Helga Bilitza - 3. Mai 2022 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Modekultur

Berufung und Leidenschaft


Die Ausbildung in der Mode

Das Modehandwerk in Deutschland hat bis heute eine lange Tradition. Auch im heutigen, breit aufgestellten Mode-Business behaupten sich die gut ausgebildeten Mode- und Textildesigner mit den Bekleidungstechnikern auf dem internationalen Markt in angestellten oder freiberuflichen Positionen. Für die fundierte und breit gefächerte Ausbildung im Mode- und Technikbereich gilt nach wie vor das gute Image „Made in Germany“, denn die Absolventen der Ausbildungsinstitutionen werden für ihre Fachkompetenz, Disziplin und Genauigkeit in der Berufspraxis gerne bevorzugt berücksichtigt.

 

Die Suche nach den Anfängen der Textil- und Modeausbildung führt nach Berlin. An der „Muster-Zeichen-Schule“ am Königlichen Gewerbeinstitut Berlin kann 1856 zum ersten Mal nachweislich eine Ausbildung im Bereich Mode geschichtlich erfasst werden. Auch aus der nachfolgenden Webschule der Stadt Berlin 1874 sind noch bis heute sichtbare Ergebnisse der Arbeiten aus dieser Ausbildungsstätte zu entdecken. In archivierten Stoffprobebüchern liegen die textilen Originalvorlagen für einige preußische Bauten, so z. B. dem Charlottenburger Schloss in Berlin. Hier wurden Weber und Tuchmacher ausgebildet. Ab 1912 eröffnete die Konfektions- und Mode-Ausbildung in der Höheren Fachschule für Textil- und Bekleidungsindustrie mit den Fachklassen für Modegestaltung, Modegrafik, Stickerei und Kostümbild. In der Folge erlebte die deutsche Bekleidungsindustrie 1924 eine Hochkonjunktur. Berlin behauptete seine dominierende Stellung in der Bekleidungsindustrie und als Modemetropole. Die aufblühende Unterhaltungsindustrie mit Theatern, Revuen und dem aufkommenden Film bot den Modeleuten ein weites und publikumswirksames Betätigungsfeld. Berlin hat somit einen großen Anteil an der Eigenständigkeit und Kreativität der deutschen Mode, die zwischen 1925 und 1930 ihren Höhepunkt erreichte. Schon die frühen Bemühungen um eine moderne Ausbildung führen zu neuen Fachklassen für Damenschneiderei, Mode- und Textilentwurf, Handweberei, Sticken und Wirken.

 

Eine erste umfassende und bundesweite, wissenschaftliche Berufsfeldanalyse zum Mode- und Textildesign, wurde Anfang der 1970er Jahre, im Auftrag des Landes Baden-Württemberg, von dem Studiengang Modedesign der ehemaligen Fachhochschule Pforzheim, heute Hochschule für Gestaltung Pforzheim, in Kooperation mit der Universität Stuttgart durchgeführt, mit zwei beeindruckenden Erkenntnissen: Es wurde die Deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie als zweitwichtigster Wirtschaftsfaktor nach der Kraftfahrzeugindustrie erkannt, und die Notwendigkeit einer auch wirtschaftlichen Ausrichtung der Modeausbildung neben den bisherigen gestalterischen und technischen Schwerpunkten.

 

