Christoph Bartmann - 6. November 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Guter Wandel?


Kultur und Politik in Polen

Mit dem Wahlsieg der nationalkonservativen PIS und ihrer Koalitionspartner im Oktober 2015 hat auch für Polens Kultur und Kulturpolitik eine neue Zeitrechnung begonnen. „Dobra Zmiana“ oder „guter Wandel“ heißt das Projekt, das die Regierung über mehr als eine Wahlperiode hinweg fortzusetzen gedenkt. Dazu gehört ein weitreichender Umbau der Justiz, der Medien, des Bildungswesens und nicht zuletzt der Kultur. Anders als die liberaleren Vorgänger hat diese Regierung, was staatlich geförderte Kultur angeht, einen Plan. Sie will sie in ein Instrument der nationalen Erinnerungskultur und Identitätspolitik verwandeln.

 

Das fällt ihr überall dort leichter, wo das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe direkt über Subventionen entscheidet. Dies ist der Fall bei den großen Kulturinstitutionen, wo die nationale Bedeutung oft schon im Namen enthalten ist: Nationaltheater, Nationalmuseum, aber etwa auch das Polnische Filminstitut. Hier hat die Regierung, wo sie Handlungsbedarf sah, etwa im berühmten Krakauer „Stary Teatr“, zügig neue Leitungen installiert. Das Ministerium fördert direkt auch einige große Festivals wie den „Warschauer Herbst“ für zeitgenössische Musik oder das interdisziplinäre Malta Festival. Die Zuwendungen an diese und andere Festivals sind zuletzt stark gekürzt worden. Noch ist nicht klar, welchen neuen Zwecken die Einsparungen zugutekommen sollen. Deutlich wird aber, dass Kulturaustausch und Internationalisierung nicht zu den neuen Prioritäten zählen.

 

Schwieriger ist der kulturpolitische Durchgriff in den Institutionen, die von den großen Städten oder den Bezirksregierungen selbst finanziert werden. In Warschau und anderswo sind, zumindest bis zu den nächsten Kommunalwahlen im Herbst 2018, liberale Stadtregierungen im Amt. Als im Frühjahr 2017 im Warschauer „Teatr Powszechny“ Oliver Frljics provokante Inszenierung des polnischen Klassikers „Klątwa“ heftig unter Beschuss seitens konservativer Medien, Politiker und Organisationen geriet, blieb der Spielplan unverändert. „Klątwa“ ist schon jetzt zum Symbol einer unabhängigen Kultur geworden, wie sie viele Kulturakteure und mit ihnen die liberale Öffentlichkeit zunehmend bedroht sehen.

 

Polens neue Kulturpolitik ist rückwärtsgewandt oder besser, sie erblickt in einem vergangenen Zustand der Nation ein Modell ihrer Zukunft. Neue Geschichtsmuseen sollen erkennbar ein nationales Narrativ verfolgen und der „Verfälschung“ durch europäische, transnationale oder gar „neomarxistische« Interpretationen Einhalt gebieten. Das gilt etwa für das noch von Donald Tusk initiierte Danziger Museum des Zweiten Weltkriegs, das schon vor seiner Eröffnung heftige Kritik auf sich zog und dessen Dauerausstellung nun patriotisch nachgebessert wird. Die neue Geschichtspolitik kommt besonders in den bevorstehenden Feierlichkeiten zum Jubiläumsjahr 1918 zum Tragen. Die vor 100 Jahren mit der Ausrufung der zweiten polnischen Republik gewonnene Unabhängigkeit wird das kulturpolitische Leitmotiv der nächsten Jahre sein. Die aktuelle Botschaft liegt auf der Hand: Erneut muss Polen seine Unabhängigkeit verteidigen, im Osten gegen Russland, aber ebenso sehr auch gegen die EU, gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik und andere liberale Bedrohungen von außen.

 

Deutlich kommt dieser neue, national gestimmte Kurs auch in Polens Auswärtiger Kulturpolitik zum Ausdruck. Die 24 polnischen Kulturinstitute im Ausland wurden personell überwiegend neu besetzt und sollen sich jetzt stärker ausgewählten kulturellen Leistungen Polens und dem Kontakt mit den in den Gastländern lebenden polnischen Gemeinden widmen. Diese Agenda unterscheidet sich zwar markant von der des Goethe-Instituts und vergleichbarer Institutionen, aber sie ist in sich schlüssig. Eine nationalkonservative Regierung setzt ihre – von der Mehrheit der Wähler geteilten – historisch-kulturellen Werte und Überzeugungen mithilfe ihrer Institutionen durch. Als Deutscher erinnert man sich: Etwas Ähnliches hatte 1982 Helmut Kohl vorgeschwebt, als er, allerdings ohne Erfolg, die „geistig-moralische Wende“ ausrief, um endlich dem Wählerwillen gegen den linksliberalen Zeitgeist in Kultur und Medien zum Durchbruch zu verhelfen.

