Gregor Amadeus Mayrhofer & Sandra Winzer - 28. Mai 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Insekten & Kultur

Insect Concerto


Mit Musik gegen das Insektensterben

„Singende“ Grillen, Zirpen im 5/8-Takt – Komponisten der zentralen Motive im „Insect Concerto“ sind die Insekten selbst. Sandra Winzer spricht mit dem Komponisten und Dirigenten Gregor Amadeus Mayrhofer darüber, was klassische Musik und Insekten vereint, und wie sein „Insect Concerto“ an die wichtige Rolle der Insekten erinnert.

 

Sandra Winzer: Herr Mayrhofer, klassische Musik und Insekten – was haben diese beiden Sphären miteinander zu tun?

Gregor Amadeus Mayrhofer: Sie sind lebendig. In beiden Bereichen gibt es eine unendliche Vielfalt an Strukturen und Philosophien – und eine Vielfalt an Schönheit. Was mich reizt, ist: zwei Themen zusammenzubringen, von denen man zunächst denkt, dass sie total gegensätzlich sind.

Und diese Gegensätzlichkeit in der Musik auszukomponieren. Gegenpole sind oft erst das Potenzial für den Raum dazwischen. Daraus kann man dann einen Dialog und Kreativität werden lassen.

In meiner Komposition haben klassische Musik und Insekten vor allem den Klang gemeinsam.

 

Wie sind Sie beim Komponieren vorgegangen?

Ich wollte, dass die Insekten zunächst mit ihren ureigenen Lauten vorhanden sind. Wir nahmen aufgenommene Laute von einer Insektenforscherin. Dann habe ich geschaut: Wie kann ich die Geräusche imitieren und dem am Ende auch etwas entgegensetzen, sodass ein Spannungsfeld entsteht, aus dem ein fruchtbarer musikalischer Dialog wird. Ich wollte nicht nur ein Stück mit Insektenklängen schreiben, oder eines, wie man es in der Klassik erwarten würde, voller Harmonien und Melodien. Sondern eines, das diese beiden Welten zusammenbringt.

 

Ein spannender Prozess …

Ja, meine Ohren haben sich in dem Prozess komplett geöffnet. Man denkt: „Eine Grille klingt wie eine Grille“. Als ich anfing, mich in diese Klangbibliotheken einzuhören und der Natur zuzuhören, fiel mir erst auf, wie unterschiedlich und schön die Klänge eigentlich sind. Im „Insect Concerto“ gibt es drei Hauptklänge. Die „singende“ Grille, die zirpt. Dann gibt es Grillen, die klingen, als hätten sie einen Schaden, sie klingen eher wie ein Zischen. Und dann gibt es eine Grille, die im 5/8-Takt zirpt. Wahrscheinlich eine lateinamerikanische Grille mit Rhythmusgefühl. Das wurde der Grundrhythmus des Stücks, das Hauptmotiv. Die „Komponistinnen“ und „Komponisten“ der zentralen Motive waren tatsächlich die Insekten selbst.

 

Zu Beginn des Konzerts nehme ich eine sehr harmonische akustische Krabbelei wahr; einen inneren Dschungel, der mich umgibt. Bereits ab Minute drei aber werden die Klänge unruhig-bedrohlich. Ist das bewusst so gesetzt …?

Ja. Das Thema „Insekten“ ist extrem dringend. Vielen Politikerinnen und Politikern ist noch nicht bewusst, wie nah wir am Abgrund stehen. Unser Leben als Spezies Mensch fußt auf der natürlichen Balance, die auch mit den Insekten zu tun hat. Wenn wir hier auf Risiko spielen und nur Profite im Blick haben, ist das gefährlich. Gleichzeitig muss man sich in einem solchen Stück auch fragen: Wie apokalyptisch muss es sein? Ich habe versucht, immer wieder eine schillernde Mitte zu finden. Trotzdem wollte ich deutlich machen, dass das Insect Concerto nicht nur eine heitere Zusammenkunft ist, sondern einen bedrohlichen Hintergrund hat.

 

Das Insektensterben. Sie wollen also zeigen: Diese wunderschöne akustische Kraft der Insekten könnte aus unseren Wiesen und Wäldern verschwinden …

Genau. Das Konzert soll aber eher die Faszination in den Vordergrund rücken, nicht die Apokalypse. Ich glaube daran, dass Menschen sich durch Faszination stärker als durch einen drohenden apokalyptischen Zustand bewegen lassen. Viele Menschen aber haben mir rückgemeldet, dass sie der Natur ganz anders zuhören, seit sie mein Konzert gehört haben. Sie gehen plötzlich über eine Wiese und hören den Insekten bewusst zu. Nehmen wahr, was fehlen würde, wenn es nicht mehr da wäre. Das ist mein Ziel.

 

Die „akustische Heldin“ in Ihrem Konzert ist die Grille, sie sticht besonders heraus. Haben Sie sich bewusst gegen andere Insekten entschieden?

