Barbara Gessler - 29. April 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Kulturagenda der Europäischen Union


Förderprogramm Kreatives Europa 2021-2027 geht weiter

Erst mit der Zustimmung durch das Europäische Parlament Mitte Mai findet formell die fast genau dreijährige Verhandlungsphase über das einzige, exklusiv dem europäischen Kultur- und Kreativbereich gewidmete, Förderprogramm Kreatives Europa 2021-2027 ihr Ende. Ursprüngliche Ideen, die Förderung zu einem Teil des Programms „Rechte und Werte“ zu machen, wurden durch den Kommissionsvorschlag im Mai 2018 ad acta gelegt. Auch wenn unbestritten ist, dass Kultur in Europa als Ausdruck und fester Bestandteil seiner gemeinsamen Werte wahrgenommen wird, ist diese Entscheidung deshalb erwähnenswert, als trotz der Tendenz zu insgesamt größeren und umfassenden Programme bewusst ein fokussiertes und, im Vergleich, bescheiden ausgestattetes Programm weitergeführt werden kann. Explizit wird so die Förderung von Kultur nicht als einem anderen Zweck dienlich eingeordnet. Zudem müssen alle Programme einer ähnlich konzentrierten, lesbaren und verständlichen Struktur folgen. Gemäß dem Gesetzgebungsprozess haben die EU-Präsidentschaften mit der Berichterstatterin bzw. dem Berichterstatter des Europäischen Parlaments im Rahmen intensiver, formeller und informeller, Sitzungen auf technischer und politischer Ebene in den „Trilogen“ der drei EU-Institutionen den Text diskutiert, abgeändert, selbstverständlich angereichert und sicher auch verbessert. Dass im Dezember 2020 unter deutscher Ratspräsidentschaft ein guter Kompromiss, mit einem erheblich höheren Budget als bis noch kurz vorher angenommen, gefunden werden konnte, ist zwar sicher auch der wegen der Corona-Pandemie allseits sicht- und spürbaren aktuellen Krise der Kulturbranche geschuldet. Ebenso wichtig war jedoch ein durchgängig sehr konstruktives und ergebnisorientiertes Verhandlungssetting zwischen den Akteuren und das beharrliche Insistieren vonseiten des Europäischen Parlaments sowie der Offenheit der deutschen Ratspräsidentschaft zugunsten des Finanzvolumens.

 

Vereinfacht ausgedrückt werden für die kommenden sieben Jahre 2,442 Milliarden Euro zur Verfügung stehen, wobei die Verordnung festlegt, dass davon 33 Prozent, das sind 804 Millionen Euro, für Kultur, 1,427 Milliarden Euro (58%) für MEDIA und 211 Millionen für den sektorübergreifenden Teil (bis zu 9%) zugutekommen. Insgesamt ist das eine Steigerung von 63 Prozent und sogar mehr, da das Vereinigte Königreich nicht mehr am Programm teilnimmt. Die Mittelvergabe soll in den ersten Programmjahren besonders hoch ausfallen, da wir davon ausgehen müssen, dass aufgrund der unmittelbaren Auswirkungen der Pandemie ein besonders hoher Bedarf an raschen Projektzuschüssen besteht. In einigen Mitgliedstaaten ist bereits jetzt eine Tendenz zu erkennen, die Unterstützung grenzüberschreitender Zusammenarbeit zu kürzen, während in anderen der Druck auf die öffentlichen Haushalte vermutlich auch im Kulturbereich zu spüren sein wird.

 

