Isabel Pfeiffer-Poensgen - 27. Mai 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Regelwerk für die Kultur


Das Kulturgesetzbuch des Landes Nordrhein-Westfalen

Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ist 2017 mit dem Versprechen angetreten, die dichte und heterogene kulturelle Landschaft des Bundeslandes – finanziell und politisch – auf soliden Grund zu stellen und ihr Entfaltungsspielräume zu geben. Dieses Versprechen hat in zwei politischen Großprojekten Form gefunden, die einander ergänzen und die Wirksamkeit des jeweils anderen erst entfalten.

 

Mit einer bundesweit einzigartigen kulturpolitischen Offensive erhöht die Landesregierung den Kulturetat bis 2022 langfristig um mehr als 50 Prozent oder 100 Millionen Euro und beendet damit die strukturelle Unterfinanzierung der Kultur in Nordrhein-Westfalen. Dieser Aufwuchs, der auch angesichts der Corona-Akuthilfen in Höhe von zusätzlich 275 Millionen Euro planmäßig fortgesetzt wird, stabilisiert die vorhandenen Strukturen und schafft mehr Planungssicherheit.

 

Mit dem Kulturgesetzbuch, das auch Teil des Koalitionsvertrags der CDU-FDP-Landesregierung ist, löst die Landesregierung nun den zweiten Teil ihres Versprechens ein. Den Regierungsentwurf für das Kulturgesetzbuch hat das Landeskabinett Mitte Mai gebilligt, im Winter soll es verabschiedet werden und zum Jahresbeginn 2022 in Kraft treten.

 

Das Kulturgesetzbuch bündelt alle für die Kultur wesentlichen gesetzlichen Regelungen und fügt ihnen zugleich weitreichende und wesentliche Neuerungen hinzu. Es setzt die vorhandenen Regelwerke zueinander in Beziehung, schafft Übersicht und Transparenz und gibt den neuen politischen Vorhaben Nachdruck und Verbindlichkeit durch ihre gesetzliche Verankerung. Dazu zählen beispielsweise die Förderung der Bibliotheken, die Absicherung der Musikschulen oder die Bindung der Zuschüsse für kommunale Theater oder Orchester an Fördervereinbarungen, um zu verhindern, dass die Kulturförderung als freiwillige Aufgabe der Kommunen bei Sparrunden in Frage gestellt wird. Das Kulturgesetzbuch macht die vorhandenen gesetzlichen Regelungen leichter verfügbar, in ihrer Korrelation besser nachvollziehbar und verleiht den Anliegen der Kultur insgesamt deutlich mehr Gewicht.

 

Dabei hat das Kulturgesetzbuch ganz unmittelbare Auswirkungen für die Kulturschaffenden: So werden in einem Bereich, der von prekären Arbeitsverhältnissen geprägt ist, Honoraruntergrenzen eingeführt, mehr Festanstellungen erwirkt und Förderantragsverfahren unbürokratischer gestaltet – was den vielen haupt- und ehrenamtlichen Akteurinnen und Akteuren den Zugang zu Förderungen erleichtert. Geschlechtergerechtigkeit und Diversität werden in der Kulturförderung des Landes und der Besetzung von Jurys verbindlich berücksichtigt – um nur einige Beispiele zu nennen. Das bestehende Kulturfördergesetz wird durch das Kulturgesetzbuch gezielt weiterentwickelt und schließlich abgelöst.

 

Mit dem Kulturgesetzbuch bekräftigt Nordrhein-Westfalen mit Nachdruck die Kulturhoheit der Länder als „Kernstück der Eigenstaatlichkeit der Länder“, wie das Bundesverfassungsgericht es in seiner Rechtsprechung fasst, und legt ein klares Bekenntnis sowohl zur Rolle der Kultur in Nordrhein-Westfalen als auch zur Rolle der Länder in der Kulturpolitik ab.

