Johann Michael Möller - 29. März 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Der Glanz der Bundeskulturpolitik ist dahin


Ist jetzt eine neue „Plantagenkultur“ zu befürchten?

Die Künstler leiden. Wie in diesen Tagen die gesamte Kultur. Vielleicht hat auch das den Anstoß gegeben, einmal mehr über ein eigenständiges Bundeskulturministerium nachzudenken. Eigener Sitz und eigene Stimme am Kabinettstisch, wäre es das, was das Kulturland jetzt braucht? Es ist eine Frage pro domo. Die amtierende Bundesbeauftragte Monika Grütters hat sie jetzt wieder gestellt. Vielleicht war das der richtige Zeitpunkt, vielleicht aber auch nicht. Die Antwort der Länder ließ jedenfalls nicht lange auf sich warten. Sie fiel vorhersehbar negativ aus: „Keine Zentralisierung des Kulturföderalismus“, auf gar keinen Fall! Man ist dort reflexhaft dagegen und besitzt auch ein mächtiges Argument. Das Grundgesetz hat den Ländern die Kulturhoheit zugewiesen. Eine bloße Konvention ist das nicht. Es ist, wie so vieles in unserer Verfassung, die Konsequenz aus der eigenen bösen Geschichte. Der Vermachtung von Kunst und Kultur, ihre Indienstnahme für politische Zwecke sollte ein für alle Mal vorgebeugt werden. Das war der tiefere Sinn.

 

Der Bund hat sich nur selten auf dieses Parkett gewagt. Er hat – man kann es so sagen – den leiseren Weg gewählt und das Portemonnaie sprechen lassen. Das ist den Künstlern und Kulturinstitutionen in Deutschland nicht schlecht bekommen. Insofern sprechen vernünftige Gründe für den Vorstoß von Monika Grütters. Sie hat eine Menge erreicht. Ihre Bilanz ist recht gut. Und wenn Kunst und Kultur als systemrelevant anerkannt werden wollen, braucht es in Zukunft machtvolle Fürsprecher.

 

Es waren immer die konkreten Umstände, die für ein solches Ministeramt sprachen. Es ging um politische Augenhöhe für die Kultur – auch im Verhältnis nach draußen. Wenn ein echter Kulturminister früher nach Deutschland kam, dann hatte man ihm bei uns nur einen Laufbahnbeamten zu bieten. Das war die Situation noch am Ende der Ära Kohl. Nicht umsonst sind damals viele Institutionen entstanden, die das gefühlte Vakuum füllen sollten. Man kann die Gründung des Deutschen Historischen Museums so sehen, auch das Haus der Kulturen der Welt. Hinzu kam die Neuordnung der großen Kulturstiftungen in Berlin und in Weimar und so manch anderes, was nach dem Ende des DDR-Zentralismus plötzlich herrenlos war. Der unvergessene Sieghardt von Köckritz, der „heimliche Kulturminister“, wie man ihn damals nannte, hat sich mit Herzblut darum gekümmert. Ein richtiges Ministerium brauchte er nicht.

 

Mit der Wiedervereinigung ist Kultur plötzlich wieder politisch geworden. Sie war das einheitsstiftende Band. Deshalb sollten auch schnell wieder Orte entstehen, wo die mit sich fremdelnde Nation lernen konnte, sich selbst zu begreifen. Weimar wäre dafür prädestiniert gewesen und hat es leider versäumt; Leipzig ging andere Wege und Dresden war nur bei sich selbst. Auch für die großen Kulturstädte des Westens war die Glanzzeit vorbei. Das Frankfurter Kulturwunder verblasste und München überließ sich der Nostalgie. Damals begann ein unglaublicher Move nach Berlin und nicht nur zur Hauptstadt. In Berlin, so glaubte man damals, ließen sich Geschichte, Funktion und Lebensgefühl wieder bruchlos zusammenfügen lassen.

 

„Am Ende sei es fast wieder wie am Anfang“, jubelte Peter-Klaus Schuster damals; er war der mitreißende Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlins: „Deutschland wieder vereint, die Regierung wieder in Berlin und das erste Gebäude, das auf der Museumsinsel generalsaniert wieder eröffnet werden kann, ist die Nationalgalerie“. Das war der Glutkern einer neuen Bundeskulturpolitik. Darum geht es noch immer; im Streit um das Humboldt Forum, wie um die Zukunft des preußischen Erbes. Das ist nur aus dem aktuellen Bewusstsein gefallen.

 

Im Übergang der Ära Kohl zu Gerhard Schröder war das noch alles präsent. Man kann die Entwicklung seither an den Debatten um das Stadtschloss fast laborartig ablesen. Was sich endlich zu fügen schien, droht sich von Neuem in seine ideologischen Bestandteile aufzulösen. Vielleicht ist es der Fluch der Identitätspolitik, der das Schloss einst ins Leben zurückbrachte, woran es jetzt scheitert. Die Inhalte waren damals auf der Suche nach ihrer Hülle; heute ist es wohl andersherum. Das wirkt wie eine große Parabel auf die Bundeskulturpolitik. Ihr Erfolg ist nicht von der Hand zu weisen. Ein eigenes Haus brauchte sie nicht. Auch wenn es sicher von Vorteil wäre, mit größerem Gewicht in der Bundesregierung zu sitzen.

 

Abwegig ist eine solche Forderung nicht, und vielleicht ließen sich sogar die Länder noch überzeugen. Denn die müssen sich in Nach-Corona-Zeiten schnell um ganz andere Sorgen kümmern. Trotzdem wirkt die Debatte um ein Bundeskulturministerium zum jetzigen Zeitpunkt forciert. Die Zeitläufte sind andere geworden. Der Glanz der Bundespolitik ist dahin. Kein Aufbruch, keine Konzepte, kein Nichts. Und immer mehr Menschen fragen, warum sie gerade so lausig regiert werden.

 

Eine Gesellschaft aber, die sich nicht mehr repräsentiert fühlt, braucht auch keine repräsentierte Kultur. Man muss sich nur einmal in den großen Metropolen der westlichen Welt umschauen. Auch dort ist der Glanz von Paris, Madrid oder London verblasst. Wenn man heute von Spaltung in diesen Gesellschaften spricht, dann verläuft der Riss auch zwischen Regionen und ihren Zentren. Der Föderalismus findet dort als Gegengewicht seine aktuelle Begründung.

 

Natürlich besitzt die Kulturpolitik in den Ländern keine so klangvollen Namen mehr; die Zeiten von Hilmar Hoffmann, Hermann Glaser, Kathinka Dittrich van Weringh – selbst Lothar Späth sind vorbei. Doch dasselbe lässt sich auch über die Bundespolitik sagen. Wer oder was wird denn auf Monika Grütters folgen? Noch mehr Geld, noch mehr Programme, noch mehr staatliche Kunstwohlfahrtspflege? Das wäre in diesen lausigen Zeiten nicht wenig, aber reicht es schon aus, um ein neues Amt zu begründen? Wo bleibt die Idee, wo der zündende Funke? Es wächst eher die Sorge vor einer neuen „Plantagenkultur“. Das aber wollte das Grundgesetz einst verhindern; dass Politik bestimmt, was sie selbst finanziert. Das sind keine Bedenken von gestern; sie treffen sich mit dem heutigen Lebensgefühl. Die Jüngeren unter uns wollen sich nicht mehr vorführen lassen; schon gar nicht von einer politisch gewollten Kultur.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2021.


Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat

Adresse: https://www.kulturrat.de/themen/texte-zur-kulturpolitik/der-glanz-der-bundeskulturpolitik-ist-dahin/