„Kleidungsstücke sollen wieder länger leben“
Barbara Meier im Gespräch
Model, Schauspielerin und Autorin Barbara Meier engagiert sich seit vielen Jahren für mehr Nachhaltigkeit in der Mode- und Textilindustrie. Als Textilbotschafterin des Siegels „Grüner Knopf“ gibt sie im Gespräch mit Sandra Winzer Einblick in die komplexe und ambivalente Thematik der nachhaltigen Mode.
Sandra Winzer: Frau Meier, Sie sind Textilbotschafterin des Siegels „Grüner Knopf“ und setzen sich damit für Kleidung ein, die sozial und ökologisch verantwortungsvoll produziert wird. Was genau heißt für Sie „verantwortungsvoll“?
Barbara Meier: Nachhaltige Kleidung definiert jeder ein wenig anders. Verantwortung ist breit gefächert. Verantwortungsvoll kann man in Bezug auf Menschen produzieren, aber auch in Bezug auf die Umwelt oder Ressourcen. Noch ist es sehr schwierig, Kleidung zu produzieren, die wirklich alldem gerecht wird.
Der „Grüne Knopf“ hat 46 Sozial- und Umweltstandards festgelegt, die für dieses Zertifikat erfüllt sein müssen: ganz vorn etwa die Ausrichtung der Unternehmenspolitik auf Menschenrechte und Umweltschutz. Noch ist das aber ein erster Schritt. Irgendwann wird es hier eine zweite Stufe geben, auf der die Anforderungen noch anspruchsvoller werden. Aber alle, die bei diesem Siegel beteiligt sind, sind sich einig: Wir können nicht warten, bis etwas perfekt ist, sondern wir müssen beginnen, eine Veränderung hervorzurufen.
Das glaube ich auch für mich selbst. Man sollte nicht von sich selbst erwarten, immer sofort perfekt zu sein. Wir Menschen sind von einem 100-Prozent-Ziel schnell überfordert. Jeder muss sich einfach auf den Weg machen.
Beispielsweise können wir bei Kleidung auf Rohstoffe achten, die verwendet werden. Ist es Baumwolle oder Bio-Baumwolle? Diese drei Buchstaben machen den großen Unterschied für die Umwelt aus. Wichtig ist auch, dass kein Polyester verwendet wird. Mit diesem Bewusstsein kann jeder schon anfangen, Verantwortung zu übernehmen.
Gleichzeitig kann man Verantwortung für die Frauen übernehmen, die Kleidung fertigen. Hier müssen wir uns solidarisieren. In den USA hatten wir die wirklich wichtige „Me-too-Debatte“, bei der es um Schauspielerinnen ging. Bei diesem Thema ist es gelungen, dass die Frauen zusammengehalten haben. Gleichzeitig gibt es Millionen von Näherinnen auf der Welt, die nur für uns arbeiten – unter sklavenartigen Bedingungen. Die aber scheinen wir vergessen zu haben.
Sklavenhaltung im weitesten Sinne ist nichts aus der Vergangenheit – es gibt sie immer noch. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir hier nicht wegschauen dürfen.
Mit LIDL haben Sie eine Kollektion nachhaltiger Mode entworfen – die „Grüner-Knopf-Kollektion“ – und eine „Mini-Me“-Kollektion für Frauen und Babys. Für welchen Standard steht der „Grüne Knopf“ genau?
Er konzentriert sich im Wesentlichen auf die faire Entstehung und Produktion von Mode. Rohstoffe, Umwelt und Menschenrechte spielen eine große Rolle. Als staatliches Siegel vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung schafft er eine Art übergeordnete Kontrollinstanz. Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher finde ich es gut, etwas Staatliches zu haben, das einem beim Kauf ein gutes Gefühl geben kann. Wir müssen uns einfach auf den Weg machen.
Mode und Kleidung steht für das Schöne. Nicht immer geht es in dieser Branche aber auch fair und schön zu. Sie sind selbst in den globalen Süden gereist, haben Projekte in Äthiopien und Pakistan besucht. Was ist Ihnen auf Ihren Reisen aufgefallen, das Ihnen Anlass zum „Auf-den-Weg-Machen“ gegeben hat?
Bei den Reisen waren wir mit Journalisten und mit dem Ministerium unterwegs. Die Fabriken mit den niedersten Arbeitsbedingungen konnten wir nicht besichtigen, denn für ein Kamerateam würden diese niemals die Türen öffnen.
Was wir gesehen haben, waren Firmen, die auf einem guten Weg zu einer besseren Entwicklung waren, z. B. durch Beratung aus Deutschland. Auch hier aber gibt es Punkte, die nur vordergründig gut klingen. Der staatliche Mindestlohn ist ein solches Beispiel. Oft reicht er nicht zum Überleben, ist also nicht existenzsichernd. Es gibt Frauen, die 14 bis 18 Stunden täglich arbeiten, 6 bis 7 Tage die Woche – und trotzdem reicht ihr Lohn nicht für Grundbedürfnisse wie Wohnen und Essen. So etwas erfährt man nur, wenn man mit den Frauen vor Ort direkt spricht.
