Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz - 28. Januar 2022 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Gaia-X: Was soll ein Datenraum Kultur?


Künstler und Kulturunternehmen haben nichts zu verschenken

Im Kulturkapitel des Koalitionsvertrags von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP stehen zwischen einer zu schaffenden Anlaufstelle „Green Culture“ und dem zu bildenden „Plenum der Kultur“, die kulturpolitischen Pläne in Sachen Digitalisierung. Es ist zu lesen: „Wir schaffen ein Kompetenzzentrum für digitale Kultur, das die Kulturakteurinnen und -akteure berät, vernetzt und qualifiziert. Wir fördern den Aufbau eines Datenraums Kultur, der sparten- und länderübergreifend Zugang zu Kultur ermöglicht.“

 

Große Vorhaben, die allerdings zunächst im Nebulösen bleiben. Wer soll im Kompetenzzentrum für digitale Kultur beraten, vernetzt und qualifiziert werden und vor allem von wem? Geht es um die Nutzung digitaler Techniken, die doch eigentlich in allen künstlerischen Sparten längst zu den selbstverständlichen Werkzeugen gehören? Geht es um Weiterbildung für Akteurinnen und Akteure, die nicht à jour sind? Und wo soll ein solches Kompetenzzentrum angesiedelt werden bzw. wer soll der Träger sein? In den nächsten Monaten wird sich der Nebel hoffentlich lichten.

 

Eine Ahnung, was der Datenraum Kultur sein könnte, erhält man, wenn man sich mit Gaia-X (bmwi.de/Redaktion/DE/Dossier/gaia-x.html) befasst. Gaia-X ist in Deutschland institutionell beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz verortet. Es handelt sich um eine europäische Initiative, um gemäß europäischen Datenschutzstandards ein Datenökosystem – diesen Begriff sollte sich jeder auf der Zunge zergehen lassen – zu entwickeln. Ziel von Gaia-X ist „eine sichere und vernetzte Dateninfrastruktur, die den höchsten Ansprüchen an digitale Souveränität genügt und Innovationen fördert. In einem offenen und transparenten digitalen Ökosystem sollen Daten und Dienste verfügbar gemacht, zusammengeführt, vertrauensvoll geteilt und genutzt werden können.“ Doch was verbirgt sich hinter so positiv belegten Adjektiven wie „vertrauensvoll“ oder Verben wie „teilen“?

Bislang existieren im Rahmen von Gaia-X folgende Datenräume bzw. Hubs:

 

  • Landwirtschaft
  • Energie
  • Finanzwirtschaft
  • Geoinformation
  • Gesundheit
  • Industrie 4.0/KMU
  • Mobilität
  • Öffentlicher Sektor
  • Smart City/Smart Region
  • Smart Living

 

In den Datenräumen bzw. moderner „Hubs“ arbeiten Ministerien von Bund und Ländern, Forschungseinrichtungen und Unternehmen, insbesondere aus der Digitalwirtschaft, zusammen. Ziel ist es jeweils, Daten zu generieren, zur Verfügung zu stellen und sie wirtschaftlich nutzbar zu machen. D. h. Produkte oder Dienstleistungen zu generieren, die am Markt wiederum monetarisiert werden können. Es werden also digitale Güter erzeugt, die in einem globalen Markt gehandelt werden können – TTIP lässt grüßen. Nun also auch ein Datenraum Kultur. Vergegenwärtigen wir uns zunächst, dass es bereits eine Fülle an Plattformen oder Metastrukturen im Kulturbereich gibt – aus der hier nur einige wenige beispielhaft genannt werden können.