Zunehmend entstanden Ausbildungsstätten für Mode, je nach Qualifikation und Zielstellung, von den Berufsschulen über die Fachschulen, bis hin zu den Hochschulen, Akademien und Universitäten mit immer begleitenden Anpassungen der Lehrpläne an die sich schnell verändernde Berufspraxis. „Professionell für den Branchenalltag vorbereiten“ heißt die Devise. In den heute deutschlandweit über 50 Ausbildungseinrichtungen werden die fachspezifischen Kenntnisse und Fertigkeiten in den Bereichen Entwurf, Schnitt- und Produktionstechnik und Textile Werkstoffe vermittelt. Die ergänzend wirtschaftliche Ausrichtung der Ausbildung findet im Fashionmanagement mit den anwendungsspezifischen Fächern Trend- und Marktforschung, Produktmanagement, Marketing, Modehandel/ Einkauf, Produktions- und Qualitätsmanagement statt. Durch die zunehmende Bedeutung der digitalen Medien wird das Fächerspektrum der Ausbildung durch CAD erweitert. Neben dem E-Commerce können nun auch alle Elemente des Modedesigns vom Modellentwurf über das Material, in Druck-, Strick-, und Webtechnik bis zur Schnittentwicklung und zum Produktionsdatenmanagement am Computer geplant und erstellt werden. Ein großer Erfolg, um Kosten zu sparen, aber vor allem ist es nun möglich, im immer schneller werdenden Kollektionsablauf und den internationalen Lieferketten schnell und gezielt reagieren zu können. Die reine digitale Gestaltung ermöglicht der 3D-Druck. Die Modelle können jetzt programmiert und anschließend in Originalgröße ausgedruckt werden. Die Ergebnisse sind allerdings durch ihre sehr statische Form eher Kunstobjekte als körperfreundliche Bekleidungsstücke und somit noch nicht markttauglich.

 

Eine letzte große Reform war die Anpassung der Ausbildung an internationale Standards: die Umstellung auf den Bachelor- und Masterabschluss mit den entsprechenden Lehrtools. Die Ausbildung im Bereich Mode ist dadurch breiter und noch einmal anwendungsbezogener geworden. Diese Qualifizierungen werden durch die spezifischen Angebote und Kurse der einzelnen Einrichtungen ermöglicht. Wie mit einem Baukastensystem kann heute mit Hilfe der einzelnen Ausbildungs-Tools breit angelegte Fachkompetenz in weiteren spezifischen Anwendungsfeldern der Mode zielgerichtet ausgebildet werden. Diese sind Markendesign, Webdesign, Marktforschung, Handel und Logistik, Prozessmanagement, CAD-Schnittgestaltung, Sales Management, Visual Merchandising, Medien- und Kommunikations-Management, Medien- und Werbepsychologie, Modejournalismus, Design- und Modegeschichte – um nur einige Fächer des umfangreichen und vielfältigen Angebotes zu nennen. Durch die Reform nach europäischem Standard ist dies heute sowohl national in den entsprechenden Ausbildungsstätten wie auch international durch Austauschprogramme im Ausland möglich.

 

Als Ergebnis dieser Entwicklung sind weitere interessante Berufsfelder entstanden, in denen Absolventen der Modeausbildung gefragt sind. Tätigkeiten im Design- und Projektmanagement, im Handel, in der Fachpresse, im Kostümdesign und Styling für Film, Fernsehen und Theater und in der Trendforschung. Und es erschließen sich weitere Berufsfelder, bedingt auch durch die zukünftige Möglichkeit der Promotion. Für die Master-Absolventen ist es heute möglich, an ihrer Hochschule, in Kooperation mit einer Universität, die Doktorarbeit wissenschaftlich zu erstellen.

 