Direkt zu sagen: „Wir produzieren nicht mehr in Niedriglohnländern“ kann aber auch nicht die Lösung sein, denn dann hätten die Frauen gar keine Arbeit. Hier muss man vorsichtig und bewusst abwägen. Wir müssen die Menschen mit Arbeit versorgen, aber auf eine lohnenswerte Art.
Wie kann das aussehen?
Das hat viel mit den Regierungen vor Ort zu tun. Wie legen sie den Mindestlohn fest? Müssen wir, als Europäerinnen und Europäer, hier mitentscheiden? In der Zusammenarbeit habe ich gelernt, dass es sich hier um feine Nuancen handelt. Wir können unsere Ideen einem anderen Land nicht einfach überstülpen. Auch wir wissen nicht immer, was richtig ist. Wir können aber unterstützen und gemeinsam Lösungen erarbeiten.
In Äthiopien etwa wird die Textilindustrie noch aufgebaut. Wenn hier z. B. neue Fabriken entstehen, können wir darauf achten, dass diese Fabriken gleich „richtig“ gebaut werden. Nicht belehrend, sondern unterstützend – durch das Mitgeben von Erfahrungen.
Es gibt leider noch eine große Anzahl an Fabriken, bei denen es Realität ist, dass Fluchtwege versperrt sind. Wenn dort Feuer ausbricht, kommt niemand raus, weil ein Schloss davorhängt. An anderen Orten werden Frauen mit Eisenstangen geschlagen. Andere Frauen wiederum haben keine Zeit mehr, sich um ihre Kinder zu kümmern. Ihre Kinder leben weit weg bei den Großeltern und sehen ihre Mütter zweimal im Jahr. Das sind Schicksale, die einem das Herz brechen; ich selbst bin vor Kurzem Mutter geworden. Viele kleine Situationen, bei denen wir uns oft gar nicht bewusst sind, wie groß deren Auswirkungen wirklich für die Einzelnen sind.
Was hat die Coronapandemie mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Mode gemacht – hat sie Einfluss genommen – und, wenn ja, positiv oder negativ?
Es ist schwierig, einzuschätzen. Am Anfang dachte ich, dass die Pandemie gut für die Nachhaltigkeit ist. Viele Menschen waren zu Hause, haben ihren Schrank ausgemistet; darüber nachgedacht: Was brauche ich wirklich? Etwa 20 Prozent der Kleidung, die wir besitzen, tragen wir nie und zu Beginn der Pandemie dachte ich, dass das Bewusstsein hierfür geschärft werden könnte. Gleichzeitig aber ist der Nachhaltigkeitsgedanke zurückgedrängt worden. Vor 2020 war die Fridays-for-Future-Bewegung ganz vorn. Es war toll, zu beobachten, dass all diese jungen Menschen eine solche Bewegung auslösen können.
Arnold Schwarzenegger hat beim Austrian World Summit in Wien gesagt, dass jährlich sieben Millionen Menschen an Luftverschmutzung sterben. So etwas muss uns bewusst werden. Dass es nicht nur um ein „bisschen“ Umweltverschmutzung geht, sondern dass auch jetzt schon viele Menschen daran sterben. Durch Corona hat dieses Thema dann natürlich wieder wenig Aufmerksamkeit bekommen. Menschen mussten wieder sparen – und leider ist die nichtnachhaltige Mode aktuell trotzdem noch billiger.
Müssen wir hier umdenken?
Ja. Es geht nicht darum, was oder wie viel ich kaufe, sondern, dass wir Kleidung wieder vermehrt als Wertprodukt sehen. In meiner Kindheit habe ich Kleidung als wertig erlebt. Ein Kleidungsstück haben wir lange getragen. Hatte es ein Loch, wurde es geflickt. Viele junge Menschen aber nutzen „shoppen“ als Hobby. Die Qualität der Kleidung ist teilweise so schlecht, dass ein Stück nach einer Party einfach weggeworfen wird. Ich würde das Bewusstsein, das ich in meiner Kindheit erlebt habe, gern wieder zurückholen: dass man Löcher flickt, gute Qualität kauft und nicht jedem Trend hinterherläuft.
Brauchen wir wirklich jede Woche eine neue Kollektion in jedem Geschäft? Ich glaube nicht. Zwar kaufe auch ich mir Kleidung, die im Trend ist – aber nur dann, wenn sie zu meinem Typ passt. Wenn dem so ist, kann ich nämlich sicher sein, dass ich sie auch in zehn Jahren noch trage. Ich kaufe etwas, weil es ein Lieblingsstück ist und das auch ruhig bleiben darf – ruhig ein paar Jahre lang.
