Viola Wohlgemuth - 29. April 2022 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Modekultur

Jede Sekunde wird eine LKW-Ladung an Kleidung verbrannt


Die Auswirkungen der Modeindustrie auf die Umwelt

Kleidung ist ein Bedürfnis, klar. Doch seit Jahren leben wir über unsere Bedürfnisse: Die Mode, die wir am Leib tragen, wird zum Teil unter menschenunwürdigen Bedingungen produziert, ist mit erheblichen Umweltschäden verbunden – und es gibt viel zu viel davon.

 

Die Modeindustrie ist für bis zu zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich und eine der Hauptursachen für die weltweite Wasserverschmutzung. Von mehr als 80 Prozent der Umweltauswirkungen sind dabei die Länder des Globalen Südens betroffen, wo über 90 Prozent der Kleidungsstücke hergestellt werden.

 

Aufgrund dieser massiven negativen Auswirkungen auf die Umwelt ist „Kreislaufwirtschaft“ zum neuen Schlagwort unter den globalen Modemarken geworden, die versuchen, damit ihr Image aufzupolieren. In der Realität werden jedoch weniger als ein Prozent der Kleidungsstücke zu neuer Kleidung recycelt, und das Produktionsvolumen von Kleidungsstücken steigt weiter jährlich um 2,7 Prozent an.

 

Fortschritte bei der Entgiftung

 

Mit der Kampagne „Detox My Fashion“ startete Greenpeace vor nun schon elf Jahren den Kampf gegen gefährliche Chemikalien in der Textilindus­trie. Trotz jahrzehntelanger Programme zur Regulierung und Unternehmensverantwortung konnten wir diese Gifte damals in Abwässern von Textilfabriken, in Produkten und in der Umwelt weltweit nachweisen. Hunderttausende Unterstützerinnen und Unterstützer schafften mit uns damals, was viele für unmöglich hielten: 80 internationale Textilhersteller und Zulieferer erklärten in Selbstverpflichtungen, bis 2020 in ihren Lieferketten ohne gefährliche Chemikalien auszukommen und Transparenz über den Nachweis toxischer Substanzen in den Abwässern ihrer Fabriken herzustellen.

 

Ferner verpflichteten sich die Markenfirmen dazu, ab 2014 die Probleme Überproduktion und Müll anzugehen sowie die Verantwortung für den gesamten Lebenszyklus ihrer Kleidung zu übernehmen, indem sie die Warenströme entschleunigen und die Materialkreisläufe schließen.

Für den Report „Freiwillige Selbstverpflichtung – Ein Mode-Märchen über grüne Fast-Fashion“ hat Greenpeace 2021 sich 29 Unternehmen näher angeschaut. Sie alle verzichteten in über 90 Prozent ihrer Produktionsstätten auf giftige und besonders umweltschädliche Chemikalien. Greenpeace kritisiert an vielen Stellen mangelnde Transparenz, so hat fast ein Drittel der kontrollierten Markenunternehmen – darunter Nike und Adidas – keine detaillierten Abwasser-Testergebnisse oder -Analysen in ihren jüngsten Berichten aufgeführt. Unterm Strich: Auch wenn die Tendenz stimmt, bleibt

Detox vorläufig ein Prozess.

 

Das Problem der Modeindustrie ist Fast Fashion

 

Ein größeres Problem für den Klimaschutz stellt hingegen das Geschäftsmodell von Unternehmen wie Primark oder SHEIN dar: wöchentlich wechselnde Kollektionen für wenig Geld, zum Teil sogar täglich neue Unterkollektionen, die in hohen Stückzahlen produziert werden und letztlich nichts weiter als Wegwerfware sind. Der gewaltige Überschuss an Kleidung, die nicht benötigt wird, belastet auch das Klima.

 

Rund 200 Milliarden Kleidungsstücke wurden im Jahr 2020 weltweit hergestellt – etwa doppelt so viel wie im Jahr 2014. Verkauft wurden 2020 hingegen „nur“ 160 Milliarden. Dazu kommt, dass selbst die gekaufte Kleidung zum großen Teil gar nicht benutzt wird. Eine Greenpeace-Untersuchung unter deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher im Jahr 2015 ergab, dass ein Fünftel der Kleidung in deren Kleiderschränken nie getragen wird. Sämtliche Produktionsschritte bei der Herstellung von Textilien machen zusammengenommen rund acht bis zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissionen aus: Das entspricht dem gesamten internationalen Flug- und Schiffsverkehr. Jede Tonne Kleidung verursacht in ihrem Lebenszyklus 15 bis 30 Tonnen CO2.