 

Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass die Bedeutung der Kommunen für die Kultur übersehen würde. Im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung regeln die Gemeinden ihre kulturellen Aufgaben selbst und tragen gerade in Nordrhein-Westfalen den Löwenanteil der Kulturausgaben. Wir können und wollen den Gemeinden als Land nicht vorschreiben, wie sie ihre kulturellen Einrichtungen führen, wohl aber Angebote machen, die einen Rahmen vorgeben. Bei landesspezifischen Themen hingegen, etwa bei Kunstbesitz und Kulturförderung des Landes, schaffen wir sehr verbindliche Regelungen.

 

Das Kulturgesetzbuch ist ein Novum in Deutschland. In keinem anderen Bundesland gibt es ein vergleichbares Regelwerk für die Kultur. Entsprechend konnte es sich weder auf Vorbilder noch auf Erfahrungswerte stützen. Umso wichtiger war uns der intensive, fortgesetzte und breit angelegte Austausch mit den für die Kultur in Nordrhein-Westfalen relevanten Akteurinnen und Akteuren, unter anderem natürlich dem Kulturrat NRW, der sich einmal mehr als weitsichtiger und konstruktiver Gesprächspartner bewiesen hat. Der Austausch mit den Verbänden hat den Entwicklungsprozess dieses kulturpolitischen Großprojektes eng begleitet und war ein unverzichtbares Korrektiv unserer Arbeit. Insgesamt 32 Verbände wurden angehört und ihre Anregungen und Kritik in großem Umfang aufgenommen. Denn das Kulturgesetzbuch soll kein abstraktes Regelwerk sein, sondern sich unmittelbar auf die kulturelle Landschaft in Nordrhein-Westfalen beziehen und ihr von Nutzen sein. Wir möchten die Rolle der Akteurinnen und Akteure in dieser Landschaft stärken und ihnen ihre Arbeit erleichtern.

 

Diese Diskussion möchten wir auch in Zukunft fortsetzen, um auf die Veränderungen der Kultur reagieren zu können, die ihrerseits gesellschaftliche Entwicklungen nachzeichnet und deshalb naturgemäß in Bewegung ist. Entsprechend soll das Kulturgesetzbuch ein lebendiger, ein lernender Organismus sein, dessen Unabgeschlossenheit eines seiner Wesensmerkmale ist. An die Stelle der bestehenden Kulturförderpläne treten mit den Kulturkonferenzen, die zweimal pro Legislaturperiode vorgesehen sind, dialogorientierte Formate, die dokumentiert werden und deren Verabredungen nachgehalten werden. Hierdurch koppeln wir eine den Kulturförderplänen vergleichbare Verbindlichkeit mit einem aktiven Prozess der Anpassung an die sich wandelnde kulturelle Realität.

Die Corona-Pandemie hat keinen Zweifel daran gelassen, dass eines der zentralen Themen des Kulturgesetzbuches unaufschiebbar geworden ist: die Verbesserung der Arbeitsbedingungen derer, die das Rückgrat allen kulturellen Lebens sind: Der Künstlerinnen und Künstler. Entsprechend durchzieht dieses Thema das Kulturgesetzbuch und schlägt sich in zahlreichen konkreten Regelungen nieder. Institutionen und Initiativen, die eine Landesförderung beantragen, müssen in Zukunft Honoraruntergrenzen respektieren. Die gängige Praxis beispielsweise, an dem Honorar für Künstlerinnen und Künstler zu sparen, ist damit bei vom Land geförderten Projekten obsolet. Damit stellen wir an prominenter Stelle auch ein Modell zur Diskussion, das maßgeblich zu den prekären Arbeitsverhältnissen im Kunstbereich beiträgt.

 

Auch die berufliche Situation der Musikschullehrerinnen und Musikschullehrer soll strukturell verbessert werden. Die gesetzlichen Regelungen zu den Musikschulen, die als neuer kulturpolitischer Baustein Aufnahme in das Kulturgesetzbuch gefunden haben, benennen erstmals feste Qualitätskriterien als Voraussetzung für eine Förderfähigkeit – und zwar unabhängig von der Trägerschaft. Zu diesen Qualitätskriterien zählen fest angestellte und tariflich bezahlte Musikpädagogen und -pädagoginnen. Um dieses Ziel zu erreichen, unterstützt die Landesregierung im Rahmen der Musikschuloffensive die Kommunen bei der Finanzierung der Musikschulen auf Dauer mit zusätzlich sieben Millionen Euro jährlich, wodurch kurzfristig 100 feste Stellen geschaffen werden können.