Eine Studie vor wenigen Jahren hat gezeigt: Im Schnitt tragen wir ein Kleidungsstück vier Mal – das ist erschreckend wenig.
In einem Interview haben Sie gesagt, dass Sie den Eindruck haben, dass der Konsum in unserer schnelllebigen Welt im Vordergrund steht. Gleichzeitig erleben wir viele junge Menschen auch in den sozialen Netzwerken, die sich für Nachhaltigkeit stark machen.
Das ist so. Ich habe mich mal mit einem Vater einer Teenagerin unterhalten. Sie wollte unbedingt zu einer Fridays-for-Future-Demo gehen. Der Vater sagte zu ihr: „Ich fahre dich gern hin, du darfst auch die Schule schwänzen. Dafür möchte ich aber, dass du dir die neuen Adidas-Sneaker nicht kaufst. Denn du hast gute Schuhe, die dir noch passen.“ Diesen Kompromiss war das Mädchen nicht bereit, einzugehen.
Ich bin also nicht sicher, ob es die gleichen Jugendlichen sind, die zur Fridays-for-Future-Demo gehen und trotzdem beim Shoppen in die Geschäfte stürmen – oder, ob es zwei komplett unterschiedliche Lager sind. Eine spannende Frage. So oder so hoffe ich, dass wir uns beim Thema Nachhaltigkeit alle gemeinsam auf den Weg machen können und versuchen, Schritt für Schritt etwas zu verbessern.
Was haben wir im Bereich nachhaltige Mode schon erreicht?
Ich merke, dass es unheimlich viele neue, innovative Materialien gibt. Auf Nachhaltigkeitsmessen sah ich Taschen, die aus Apfelresten gemacht waren, aus Rhabarber hergestelltes Leder oder Kleidung aus Holzfasern. Es ist faszinierend, zu sehen, welche Entwicklungen sich hier auftun.
Auch hier gibt es aber Schattenseiten. Ich trug mal eine Hose einer nachhaltigen Firma, die aus recycelten Plastikflaschen hergestellt war. In diesem Zusammenhang erfuhr ich, dass hier teilweise Plastikflaschen produziert und absichtlich ins Wasser geworfen werden, damit sie rausgefischt und verwendet werden können. So können Firmen das System ausnutzen und sagen: Wir haben recyceltes Plastik verwendet. Da hörte mein Verständnis auf.
Auch beim Thema Nachhaltigkeit also gibt es schwarze Schafe …
Ja. Ohne verlässliches Siegel ist es als Verbraucher sehr schwer, hier den Überblick zu behalten. Wir brauchen Orientierung. Ich schätze dabei auch kleine Schritte – selbst, wenn eine Firma erst 20 Prozent Biobaumwolle verwendet, ist das kein „Green Washing“ aus meiner Sicht, sondern der erste richtige Schritt. Es ist ein guter Anfang, wenn die Firma diesen ernst meint. Es gibt aber natürlich nach wie vor Firmen, die sich gar nicht ändern wollen – das ist ein Problem. Wir müssen genau hinschauen. Sind Innovationen wirklich nachhaltig oder werden sie missbraucht? Durch die Nachfrage können wir hier viel steuern. Wenn die Nachfrage für nachhaltige Mode wächst, wird die Industrie hoffentlich nachziehen. Das ist meine Hoffnung.
Was soll sich in den nächsten zehn Jahren ändern? Was wünschen Sie sich, angestoßen zu haben?
Ich wünsche mir, dass Kleidung wieder zum Wertprodukt wird. In einem Bericht hörte ich vor Kurzem vom Begriff des „Lumpensammlers“. Da dachte ich: Dieses Wort gibt es gar nicht mehr. Heute aber gibt es Menschen, die Pfandflaschen sammeln. Ist es nicht interessant, dass Pfandflaschen heutzutage teilweise wertvoller sind als Kleidungsstücke? Das ist aus meiner Sicht nicht okay.
Kleidung hat oft kaum einen Wert mehr – die Qualität der Stoffe ist teilweise so schlecht, dass man sie nicht mal mehr zu Putzlappen recyceln kann. Ich fände es toll, wenn die Menschen wieder vermehrt sagen: Ich habe meinen Lieblingspulli und den flicke ich so lange, bis er auseinanderfällt. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass vermehrt hochwertig produziert wird mit puren, wertvollen Materialien.
Als Kind habe ich viel von meiner älteren Schwester und meinen Cousinen getragen – bei uns ging ein Kleidungsstück einmal durch die ganze Verwandtschaft. Wenn wir hier wieder Wertprodukte und Lieblingsstücke haben, kann das wieder so sein. Dann bekommt die Kleidung Charakter und wir pflegen sie entsprechend. Mein Wunsch ist es, dass Kleidungsstücke wieder länger leben dürfen.
Vielen Dank.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/22.
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