Im Gegenteil. Ursprünglich hieß das Konzert „Cricket Concerto“, also Grillenkonzert. Natürlich sind die Grillen am markantesten. Aber ich möchte bewusst mit dem Namen „Insect Concerto“ auf alle Insekten hinweisen. Im Stück sind z. B. auch Ameisen versteckt. Aufnahmen, bei denen Forscher mit Mikrofonen ganz nah Ameisen aufgenommen und verstärkt haben: irrsinnig spannende Geräusche, die an elektronische Musik erinnern. Und der Mittelteil ist stark von der Bewegungsart einer Libelle inspiriert. Libellen mit ihrem schönen schillernden Körper bewegen sich sehr schnell – halten dann aber plötzlich inne. Das habe ich akustisch eingebunden.

Heißt: An der Oberfläche des Konzerts hören wir vor allem die Grillen. Inspiriert aber ist es von vielen verschiedenen Insekten und der Philosophie ihres Lebens. Das Flirrende, Überflutende spiegelt sich in den dichten Klangtexturen in dem Stück wider.

Sie können aber nicht nur Insekten klassisch-musikalisch umsetzen. Ihre neueste Komposition ist das „Recycling Concerto“. Auch damit unterstützen Sie einen guten Zweck für unseren Planeten. Wer sind hier die Solisten?

Wenn man so will, ist das solistische Subjekt der Müll – das Recyceln. Auch hier wollte ich zwei Elemente zusammenbringen, die erst einmal gar nicht zusammengehören. Die Klassik auf der einen Seite – sie wird meist als Hochglanzkultur wahrgenommen. Auf der anderen Seite steht der Müll – das genaue Gegenteil. Das Besondere in diesem Konzert ist: Die Instrumente der Percussion-Solistin haben wir alle aus recyceltem Müll gebaut. Wir haben uns gefragt: Wie können wir weggeworfene Produkte musikalisch aufwerten und dadurch neue Klänge finden?

 

Welcher Müll musiziert in Ihrem Konzert? 

Wir haben z. B. alte Plastikflaschen durch ein Ventil im Deckel mit Luftdruck gestimmt und so ein Melodieinstrument daraus gemacht. Aus Blumentöpfen und mit Wasser gefüllten Glasflaschen wurde ein Vibraphon, und es gibt Instrumente aus verbrauchten Kaffeekapseln, Kronkorken, Metallschrott… Auch normale Plastikfolien nutzen wir rhythmisch.

Mit Vivi Vassileva, der Solistin, die am 16. Juni die Uraufführung in Ludwigshafen spielen wird, habe ich viel ausprobiert. Fast ein Jahr lang schickten wir uns wöchentlich Videos zu, in denen wir auf Dingen klopfen oder mit den Fingern darauf entlangfahren und entdecken, wie spannend so mancher vermeintliche „Müll“ klingen kann. Wir haben Weggeworfenes auf seine Musikalität hin getestet und daraus etwas gebaut.

 

Eine weitere Idee für Ihre Konzerte ist es, den Müll der Stadt, in der Sie spielen, in das Konzert einzubinden. Wie wird das aussehen?

Wir als Künstlerinnen und Künstler können Faszination herstellen und dadurch hoffentlich Menschen dazu inspirieren, etwas zu verändern. Wir dachten: Wir können in (Musik-)Schulen gehen, eine Müll-Sammel-Aktion starten in dem Ort, in dem wir spielen, und zeigen, wie man aus Müll Instrumente baut. Einen Teil dieser „Recycling-Instrumente“ kann man am Ende auch tatsächlich für das Konzert verwenden. Einige Instrumente mussten wir für das Konzert speziell präparieren. Es gibt aber auch Stellen, an denen freisteht, welche Müll-Instrumente man zur Hand nimmt, an denen der „lokale“ Müll erklingen kann.

 

Mit welchem Gefühl sollen die Besucherinnen und Besucher aus Ihren Konzerten gehen?

Ich möchte Menschen dazu inspirieren, neue Lösungen im Alltag zu finden. Ich kann zwar nicht die Verantwortung übernehmen, dass ein großer Chemiekonzern etwas ändert, wie etwa die Politik es könnte. Aber ich kann aufzeigen: Es gibt viel mehr Möglichkeiten, als unsere Bequemlichkeit es uns oft versucht weiszumachen. Ich möchte Menschen dazu inspirieren weiterzusuchen. Viele phänomenale bildende Künstlerinnen und Künstler schaffen aus Müllmaterial eine ganz neue Ästhetik. Das mit der Musik zu schaffen war mein Versuch. Ich hoffe, dass die Botschaft bei vielen Menschen ankommt und ebenso viel Kreativität auslösen wird.

 

Das ist Ihnen gelungen, Herr Mayrhofer. Sie zeigen, dass klassische Musik dazu dienen kann, auf die bewegenden aktuellen Themen unseres Planeten aufmerksam zu machen. Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2021.


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