Identität
Als in den 1980er Jahren Aids, ich war damals Galerist, zuallererst in unseren Reihen sehr, sehr viele Opfer forderte, war es absolut erforderlich, dass die Gesellschaft den Blick auf Homosexuelle radikal ändert. Männer, die Sex mit Männern haben, gehörten zu den ersten Opfern der Immunschwächekrankheit. Damals fanden große Teile der Gesellschaft, dass Aids eine Art gerechte Strafe für Menschen sei, die nicht der Norm entsprachen. Wir Kunsthändler, zusammen mit vielen Künstlerinnen und Künstlern, organisierten damals die ersten Unterstützungsmaßnahmen für an Aids Erkrankte und machten lautstark auf ihre Situation aufmerksam.
In den Jahrzehnten danach hat sich der Blick auf die sexuelle Orientierung ausdifferenziert: LGBTQIA*, also lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, queer, intergeschlechtlich, asexuell, * weitere Geschlechtsidentitäten, zeigen den verständlichen Wunsch von Menschen auf, die eigene Identität zu benennen und von der Gesellschaft richtigerweise zu erwarten, dass sie diese Identität nicht nur anerkennt, sondern sicher- stellt, dass aus ihr keine Nachteile erwachsen.
Ähnliche Gründe haben auch in den letzten Jahren zur Bildung der Black-Lives-Matter-Bewegung geführt. Die Bewegung entstand vor sieben Jahren, um gegen Gewalt gegen Schwarze bzw. People of Color in den USA kämpfen zu können. Mittlerweile ist sie weltweit vertreten und prangert richtigerweise rassistische Gewalt an.
So unterschiedlich die Black-Lives-Matter- und LGBTQIA*-Bewegungen sind, so deutlich sind ihre Gemeinsamkeiten: Identitäten deutlich zu machen.
Doch wie verträgt sich die immer stärkere Ausdifferenzierung in unserer Gesellschaft mit dem Grundsatz der Gleichheit, der in Artikel 3 unseres Grundgesetzes festgeschrieben ist? Den bahnbrechenden Ideen der Französischen Revolution – liberté, égalité, fraternité – haben wir auch das Prinzip der Gleichheit jedes Menschen zu verdanken.
Um Gleichheit zu erreichen, muss Ungleichheit deutlich benannt und beseitigt werden, aber Ziel muss sein, zu einer Gesellschaft von Gleichen unter Gleichen zu kommen. Viele Diskussionen in den letzten Jahren entfernen sich aber von dieser Maxime. Nicht mehr die inklusive Gesellschaft scheint das Ziel zu sein, sondern eine Gesellschaft der Identitäten.
Zur Gleichheit gehört, dass Unterschiede unwichtiger werden, dass alle Menschen die gleiche Chance auf ihre persönliche Entwicklung haben, z. B. durch Bildung. Ich würde mich freuen, wir würden wieder öfter gemeinsam um diese Ideale kämpfen, als unsere Unterschiede zu zelebrieren.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021.
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