Johann Michael Möller - 28. August 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Der gestrandete Tanker


Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz nach dem Gutachten des Wissenschaftsrates

Der eigentliche Skandal ist, dass es keinen Skandal gab; dass eine dauererregte deutsche Kulturöffentlichkeit diesmal lieber zuschaut, wie die wichtigste deutsche Kulturstiftung, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zum Steinbruch gemacht wird. Denn nichts anderes bedeutet das Gutachten, das Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien beim Wissenschaftsrat bestellt und Anfang Juli in Berlin präsentiert hat. Man stelle sich nur einmal vor, einer anderen deutschen Kultureinrichtung dieses Ranges wäre Ähnliches widerfahren. Der Teufel wäre los. Die Feuilletons hätten sich überschlagen und die Politik würde sich sofort des Themas bemächtigen. Der Ruf der Kulturnation stünde wieder einmal auf dem Spiel. Doch das Schicksal der Preußenstiftung traf wohl auf die allgemeine Corona-Ermattung.

 

Vielleicht war es auch das Kalkül. Im Sommerloch ist schon so manches verschwunden. Von den kulturpolitischen Oberschamanen jedenfalls, die sich fast immer zu Wort melden, war so wenig zu hören wie von den einschlägigen Amtsträgern. Keine Appelle, keine Unterschriftenaktionen, kein Nichts. Nur die Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, Michelle Müntefering, war eine prominente Stimme, die sofort widersprach. Der zuständige Berliner Kultursenator Klaus Lederer war lieber in Urlaub gefahren. Ihm wird bei Preußen ohnehin schlecht. Der Widerstand kam schließlich von dort, von wo man ihn erwarten konnte: von den Mitarbeitern und von den Ländern, die im Stiftungsrat eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Die Direktoren der Stiftung waren die ersten, die öffentlich aufbegehrten. Sie wollen sich nicht ausgerechnet von denen sanieren lassen, denen sie eine Mitschuld an der Misere geben.

 

Denn die Probleme der Stiftung sind seit Langem bekannt: zu groß, zu schwerfällig, zu hierarchisch, zu knapp bei Kasse. Dysfunktional nennt das Gutachten die Strukturen. Die Betriebsatmosphäre ist gereizt, der Zuspruch – vor allem für die Museen – dagegen eher bescheiden. Von einem deutschen Louvre, von einem Berliner British Museum redet heute kaum einer mehr. So gesehen hätte das Gutachten des Wissenschaftsrates zum Befreiungsschlag werden können, auch wenn es die Verantwortlichkeiten nur vage umraunt. Aber was die Kulturministerin und ihr Wissenschaftsrat jetzt vorgelegt haben, ist keine vernünftige Blaupause für die Sanierung, es ist der Versuch, die Stiftung zu kapern. Politische Hürden, verfassungsrechtliche Bedenken, drohende Mehrkosten – das alles wird mit der linken Hand vom Tisch gewischt. Dass es einen gravierenden Unterschied gibt zwischen Markenführung und Organisationsstruktur scheint keineswegs klar; und was die Vervierfachung einer Dachstruktur bringen soll, darauf bleibt man die Antwort wohl schuldig. So ist ein leichtfertiges Dokument entstanden, das die Fronten eher verhärtet.

 

Vor allem das Mitspracherecht der Länder scheint der amtierenden Kulturministerin ein Dorn im Auge gewesen zu sein. Deren Macht hat sie postwendend jetzt zu spüren bekommen. Ohne die Länder geht nichts. Diese föderale Verantwortung wird gerne als lähmend gesehen. Doch hört man dem früheren Stiftungspräsidenten Klaus-Dieter Lehmann zu, dann bedeutet sie auch eine Chance. Nur mit den Ländern gemeinsam, so seine tiefste Überzeugung, lasse sich eine Nationalstiftung auf Dauer begründen. Am Ende hatte er selbst sie alle im Boot.

 

Überhaupt lohnt es sich, bei den Altvorderen dieser Stiftung einmal nachzulesen, wie sie ihre Aufgabe damals gesehen haben: Peter-Klaus Schuster und die von ihm maßgeblich vorangetriebene Wiedergeburt der Museumsinsel. Auch damals gab es Probleme zuhauf. Doch über allem wehte der Geist einer liberalen Kulturnation, die nach allen Verheerungen und Verbrechen zu ihren aufklärerischen Anfängen zurückfinden wollte. Damit kann der heutige Optimiererjargon gar nichts mehr anfangen. In diesem Ton will man noch nicht einmal einen Milchhof in Niedersachsen sanieren.

 

Was treibt aber diese Kulturministerin um? Warum will sie unbedingt Hand anlegen an ein einzigartiges Ensemble? Warum einen ehrgeizigen Prozess anstoßen, dessen Ende sie im Amt nicht erlebt? Und welche Rolle will der amtierende Stiftungspräsident dabei spielen? Bei der eigenen Abwicklung selbst Hand an sich legen zu dürfen? Mit welcher Expertise tritt überhaupt der Wissenschaftsrat auf und seine Gutachterin Marina Münkler? Die Literaturwissenschaftlerin hat sich in ihrer Laufbahn mit der Beschreibung der Hölle befasst. Vielleicht hat ihr das bei der Stiftung geholfen.

 

Womöglich aber geht es gar nicht darum, nur den „Vogel Phönix“, die Stiftung, zu rupfen. Vielleicht geht es vielmehr um Geschichtspolitik, um den Bruch mit dem alten Verständnis. Auf der Pressekonferenz im Haus des Wissenschaftsrats nach dem preußischen Erbe befragt, fiel keinem der auf dem Podium Sitzenden noch eine Antwort ein. Preußen, so der rettende Einfall, sei doch bloß eine Marke, auf die sich heute kein Mensch mehr bezieht. Oh Nike! möchte man rufen. Du hast es als Sportschuh viel besser.

 

Tatsächlich ragt diese Preußenstiftung wie ein gestrandeter Tanker mitten in unser Land hinein und zwingt eine Nation, sich ihrer selbst zu erinnern, die das in weiten Teilen gar nicht mehr will. „Das alte Deutschland sei unwiderruflich vergangen“, schreibt Marina Münkler in ihrem Buch über die neuen Deutschen. Da stört eben alles, was von Preußen noch sichtbar ist.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.


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