Im Allgemeinen ist das Programm in seinem Kulturteil von hoher Kontinuität geprägt. Seit seiner Entstehung hat Kreatives Europa an Kohärenz gewonnen, in dieser neuen Förderperiode noch dadurch verstärkt, als einige übergreifende Themen Eingang gefunden haben, die nicht nur der Kommission besonders am Herzen liegen. Wie schon im Vorgängerprogramm findet sich die Notwendigkeit einer Konzentration auf Projekte mit europäischem Mehrwert als zentrale Forderung wieder. Ein eigener Artikel definiert klarer, was unter diesem nicht ganz einfachen Begriff zu verstehen ist. Die transnationale Natur der Projekte, die nationale Fördermaßnahmen ergänzen sollen, sollen auf grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Mobilität gerichtet sein, um so gemeinsamen Herausforderungen die Stirn bieten zu können und – generell – kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Digitalisierung ist in dieser Hinsicht ein wichtiges Stichwort. Auch die „wirtschaftliche“ Komponente eines besseren Zugangs zu anderen Finanzierungsmöglichkeiten gehört dazu und, für MEDIA, der Beitrag zu mehr Chancengleichheit für Akteure unabhängig von ihrer Herkunftsregion. Ein wesentlicher Punkt besteht in der expliziten Aufforderung an die Projektgestaltung, Inklusion, Chancengleichheit, Teilhabe und Diversität zu stärken, insbesondere mit Blick auf die Teilnahme von Menschen mit Behinderung als auch von Minderheiten und sozial marginalisierten Gruppen am künstlerischen Prozess und als Zuschauende. Die Bedeutung von Geschlechtergerechtigkeit wird für das gesamte Programm hervorgehoben. Das Programm wird, wie alle EU-Programme dieser Generation, verpflichtet, einen Beitrag zum „Green Deal“ zu leisten, ohne jedoch den ursprünglichen Charakter des Programms und der kreativen Projekte dadurch per se infrage zu stellen. Mit diesen allgemeinen Prinzipien anerkennt das neue Programm aktuelle Diskussionen, die im Kulturbereich bereits selbstverständlich stattfinden, und bietet die Möglichkeit, diese Realität auch in der Förderung abzubilden.

 

Der Kulturteil des Programms sieht zum ersten Mal eine klarere Orientierung an der kulturpolitischen Agenda der Europäischen Union vor. Diese seit 2018 bestehende Mitteilung ist breit angelegt, hebt aber insbesondere die Rolle der Kultur in gesellschaftlicher, sozialer, wirtschaftlicher und internationaler Hinsicht hervor. Das Programm präzisiert deutlich, dass dadurch keine Instrumentalisierung der Kultur intendiert ist, hebt im Gegenteil deren intrinsischen Wert hervor sowie die Bedeutung künstlerischer Freiheit. Für die zu fördernden Projekte ergeben sich hierdurch eindeutig breitere Chancen mit Blick auf ihre Ausgestaltung und Zielsetzung. Dieses wird sich natürlich in den bald zu veröffentlichenden Richtlinien zeigen, in denen diese Prioritäten die Auswahlkriterien bestimmen. So wird für Kooperationsprojekte, die weiterhin das Gros der Förderung ausmachen werden, eine fokussiertere Zuordnung möglich sein. Die Kommission hat vergangene Diskussionen und Kritik berücksichtigt und sieht vor, den Zugang zur Förderung durch eine erhöhte EU-Kofinanzierung zu erleichtern. Das wird gerade kleineren Organisationen im Rahmen von kleineren Projekten zugutekommen, da grundsätzlich weniger Eigenmittel abverlangt werden. Netzwerke und Plattformen sowie Übersetzungen werden weiterhin gefördert und die im „i-Portunus“-Pilotprojekt unter anderem mit dem Goethe-Institut geförderte individuelle Mobilität wird Teil des Programms. Eine der größten Innovationen des Programms ist jedoch, dass neben der horizontal, nicht „branchenspezifisch“ angelegten Idee von Partnerschaften, auch eine sektorbezogene Förderung in den Bereichen Architektur, kulturelles Erbe, für die Buch- und insbesondere der Musikbranche als Fortsetzung der Music-Moves-Europe-Initiative geschaffen wird. Spezielle Aufrufe sollen es ermöglichen, ähnlich gelagerte oder aber ganz spezielle Herausforderungen anzugehen. Europäische Kulturhauptstadt, Europäische Kulturerbesiegel und die EU-Preise bleiben Teil des Programms, das außerdem natürlich in seinem sektorübergreifenden Teil weiterhin die Creative Europe Desks finanzieren wird, aber auch Creative Innovation Labs und Aktionen zum Thema Medienfreiheit ermöglicht.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2021.


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