 

Globale Modemarken werben für Kreislaufwirtschaft, aber die Realität zeigt, dass diese immer noch ein Mythos ist. Nirgendwo wird das Scheitern des linearen Geschäftsmodells der Fast-Fashion-Industrie deutlicher als in den Ländern, in denen viele dieser billigen Kleidungsstücke nach ihrem kurzen Leben landen: Sie werden in offenen Feuern verbrannt oder landen auf riesigen Müllhalden, entlang von Flüssen, von wo aus sie ins Meer gespült werden, mit schwerwiegenden Folgen für Mensch und Umwelt. Allein in Deutschland werden jährlich etwa eine Million Tonnen Altkleider gesammelt.

 

Seit Mitte der 1990er Jahre ist die Menge der jährlich gesammelten Kleidung um 20 Prozent gestiegen und wächst mit dem immer schneller werdenden Umschlag von Fast Fashion weiter an. Aber nur ein kleiner Teil der Altkleider wird tatsächlich in dem Land weiterverkauft, in dem sie gesammelt wurden: Schätzungsweise über 70 Prozent aller wiederverwendeten Kleidungsstücke aus dem Vereinigten Königreich werden nach Übersee exportiert. Dort werden sie Teil eines globalen Handels mit Secondhand-Kleidung, bei dem jedes Jahr Milliarden von Altkleidern in der ganzen Welt gekauft und verkauft werden.

Diese Daten berücksichtigen jedoch nicht, dass ein Teil der zur „Wiederverwendung“ exportierten Kleidung als Abfall endet, weil sie im Importland keinen Marktwert hat. Entweder sind die Kleidungsstücke unbrauchbar in Bezug auf Größe oder lokales Klima, ihre Qualität ist zu schlecht, oder sie sind kaputt oder verschmutzt. In diesem Fall ist der Export nur eine billige Möglichkeit, den Textilmüll loszuwerden. Schätzungsweise 40 Prozent davon sind von so schlechter Qualität, dass sie bei ihrer Ankunft als wertlos eingestuft werden und direkt auf einer Mülldeponie landen. Das bedeutet, dass jede Woche etwa sechs Millionen Kleidungsstücke den Kamanto-Markt in Ghana als Abfall verlassen.

 

Zusätzlich zu diesen unglaublichen Mengen an Textilabfällen, die als „Altkleider“ exportiert werden, gibt es das Problem der aus dem Ruder gelaufenen Überproduktion: Greenpeace Deutschland hat in den letzten Jahren erfolgreich dafür gekämpft, dass die Vernichtung von unverkauften und zurückgeschickten Waren in Deutschland verboten wird, ein Auswuchs dieser Praxis. Im Jahr 2020 wurde der entsprechende Paragraf 23 in das deutsche Kreislaufwirtschaftsgesetz aufgenommen. Er beinhaltet ebenfalls eine Transparenzverpflichtung für große Unternehmen, die Anzahl der von ihnen weggeworfenen Produkte und den Umgang damit, einschließlich Textilien, öffentlich bekannt zu geben. Der Druck vieler Umweltgruppen, darunter Greenpeace, hat nun dazu geführt, dass im März 2022 eine neue EU-Textilstrategie veröffentlicht wurde, die eben diese Transparenzverpflichtung und ein Vernichtungsverbot auf EU-Ebene vorschlägt.

 

Textilhändler müssen Textildienstleister werden

 

Um unsere Lebensgrundlagen zu retten, muss die Erderwärmung unter der kritischen Marke von 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau bleiben. Wir kämpfen um jedes Hundertstelgrad. Verschwendung in diesem Maßstab kann sich die Gesellschaft schlichtweg nicht leisten.

Die Lösung? Aus Textilhändlern müssen Textildienstleister werden: Denn bis auf wenige Lippenbekenntnisse zur Kreislaufwirtschaft sind Angebote zum Reparieren, Mieten oder für Second-Hand-Kleidung bei den untersuchten Firmen Mangelware. Dass die Textilindustrie in der Lage ist, sich zu verändern, zeigt der Erfolg der Detox-Kampagne. Doch sie benötigt den Druck der Gesellschaft und der Politik: Ohne das Entschleunigen der Warenströme wird Kreislaufwirtschaft eine Werbelüge bleiben. Darum brauchen wir eine gesetzliche Regulierung.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/22.


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