 

Deutsche Digitale Bibliothek

 

Da ist zuerst die Deutsche Digitale Bibliothek (ddb.de) zu nennen. Im Jahr 2012 zunächst kümmerlich ausgestattet gestartet, arbeitet sie inzwischen besser etatisiert mit 500 Kultureinrichtungen, vor allem Gedächtniseinrichtungen wie Museen und Bibliotheken, zusammen und verweist auf über 37 Millionen Objekte. Die Deutsche Digitale Bibliothek bietet Zugang zu Kulturgütern über digitale Ausstellungen, diverse Portale wie das Zeitungsportal, das Archivportal oder auch das Portal zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, eine Volltextsuche sowie weitere Nutzungsmöglichkeiten. Die Deutsche Digitale Bibliothek ist Teil der europäischen digitalen Bibliothek „Europeana“ und bietet dadurch einen europäischen Mehrwert. Sie ist kostenfrei zugänglich, nicht markt­orientiert und kann von jedem genutzt werden.

 

museum4punkt0

 

museum4punkt0 (museum4punkt0.de) ist ein Verbundprojekt aus dem Museumsbereich. Es befindet sich derzeit in der zweiten Förderphase. Hier werden in erster Linie digitale Vermittlungsprojekte aus dem Museumsbereich zugänglich gemacht und Erfahrungen weitergegeben. Ein wesentliches Anliegen ist dabei, anhand von konkreten Vorhaben zu veranschaulichen, wie digitale Vermittlungskonzepte aussehen können, welche Techniken genutzt werden und welche Erfahrungen damit gesammelt wurden. Digitale Anwendungen können, sofern sie nicht durch Lizenzen geschützt sind, weitergenutzt oder adaptiert werden.

 

Nationale Forschungsdateninfrastruktur Kultur

 

Die Nationale Forschungsdateninfrastruktur Kultur (nfdi.de/nfdi4culture), kurz NFDI4Culture, baut eine Infrastruktur von Forschungsdaten zu materiellen und immateriellen Kulturgütern auf. Sie ist interdisziplinär angelegt und ruht auf einem breiten Konsortium aus Universitäten, Kunsthochschulen, Museen, Bibliotheken, Fachgesellschaften der verschiedenen künstlerischen Disziplinen und Fachverbänden. Ziele der NFDI4Culture sind: „Aufbau einer bedarfsorientierten Infrastruktur für Forschungsdaten zu materiellen und immateriellen Kulturgütern in der NFDI; fächerübergreifende Auffindbarkeit und Zugänglichkeit sowie die langfristige Sicherung und kontinuierliche Pflege der Forschungsdaten; dazu gehören 2D-Digitalisate von Gemälden, Photographien und Zeichnungen ebenso wie digitale 3D-Modelle kunsthistorisch bedeutender Gebäude, Denkmäler oder audiovisuelle Daten von Musik-, Film- und Bühnenaufführungen, kontinuierliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe; die bedarfsgerechte Ausrichtung aller Dienste und der regelmäßige Transfer innovativer Forschungsmethoden und -ergebnisse in die Fächer, die NFDI, die Kulturpolitik, die Kulturwirtschaft und die interessierte Zivilgesellschaft“. Sie ist vor allem wissenschaftsorientiert.

 

Kulturportale

 

Neben den genannten teils wissenschaftsorientierten, teils einrichtungsbezogenen Portalen bzw. Daten- und Forschungsräumen bestehen eine Reihe von Kulturportalen, die sich an das Publikum im Allgemeinen richten. Kulturportale informieren über Kulturveranstaltungen, rezensieren Bücher, Aufführungen, Veranstaltungen usw. Kulturportale oder auch Kulturserver gibt es für einzelne Städte, Regionen oder auch Bundesländer.

 

In der ersten Phase der Coronapandemie haben verschiedene Bundesländer verstärkte Anstrengungen unternommen, um Künstlerinnen und Künstlern des jeweiligen Bundeslandes digitale Präsentationsmöglichkeiten zu bieten. Verschiedene Programme von Neustart Kultur zielen darauf, dass Künstlerinnen und Künstler oder auch Kultureinrichtungen ihre Webpräsenz verbessern, um besser sichtbar zu werden. Je länger die Pandemie dauert, desto deutlicher wird, dass Webpräsenz noch nicht Monetarisierung des Angebots bedeutet. Darüber hinaus bestehen diverse spartenspezifische Portal wie z. B. das Musikinformationszentrum (miz.org), die Informationen zu Organisationen, Entwicklungen, Veranstaltungen usw. der jeweiligen Kunstsparte bereithalten.

