Olaf Bandt - 28. Mai 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Insekten & Kultur

Systemrelevante Schönheit und Vielfalt


Insektenschutz ist Teil der Gründungs-DNA des BUND

Ob elegante Flieger wie Libellen und Schmetterlinge, fleißige Bestäuber wie Bienen und Hummeln oder eher unbequeme Mitbewohner wie Mücken und Bremsen: Insekten sind ein essenzieller Teil der Natur, sie erhalten unsere Ökosysteme und sie sichern uns unsere Nahrung. Als Bestäuber von Nutz- und Wildpflanzen erbringen sie enorme Leistungen, die sich auch ökonomisch messen lassen. So haben Bestäuber laut Berechnungen der FAO eine weltweite jährliche Wirtschaftsleistung von 212-521 Milliarden Euro. In Deutschland erreicht der Nutzwert aller Bestäuberinsekten rund vier Milliarden Euro im Jahr.

 

Zudem sind Insekten für Hunderte Arten, insbesondere Vögel und Kleintiere, eine unersetzbare Nahrungsgrundlage und haben in ihrem Rang ganz unten in der Nahrungskette eine unschätzbar wichtige Rolle für viele weitere Lebewesen. Auch als Verwerter von organischem Material auf und im Boden sind Insekten unersetzlich.

 

Der BUND ist seit vielen Jahrzehnten zum Schutz von Insekten aktiv, mit einem klaren Schwerpunkt auf den Erhalt ihrer Lebensräume und dem Ende ihrer Bedrohung durch Pestizide, Biotopzerstörung, Klimawandel und Flächenversiegelung. Ob die Rettung von Streuobstwiesen, die Pflege von Schutzgebieten oder die eigenen Beiträge zur Umgestaltung der Landwirtschaft, von der jährlichen Kür des „Schmetterlings des Jahres“ und der „Libelle des Jahres“: Insektenschutz ist Teil der Gründungs-DNA der Verbandsarbeit auf allen Ebenen des Verbandes.

 

Mit der Aktion „Abenteuer Faltertage“ bringt der BUND seit vielen Jahren Artenkenntnis und Mitmachen pro Naturschutz Menschen auch niedrigschwellig in Verbindung. Zahlreiche BUND-Gruppen engagieren sich für den Schutz der Libellen und ihrer Lebensräume. Sie renaturieren Bäche, Auen oder Moore und setzen sich für eine Verbesserung der Wassergüte ein. Sie überzeugen Landwirte und Behörden, nicht bis an den Rand von Gewässern zu mähen. Oder sie werben dafür, Gewässer nicht künstlich mit Fischen zu besetzen. Und sie dokumentieren vielerorts die Libellenfauna und geben damit wichtige Hinweise auf die Entwicklung unserer Natur. Schon in den 1980er Jahren brachten mehrjährige Kampagnen wie „Mehr Natur in Dorf und Stadt“ einen wesentlichen Beitrag zum ersten Umdenken und zur Entwicklung der heutigen Naturgartenbewegung, die den Schutz von Schmetterlingen und Bienen in die Wohnzimmer und Küchen brachte. Kleingärten und Privatgärten und kommunale Grünflächen mit ihrer Biodiversität sind Teil des deutschen Kulturerbes und haben enormes Potenzial für Lebensräume für Insekten, sofern sie pestizidfrei und naturnah bewirtschaftet werden: In Deutschland gibt es 17 Millionen Privat- und Kleingärten mit einer Gesamtfläche von 930.000 Hektar. Das entspricht 2,6 Prozent der Gesamtfläche unseres Landes.

 

Seit 2012 hat der BUND e.V. die Arbeit zum Insektenschutz wesentlich verstärkt, mit Informationskampagnen zu Wildbienen und Bestäubern sowie 2017 dem Nationalen Bienenaktionsplan. Dieser diente an vielen Stellen als Blaupause für den später verabschiedeten Aktionsplan Insektenschutz der Bundesregierung. Zeitgleich entstanden verstärkt zahlreiche Praxisprojekte zum Insektenschutz in den Landesverbänden. Zusammen bildet dieses Engagement die Grundlage für die zentralen Informations- und Politikkampagnen des Bundesverbandes zum Insektenschutzgesetz und vor allem der politischen „Insektenschutzwelle“ der letzten zwei Jahre: In Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen konnte der BUND mit Partnern den Insektenschutz in den Mittelpunkt der Volksbegehren und Initiativen zum Naturschutz stellen, gerade weil über mehrere Jahre Informations-, Bildungs-, praktischer Naturschutz und Politikarbeit zusammenwirken. Auch in Rheinland-Pfalz und Thüringen engagiert sich der BUND erfolgreich in zahlreichen Kooperationen und politischen Aktivitäten, insbesondere für mehr Artenschutz in der Landwirtschaft. So konnte unter anderem der Biotopverbund durch den Schutz von Randstreifen gestärkt, mehr Förderprogramme für Naturschutz in der Landwirtschaft geschaffen und auch zukünftig mehr Betriebe beim Artenschutz vor Ort beraten werden. In diesen Tagen sollte der Deutsche Bundestag nun hoffentlich ein ganzes Gesetzespaket zum Schutz der Insekten beschließen.

 

Für den BUND sind mit der Frage des Natur- und Insektenschutzes jedoch auch immer die wesentlichen Zukunftsfragen verbunden: Wie wollen wir zukünftig leben? Wie sollen unsere Nahrungsmittel wachsen, unsere Rohstoffe genutzt und Energie produziert werden? Nicht von ungefähr ist eine der ältesten Kulturarten des Menschen ein Insekt, die Honigbiene, seit langer Zeit das Symboltier für den Einsatz gegen die Verwendung von Pestiziden. Auch der von BUND und Heinrich-Böll-Stiftung gemeinsam veröffentlichte „Insektenatlas“ setzt Daten und Fakten über Nütz- und Schädlinge in der Landwirtschaft in diesen gesamtgesellschaftlichen Kontext einer sozial-ökologischen Transformation.

 

All dies fußt beim BUND auf dem Engagement Zehntausender Menschen gerade auf der lokalen Ebene. Was treibt uns dabei an – was gibt uns so viel Unterstützung in der Gesellschaft? Sicherlich die Bedeutung der Insekten für die biologische Vielfalt und die Produktion von Lebensmitteln. Ja, Insekten sind „systemrelevant“. Mir scheint dies allerdings nur ein Teil der Erfolgsgeschichte unseres Engagements zu sein. Ganz wesentlich geht es auch um den Erhalt und die Begeisterung für Schönheit und deren Vielfalt in der Natur. Die ist nämlich ansteckend und inzwischen zum breiten gesellschaftlichen Phänomen geworden. Dem können sich weder Landwirtschaftsministerinnen noch Bauernpräsidenten entziehen. Wenn ich bei Exkursionen zu Insektenschutzprojekten in die Gesichter der Menschen blicken, dann erkenne ich die Faszination an den „sechs Beinen“ und ihren schier unendlich vielen Formen und Farben. Es geht auch ohne Fachkenntnisse. Einfach mal länger auf eine blühende Wiese schauen – es könnte ein Blick auf eine Kulturrevolution im friedlichsten Sinne sein. Ich spüre dann diese Chance in dem Miteinander von uns Menschen und den Insekten: Wird aus der Bewegung der „Schädlingsbekämpfer“, die inzwischen ihre eigene Lebensgrundlage ausrotten könnten, ein neues Miteinander in Schönheit und Sicherung unserer Lebensgrundlagen?

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2021.


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