 

Die bereits angesprochene mit dem Kulturgesetzbuch festgeschriebene Förderung der Bibliotheken ist ein klares Bekenntnis zu ihrer Bedeutung als Orte lebenslanger kultureller Bildung und Begegnung, die auch für das Landesprogramm „Dritte Orte“ eine zentrale Rolle spielen.

Ein Thema, das mir persönlich sehr am Herzen liegt, ist die Provenienzforschung. Sie hat, einschließlich der Washington Principles, prominent Eingang ins Kulturgesetzbuch gefunden. Damit verpflichtet sich das Land erstmals, die Provenienzforschung gezielt zu fördern und trägt damit der Verantwortung Rechnung, die Politik und Gesellschaft für solche Werke übernehmen müssen, die in der Zeit des Nationalsozialismus ihren rechtmäßigen Besitzerinnen und Besitzern entwendet wurden. Teil dieser Förderung ist die im Kulturgesetzbuch verankerte „Koordinationsstelle für Provenienzforschung in Nordrhein-Westfalen“ (KPF.NRW), die wir als Land im Dezember 2020 mit dem Landschaftsverband Rheinland (LVR) und dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) eingerichtet haben.

 

Neben den NS-verfolgungsbedingten Entzügen rückt mit dem Kulturgesetzbuch auch die Herkunftsforschung zum kolonialen Erbe und den Enteignungen und enteignungsgleichen Besteuerungen in der ehemaligen DDR stärker in den Blick.

 

Es steht meines Erachtens außer Frage, dass Kunst im Landesbesitz unter besonderem Schutz stehen sollte. Im Zuge der Auseinandersetzung um die umstrittenen Kunstverkäufe der ehemaligen Landesbank WestLB und ihrer Abwicklungsgesellschaft Portigon hat der damals eingerichtete kulturfachliche Beirat einen Kodex zum Umgang mit Kunst im Landesbesitz entworfen. Entsprechend schreibt das Kulturgesetzbuch die Verpflichtung zum Erhalt des Landeskunstbesitzes fest. Das heißt: Kunstschätze aus diesen Sammlungen dürfen nicht wie Tafelsilber verkauft werden, um Haushalte zu sanieren.

 

Eines der großen und für alle gesellschaftlichen Felder gleichermaßen relevanten Themen unserer Zeit ist das der Nachhaltigkeit, und zwar in seiner dreifachen Ausprägung: als ökologische, wirtschaftliche und soziale Größe. Es darf in einem zentralen Regelwerk, das Standards für Struktur und Förderung der kulturellen Landschaft setzt, nicht fehlen. Vielmehr wollen wir dieses Instrument nutzen, um grundlegende Forderungen im Hinblick auf nachhaltiges Handeln festzuschreiben, und zwar in vielfältiger Hinsicht: Beim Bauen ebenso wie bei der Durchführung von Veranstaltungen, bei der Produktion von Kunst ebenso wie bei ihrer Präsentation und beim internationalen Austausch. Das Kulturgesetzbuch verpflichtet auch die Kulturpolitik, Förderlinien nachhaltig auszurichten und zusätzliche Kosten, die so entstehen können, als förderfähig anzuerkennen.

 

Mit dem Kulturgesetzbuch machen wir die Kultur einmal mehr zu einem zentralen politischen Handlungsfeld dieser Landesregierung und schaffen Verbindlichkeiten, die auf eine langfristige Stabilisierung und Stärkung der kulturellen Landschaft angelegt sind. Zugleich bekräftigen wir mit dem Regelwerk die unbedingte Zweckfreiheit der Kunst und respektieren ihre natürliche Dynamik.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2021.


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