 

Wozu einen Datenraum Kultur?

 

Was soll also ein Datenraum Kultur? An wen soll er sich richten? Und vor allem, welche Daten sollen dort zugänglich gemacht werden, damit sie „vertrauensvoll geteilt“ werden können? Und wer hat überhaupt attraktive Daten, die beispielsweise im Sinne von Gaia-X auch wirtschaftlich genutzt werden können?

 

Spannende Daten, im Sinne von Digitalisaten oder digitalen Gütern, haben zuerst die Künstlerinnen und Künstler. Sie schaffen die Werke, die anschließend von Kulturunternehmen, also der Musikwirtschaft oder Verlagswirtschaft zugänglich gemacht werden. Die Rechte an den Werken sind nach deutschem Urheberrecht unveräußerlich. Nur die Urheberinnen und Urheber können darüber entscheiden, ob ein und wenn ja, wie ein Werk öffentlich zugänglich gemacht wird. Ein Verlag erwirbt nur das Verwertungsrecht und ein Theater oder eine Musikschule hat nur die Nutzungsrechte. D. h. im Klartext: Noten, für deren Nutzung die Musikschulen Verträge mit der VG Musikedition abgeschlossen haben, können von einer Musikschule nicht einfach in einem Datenraum geteilt werden. Es sei denn, hierfür sind zusätzliche Rechte erworben worden. Ein Theater kann nicht einfach eine Aufführung einem Datenraum Kultur zur Verfügung stellen, es sei denn, es sind zuvor zusätzliche Nutzungs- und Leistungsschutzrechte erworben worden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss für die Zurverfügungstellung von Filmen in den Mediatheken hierfür die Rechte erwerben. Künstlerinnen und Künstler sowie Unternehmen der Kulturwirtschaft müssen für erweiterte Nutzungsrechte, egal ob in Mediatheken oder Kulturportalen, angemessen vergütet werden. Zwar hat das Urheberrechts-Wissenschaftsgesellschafts-Gesetz weitere Spielräume zur Zugänglichmachung von künstlerischen Werken zu Bildungszwecken zugelassen, ein einfaches Einspeisen von urheber- oder leistungsschutzrechtlich geschütztem Material in einen Datenraum ist jedoch nicht möglich. Die Finanzierung von öffentlichen Kultureinrichtungen bedeutet weder, dass alles frei zugänglich gemacht werden kann noch, dass den Einrichtungen Kulturdaten in breitem Umfang gehören.

 

Im Koalitionsvertrag wird insbesondere im Kapitel zu Bildung und Wissenschaft unterstrichen, dass Open Source und Open Access ausgebaut werden soll. Sollte dies auf den Kulturbereich übertragen werden, würde dies im Klartext die Zerstörung kulturwirtschaftlicher Märkte bedeuten. Gewinner könnten allenfalls Technologieunternehmen sein, die die technische Infrastruktur für Kulturdaten gegen Entgelt zur Verfügung stellen und ggf. diese Daten monetarisieren. Hierzu kann auch die Monetarisierung von Nutzungsdaten gehören. Der länder- und spartenübergreifende Aufbau eines Datenraums Kultur, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, ist also diffizile Aufgabe, die nur unter Berücksichtigung der sehr unterschiedlichen Interessen von Künstlerinnen und Künstler, der Kulturunternehmen, der Kultureinrichtungen und der Nutzer gelingen kann. Urheber- und leistungsschutzrechtliche Inhalte, auch Content oder Kulturdaten genannt, sind der Rohstoff für mögliche Plattformen oder Datenräume Kultur. Eine angemessene Vergütung ist die Voraussetzung für die Nutzung. Denn weder Künstlerinnen und Künstler noch Kulturunternehmen haben etwas zu verschenken.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2022.


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