Ludwig Greven - 28. Mai 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Insekten & Kultur

Krabbeln auf dem Teller


Milliarden Menschen ernähren sich von Insekten

Insekten und Menschen leben in enger Symbiose, seit es Menschen gibt. Etliche fliegende und krabbelnde Kerbtiere ernähren sich wie Maden und Würmer von menschlichem Blut und Eiweißen und ihren Lebensmitteln. Und von ihren sterblichen Überresten. Umgekehrt verzehren Menschen sie. Manchmal unfreiwillig, wenn einem eine Fliege in den Mund fliegt oder sie im Salat landet. Mehr und mehr aber auch gezielt und ernährungsbewusst. Bereits zwei Milliarden Menschen, vornehmlich in Asien und Afrika, dienen nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO Insekten als Nahrungsquelle, vor allem wegen ihres hohen Proteingehalts und aus Mangel an anderen Nahrungsmitteln. Schon bei den alten Griechen und Römern reichte man fette Larven bei Festessen als Delikatesse, Aristoteles soll Rezepte für die Zubereitung von Zikaden hinterlassen haben. In Deutschland und Frankreich wurden Maikäfer bis ins 20. Jahrhundert verspeist.

 

Gehören geröstete Heuschrecken, gegrillte Wespen und Würmer-Burger also auch hierzulande bald zum Speiseplan einer innovationsfreudigen Nahrungsmittelindustrie, die ja bereits Tofu-Burger und fleischlose Würstchen anbietet, und von wagemutigen Verbrauchern? Können sie gar das Welternährungsproblem lösen? Immerhin bieten Onlinehändler und einige Supermärkte und Restaurants schon seit Jahren Heuschrecken, Grillen und Buffalowürmer an, als Snacks frittiert und gewürzt oder mit Schokolade oder Honig überzogen. Für Sportler sind Insekten-Proteinriegel und -pulver ein heißer Tipp. Fleischproduzenten nutzen Würmermehl als Futtermittel.

 

Rund 2.000 Insektenarten gelten als essbar, vor allem Käfer, Raupen, Bienen, Wespen, Ameisen, Heuschrecken, Grillen und Mehlwürmer. Man muss sie nur mögen. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen freut sich: Essbare Insekten seien „im Landeanflug auf den deutschen Lebensmittelmarkt“. Die Krabbeltiere punkteten neben den hohen Nährstoffen und einem reichen Angebot an Omega-3-Fettsäuren, Vitaminen und Mineralstoffen mit einer nachhaltigeren Produktion als Fleisch: Sie brauchen weniger Platz, Futter, Energie und Wasser und verursachen weniger Treibhausgas-Emissionen. Ihr essbarer Anteil ist zudem mit 80 Prozent doppelt so hoch wie beispielsweise beim Rind.

 

Ein großes Hindernis steht dem großen Krabbeln auf deutschen Tellern allerdings entgegen: Ekel bei vielen vor allem, was kreucht und fleucht. Nicht nur bei Menschen mit Spinnenphobie oder solchen, die schon von Küchenschaben, Lebensmittelmotten oder Wespen auf dem sommerlichen Pflaumenkuchen geplagt wurden. Von Mücken und krankheitsübertragenden Insekten nicht zu reden. Und es bleibt dieselbe ethische Frage wie bei größeren Lebewesen: Auch das Gesummse und Gewürm ist unverzichtbarer Teil der Natur. Wenn das Insektensterben nicht noch verstärkt werden soll, müssten sie in riesigen Massen gezüchtet und gemästet werden, nicht anders als bei Schweinen, Rindern und Hühnern. Mit wahrscheinlich allen bekannten Folgen wie Hormon-, Antibiotika- und Chemikalien-Belastung. Auch deshalb würde ein vermehrter Verzehr von Insekten den Hunger in der Welt nicht beseitigen. Denn Nahrungsmittel sind nach FAO-Angaben im Prinzip genug da für alle neun Milliarden Menschen. Nur können sie sich viele aus Armut nicht leisten.

 

Vegetarisch, gar vegan ist das Knabbern an Grillen oder Larven jedenfalls nicht, auch wenn sich ein Großteil der Insekten so ernährt. Außerdem können auch sie Krankheiten auf Menschen übertragen, wie beim Coronavirus, auch wenn Biologen das Risiko dieser Zoonosen für geringer halten als bei Säugetieren oder Fledermäusen. Vorsorglich raten die Verbraucherzentralen davon ab, selbst gesammelte Insekten zu essen, da sie als „Wildtiere“ sich auch von Abfällen ernähren oder von Parasiten befallen sein können. Ähnliches gelte für Insekten aus dem Zoohandel. Speiseinsekten, die im Lebensmittelhandel angeboten werden, stammten ausschließlich aus kontrollierter Aufzucht. Verbraucher müssen also nicht befürchten, wild gefangene Heuschrecken aus Afrika zu verspeisen, obwohl sie dort im Überfluss als biblische Plage die Felder für Millionen Menschen leer fressen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2021.


Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat

Adresse: https://www.kulturrat.de/themen/nachhaltigkeit-kultur/insekten-kultur/krabbeln-auf-dem-teller/