 

Die deutsch-polnischen Beziehungen sind, wie man weiß, im Augenblick nicht gut. Man kann Zweckoptimismus betreiben und sagen, die Beziehungen seien auf zivilgesellschaftlicher Ebene so dicht und intensiv, dass sie von keiner Regierung zerstört werden könnten. Man muss aber auch konstatieren, dass die derzeitige polnische Regierung eine Beschädigung der zivilgesellschaftlichen Beziehungen zumindest in Kauf nimmt. Etwa indem sie und die ihr nahestehenden Medien gegen eine angebliche „deutsche Partei“ im Lande polemisieren. Gemeint sind Politikerinnen und Politiker der heutigen Opposition, die von deutschen politischen Stiftungen mit Stipendien manipuliert worden seien. Auch den Einfluss von „in deutscher Hand“ befindlichen Zeitungen in Polen will die Regierung beschränken; dabei sind diese Zeitungen bisher selten durch pro-deutsche Meinungen aufgefallen. Schließlich möchte die Regierung polnische Nichtregierungsorganisationen generell wirkungsvoller kontrollieren, indem sie die Fördermittel zentral überwacht und verteilt.

Auch wenn die polnische Regierung derzeit, und sei es oft auch nur rhetorisch, manches unternimmt, um die deutsch-polnischen Beziehungen zu trüben, sind diese Beziehungen weiterhin lebhaft und vielfältig. Sie werden getragen von einer Vielzahl von Akteuren auf beiden Seiten, die in den letzten drei Jahrzehnten ein Netz kultureller und sozialer Beziehungen geflochten haben, wie es ähnlich dicht vielleicht sonst nur zwischen Deutschland und Frankreich besteht. Ein wichtiger Mentor und Förderer dieser Beziehungen ist die Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit, deren 25. Geburtstag im vergangenen Jahr gefeiert wurde. Auch die beiden Goethe-Institute in Warschau und Krakau nehmen auf der Karte der bilateralen Beziehungen einen wichtigen Platz ein. Auch sie sind kürzlich 25 Jahre alt geworden und haben es in dieser Zeit geschafft, zu einem Faktor des kulturellen Lebens in Polen zu werden. Die Goethe-Institute sind ihrem Auftrag nach ein Instrument der Kulturpolitik und agieren als „Mittlerorganisationen“ gleichzeitig in einem sinnvollen Abstand zur Regierungspolitik. Sie gewinnen ihre Glaubwürdigkeit dadurch, dass sie sich ihre Agenda nicht von der Politik vorschreiben lassen. Im ersten der drei Arbeitsfelder des Goethe-Instituts, der Förderung der deutschen Sprache, fällt das nicht schwer. Wir sprechen mit Deutschlehrenden, Schulleitern oder Bildungsexperten ungeachtet ihrer politischen Positionen, und wir erreichen Schülerinnen und Schüler in allen Landesteilen, ohne dass wir wissen müssen, wer dort gerade regiert. Wenn es aber um Kultur und Information geht, rückt die Politik umgehend ins Blickfeld. Wir arbeiten mit bewährten Partnern, von denen wir wissen, dass sie gerade politisch und ökonomisch unter Druck stehen. Wir fördern Festivals, von denen wir wissen, dass die Regierung ihre Subventionen gekürzt oder gestrichen hat. Wir sprechen Themen an, die wir, ob nun Gender, Ökologie oder Populismus, immer angesprochen haben, die uns jetzt aber an die Seite der Opposition rücken. Wir verbreiten auf unseren Webseiten Meinungen, mit denen wir den Ärger von Leuten auf uns ziehen, die ohnehin meinen, das Goethe-Institut müsse geschlossen werden. Wir bemühen uns um ein breites Spektrum von Positionen, aber das ist nicht leicht. Wir haben keine Erfahrungen mit der neuen Mehrheit und sie hat keine Erfahrung mit uns. Sie misstraut uns, wenn sie uns überhaupt kennt, und wir hätten Mühe, dieses Misstrauen zu entkräften.

 

Dennoch arbeiten die Goethe-Institute in Polen derzeit ohne irgendwelche Behinderungen. Vergleiche mit autoritären Regimes anderswo sind interessant, zeigen aber schnell, dass Freiheit und Rechtsstaat in verschiedenen Ländern jeweils auf andere Weise unter Druck stehen. Mit dem Schlagwort „Rechtspopulismus“ kommt man dem Problem ebenfalls nicht näher. Polen unterzieht seine politische Kultur und damit die Vorstellung von Demokratie und Rechtsstaat derzeit, wenn man will, einer weitreichenden Neuinterpretation. Derzeit ist freilich noch unklar, welche Kräfte sich im ideologisch diffusen PIS-Lager durchsetzen werden. Absehbar ist, dass Polen in der EU bleiben will und dort, mit anderen Ländern, einen größer werdenden konservativen Block bilden wird, als Gegengewicht zu Angela Merkel und Emmanuel Macron. Man sollte nicht erwarten, dass die „gute Wende“ in Polen ein schnelles Ende finden wird, so wenig wie anzunehmen ist, dass der aktuelle Rechtstrend in Europa bald aufhört. Dem Goethe-Institut und seinen vielen europäischen Geschwistern bietet diese Lage einige Herausforderungen und zwar im positiven Sinn: Wollten wir nicht immer schon den „Dialog mit Andersdenkenden“ suchen? Auch wenn wir nicht wirklich wissen, ob die Form unserer Auseinandersetzung mit Andersdenkenden tatsächlich der Dialog sein wird: Der Versuch lohnt sich allemal.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 01/2018.


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