Katarina Barley - 26. Februar 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Nachhaltigkeit & Kultur

Konsum grundsätzlich umstellen


Nachhaltiges Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl

Vor Kurzem wurde ausgerechnet im Zusammenhang mit Digitalisierung breit über „Milchkannen“ diskutiert. Milchkannen sind allerdings in einem anderen Zusammenhang viel interessanter: Milchkannen sind stabil und wiederverwendbar, sie werden genutzt und nicht verbraucht und trugen damit zu einem nachhaltigen Konsum bei.

 

„Trugen“ deshalb, weil Milchkannen heutzutage bekanntlich gar nicht mehr genutzt werden. Milch gibt es heute in Glasflaschen oder Pappkartons. Wer denkt, dass die Milchverpackung damit ein Beispiel für Umweltverschmutzung durch Müllproduktion geworden ist, liegt falsch. Gut gemachte Milchkartons können heute ein Paradebeispiel für das sein, was man die „Kreislaufwirtschaft“ nennt.

 

Viel zu lang ging die Menschheit von einer linearen Produktion aus: Rohstoffe wurden zu Materialien, diese zu Produkten und diese nach Verbrauch zu Müll. Ende. Inzwischen haben wir erkannt, dass die Rohstoffe unserer Erde endlich sind und vor allem, dass wir mehr Müll in die Luft, Wasser und Böden eintragen, als diese vertragen. Wer will, dass – man muss es so drastisch formulieren – die Menschheit überlebt, muss deshalb vor allem in den Industrie­ländern Produktion und Konsum grundsätzlich umstellen. Dabei müssen Verbrauchsmaterialien nicht als Müll, sondern als Rohstoffquelle betrachtet und wiederverwertet werden. Bei Milchkartons klappt das schon ganz gut, aber das reicht natürlich nicht.

 

Die Menschheit, die Weltgemeinschaft, hat die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung erkannt. Notwendigkeit, Rahmen und Ziele der sozial-ökologischen Transformation sind in den 17 globalen Nachhaltigkeitszielen, den Sustainable Development Goals (SDG), abgebildet, die im September 2015 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen beschlossen wurden. Diese 17 Ziele sind nicht nur Leitprinzipien der Politik der Bundesregierung, sie formulieren auch die Kriterien für jede Fortschrittspolitik.

 

Klar ist damit: Wenn es Politik und Gesellschaft versäumen, die notwendigen Schritte zur Erreichung dieser Nachhaltigkeitsziele zu gehen, dann ließe sich dieses Nicht-Handeln nicht mit Fahrlässigkeit entschuldigen. Ein Richter würde in einem Prozess wohl „Vorsatz“ unterstellen, denn durch die Formulierung der Ziele als multilateralen Beschluss hat sich die Menschheit „bösgläubig“ gemacht, wie wir Juristinnen das nennen.

 

Eines der wichtigsten Ziele ist Ziel 12 „Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen“. Nur wenn wir Abfallprodukte weitgehend vermeiden und den CO2-Ausstoß minimieren, können wir einen Kollaps unserer natürlichen Lebensgrundlagen verhindern.

 

Es ist unschwer zu erkennen, dass die Ziele nicht dadurch erreicht werden können, dass die Länder an einigen kleinen Stellschrauben ihrer Wirtschaftspolitik drehen. Nötig ist eine vollständige Transformation unserer Gesellschaft. Und zwar nicht langfristig, sondern schnell. Denn es ist zu erwarten, dass es nach 2030 nur noch eingeschränkt möglich sein wird, auf die Entwicklungen Einfluss zu nehmen.

 

Diese Transformation bedeutet für die Bürgerinnen und Bürger ein Umdenken: Sie werden von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu Gebraucherinnen und Gebrauchern. Sie werden zu Nutzerinnen und Nutzern, bei denen der Lebensweg des Produktes nicht aufhört, sondern weitergeht. Stoffe und Produkte werden nur gebraucht und nach Gebrauch wieder in den Produktionskreislauf zurückgeführt.

 

Eine solche fortschrittliche Entwicklung verändert die Konsumkultur. Während beim Verbrauchen der Fokus auf dem Produkt liegt, das gekauft und verbraucht wird, liegt beim Gebrauchen der Zweck bzw. Nutzen, der durch das Gebrauchen verfolgt wird, ebenso im Vordergrund wie die Weiterverwendung.

 

Verbraucherpolitisch bedeutet diese Transformation daher, bei den Bürgerinnen und Bürgern die Bereitschaft und die Fähigkeit zur Diskussion über Zwecke und Ziele und auch Folgen ihres Verbrauchsverhaltens anzustoßen und zu führen.

 

Nachhaltigkeit bezieht sich in diesem Kontext jedoch nicht nur auf ökologische Nachhaltigkeit. Weitere Lebensbereiche sind umfasst. Z. B. „Ernährung sichern – den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern“ oder „Nachhaltige Städte und Siedlungen – Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten“.

 

Wie tiefgreifend die notwendige gesellschaftliche Transformation ist, zeigt auch Nachhaltigkeitsziel Nr. 16, das mir besonders wichtig ist. Es verlangt Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen.

 

Frieden, legitime Regierungsinstitutionen sowie eine konstruktive Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft sind zentrale Voraussetzungen für Achtung und Schutz der Menschenwürde. Dieses Ziel ist die Grundlage zum Erreichen vieler weiterer Nachhaltigkeitsziele, wie der Armutsbekämpfung, der Gesundheit, der Bildung, der Gleichstellung der Geschlechter oder der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.

 

Es gefährdet den Zusammenhalt, wenn Bürgerinnen und Bürger unsere Gesellschaft als ungerecht empfinden. Ich denke hier z. B. an die Diskussion über Steuervermeidung durch internationale Konzerne oder auch an die zunehmende Ungleichheit der Vermögensverteilung in Deutschland.

 

Wenn wir eine nachhaltige Entwicklung weltweit durchsetzen wollen, dann geht das nicht ohne einen klaren rechtlichen Rahmen und ohne Behörden und Gerichte, die das Recht durchsetzen. Der Staat gibt vor, was legal ist. Eine nachhaltige Gesellschaft werden wir aber nicht ohne Verantwortungsbewusstsein erreichen. Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl gibt uns eine gute Orientierung, was richtig ist. Deshalb ist neben Regulierung und Rechtsdurchsetzung auch Bildung und Aufklärung für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele notwendig.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2019.


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