulturbereich nicht Mitglied in der Künstlersozialversicherung werden können, weil sie zu Abgabepflichtigen gehören. Nicht jeder Verwerter künstlerischer Leistungen verdient sich die sprichwörtliche goldene Nase. So mancher ist zwar mit viel Enthusiasmus, aber wenig ökonomischen Ertrag dabei und kann daher, auch wenn längst das Rentenalter erreicht ist, nicht in den Ruhestand gehen.

 

Abhängig Beschäftigte

 

Das entscheidende Moment der Veränderung ist also die Verbesserung der Einnahmesituation. Es ist nicht akzeptabel, dass davon ausgegangen wird, dass Erwerbstätige im Kultur- und Medienbereich weniger Einkommen erzielen als in anderen Branchen. Das fängt bereits bei den abhängig Beschäftigten an. Laut Daten der Bundesagentur für Arbeit, die für die Studie „Frauen und Männer im Kulturmarkt“ des Deutschen Kulturrates im Jahr 2020 ausgewertet wurden, erzielen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Kulturberufen, die im Qualifikationsniveau Spezialisten tätig sind, im Durchschnitt ein geringeres Einkommen als die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten insgesamt im selben Qualifikationsniveau. Voraussetzung für eine Tätigkeit in diesem Qualifikationsniveau ist ein abgeschlossenes Hochschulstudium mit einem Master-, Magister-, Diplom- oder ähnlichem Abschluss. Keine Rolle spielt bei dieser Auswertung, ob die Tätigen in einem öffentlichen bzw. öffentlich-geförderten Kulturbetrieb oder einem privatwirtschaftlichen Unternehmen beschäftigt sind. Weiter weisen die Daten leider nicht aus, ob es sich um eine unbefristete oder befristete Beschäftigung handelt.

 

Eine wesentliche Aufgabe in der Corona- und Post-Corona-Zeit muss sein, die Beschäftigung zu sichern, befristete Arbeit abzubauen und die Beschäftigten adäquat zu bezahlen. Ohne Frage gehört zur Arbeit in Kultureinrichtungen, mit Expertinnen und Experten zusammenzuarbeiten, die für Spezialaufgaben eingesetzt werden und die entweder als Selbständige oder befristet Beschäftigte tätig sind. Wenn allerdings Selbständige Kernaufgaben in einer Einrichtung übernehmen oder aber ständig neue Projekte „erfunden“ werden müssen, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die gut eingearbeitet sind, weiter beschäftigt werden können, besteht ein Fehler im System. Diese Fehler müssen korrigiert werden. Das Personal ist im Kultur- und Medienbereich die wesentliche Ressource, es handelt sich um personalintensive Betriebe und die Kosten sind entsprechend.

 

Keine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen

 

Wenn jetzt schon Warnungen laut werden, dass massive Kürzungen im Kulturbereich anstehen werden, mag dies zwar auf den ersten Blick ehrlich sein, auf den zweiten ist es jedoch eine Ansage an sich verschlechternde Arbeitsbedingungen im Kulturbereich. Es kann sein, dass sich zu den jetzt schon vielfach am Existenzminimum lebenden Soloselbständigen weitere hinzugesellen werden, die derzeit noch – befristet – im Kulturbereich beschäftigt sind. Auch wenn die finanziellen Probleme der Kommunen jetzt und bei weiter sinkenden Gewerbesteuereinnahmen auch in der nächsten Zukunft nicht wegzudiskutieren sind, wären Einsparungen genau das falsche Signal. Es ist doch offenkundig, dass schon in der Prä-Corona-Zeit die Beschäftigung vielfach prekär war. Wenn eine Lehre gezogen werden muss, dann doch die, dass die abhängige Beschäftigung sicherer werden muss.

Soloselbständige

 

Aber auch mit Blick auf die Soloselbständigen sind grundlegende Veränderungen erforderlich und das gilt besonders für jene, die zu einem erheblichen Teil von öffentlich finanzierten Projekten leben. Selbstverständlich, die Wahl eines künstlerischen Berufs ist eine Lebensentscheidung. Spätestens in den höheren Semestern an den Kunst- und Musikhochschulen wird den Studierenden klar, wie hart, steinig und schwer der Weg zum Ruhm ist und dass nur sehr wenigen der Aufstieg in den Olymp gelingen wird. Und ja, Künstlerinnen und Künstler brauchen weder betreutes Wohnen noch Mitleid. Sie haben ihren Beruf selbst gewählt.

 

Was aber selbstverständlich sein muss, ist die adäquate Vergütung einer künstlerischen Leistung. Hier setzt die Verantwortung insbesondere der öffentlichen Zuwendungsgeber an. Wenn Projektanträge gestellt werden, in denen die Honorare für Künstlerinnen und Künstler verschwindend gering sind, sollten sie eigentlich gar nicht zuwendungsfähig sein. Wer Mittel beantragt und für freiberufliche Leistungen äußerst geringe Kosten ansetzt, sollte unmittelbar aufgefordert werden, seinen Kosten- und Finanzierungsplan zu überarbeiten. Ausstellungsvergütungen, bezahlte Vorbereitungszeiten für Auftritte, angemessene Vergütungen für Designerinnen und Designer, Journalistinnen und Journalisten und viele andere mehr, sie sind der Schlüssel zur Sicherung von ausreichendem Einkommen. Viele Berufsverbände und Gewerkschaften haben für die verschiedenen Gewerke Honorarmindeststandards erarbeitet. Der Deutsche Kulturrat hat im Jahr 2015 eine erste Stellungnahme hierzu vorgelegt, in der er die öffentliche Hand auffordert, mit gutem Beispiel voranzugehen und angemessene Vergütungen zu zahlen bzw. in Projekten vorzusehen. Aktuell wird diese Stellungnahme überarbeitet und im Sommer dieses Jahres vorgestellt werden. Selbstverständlich richtet sich die Forderung nach einer angemessenen Vergütung nicht ausschließlich an die öffentliche Hand. Die Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft sind genauso gefragt. Wenn aber die öffentliche Hand vorangeht und Standards in der Vergütung setzen würde, müsste die Privatwirtschaft nachziehen.

 

Solide Einnahmebasis

 

Wenn eines aus der Pandemie gelernt werden kann, ist es doch, dass es auf eine solide Einnahmebasis ankommt. Viele Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft haben in der Krise bewiesen, dass sie diese Basis haben. Sie leben von Rücklagen, vom Vertrauen der Auftraggeber und von einer grundsoliden Geschäftsbasis, die sie kreditwürdig macht. Zuschüsse aus Überbrückungshilfen, Kurzarbeitergeld und andere Maßnahmen helfen, die Krise zu überbrücken. Es muss in der Post-Corona-Zeit gelingen, dass auch Soloselbständige der Kultur- und Kreativwirtschaft höhere Einkommen erzielen können, damit sie Krisen durchstehen können. Arbeitsmarkt- und sozialpolitische Instrumente können zusätzlich flankierend wirken, sie sind dann aber nicht mehr überlebensnotwendig.

 

Die Weichen müssen jetzt gestellt werden. Gefragt sind in besonderer Weise Länder und Kommunen, denn sie leisten den größten Teil der Kulturfinanzierung. Hier müssen sie ihrer kulturpolitischen Verantwortung gerecht werden.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2021.


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