Wenn wir das zukünftige Ausbildungsfeld für Mode- und Textildesign erfassen wollen, so wird der große Bereich Künstliche Intelligenz (KI) in naher Zukunft auch hier die Modetätigen beeinflussen und bestimmen. Bereits 1998 brachte ein Forschungsprojekt mit dem Arbeitstitel „Errichtung einer virtuellen Modeplattform“ erste interessante Erkenntnisse zur gesamten Kollektionslogistik. Es wurde mit dem Preis „E-comm STAR 2000“ in Berlin ausgezeichnet. Bis heute wurde im Onlinehandel sehr viel experimentiert, um dem Kunden einen individuellen und passgenauen Einkauf zu ermöglichen. Bereits vorhandene Softwarepakete werden, je nach Dienstleistungsanforderung, modifiziert und auf das Unternehmen im Online-Handel abgestimmt. Um noch mehr auf die Wünsche des Kunden eingehen und die hohe Rücksendequote reduzieren zu können, werden weitere Entwicklungen im IT/ KI-Bereich notwendig sein. In absehbarer Zeit wird dem Kunden die gesamte Kollektion und das Bekleidungsteil seiner Wahl so realistisch wie möglich per Bildschirm, in seiner Proportion und Passform angeboten werden mit anschließender digitalen Anprobemöglichkeit der weiteren Kombinationsteile innerhalb der virtuellen Kollektion, adäquat zur herkömmlichen Verkaufssituation im Store. Der Kunde kann sich als realidentisches Modell auf dem Bildschirm in Bewegung erleben. Dieses Forschungsfeld der Kategorie „Deep Tech“ wird der Textil- und Modeindustrie neue Welten eröffnen und erhebliche Kosten sparen. Diese Herausforderung wird zukünftig nur in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit den entsprechenden Berufsgruppen zu bewältigen sein. Unter dieser Prämisse gewinnen Teamfähigkeit und Innovationsgeist mehr und mehr an Bedeutung und werden in Projektarbeiten mit den entsprechenden Unternehmen und Instituten praxisnah bearbeitet und trainiert.

 

Da der Designer früh die Trends erkennen muss, um auf gesellschaftliche Entwicklungen entsprechend reagieren zu können, werden in der Ausbildung neben den technischen und ökonomischen Kenntnissen auch die Wahrnehmung der kulturellen, soziologischen und ökologischen Herausforderungen sehr wichtig. Eine Ausbildung mit hohem Praxisbezug wird zukünftig das Thema Nachhaltigkeit noch innovativer bearbeiten müssen als bisher. In vielen Feldern wird geforscht und bereits aktiv reagiert – so z. B. Upcycling, die Wiederverwertung von Bekleidungsprodukten und Materialien, und die Motivation, ihnen einen neuen Zweck zu geben. Eine Möglichkeit des Mode- und Textildesigns, wenn Ressourcen zukünftig nicht mehr in gewohntem Maße zur Verfügung stehen sollten, oder z. B. kompostierbare Kleidung unter Beachtung der zunehmenden Umweltbelastung. Nicht zuletzt durch aktuelle Ereignisse, wie die Erfahrung eines pandemiebedingten Lockdowns, ist der Designer gefordert, auf die sich veränderten Verhaltensstrukturen in der Konsumwelt einzugehen und zu reagieren. Der Onlinehandel bestimmt zunehmend die Kommunikation mit dem Kunden. Die digitale Präsentation des Mode- und Textildesigns im Internet ist zunehmend entscheidend für den Verkauf des Produktes und erschließt somit neue und spannende Aufgabengebiete im Bereich Entwicklung neuer Kommunikationssysteme. Der beginnende individuelle Kundensupport durch digitale Tools ermöglicht die Interaktion mit dem Kunden und eröffnet dem Modedesign somit ein zielgruppenorientiertes Gestalten und eine noch gezieltere Kundenansprache. Dies wird zukünftig auch im Bereich „Inklusive Mode“, dieser umfasst Bekleidung für Personen, die nicht den üblichen industriellen Körpermaßen entsprechen, mit Behinderungen und im Pflegebereich, an Bedeutung gewinnen. Auch die Funktions- und Sicherheitsbekleidung wird auf dem Forschungsfeld „Technische Textilien“ durch mögliche Katastrophen und Pandemien, z. B. zur Virenabwehr, eine ganz neue Beachtung erhalten.

 

Die breitgefächerten Möglichkeiten des Berufsfeldes zeigen das interessante, aber auch sehr herausfordernde Tätigkeitsfeld in der Modebranche. Deshalb sind neben einer kreativen Begabung die Farbsensibilität und das Materialgefühl, die Teamfähigkeit, Geduld und Ausdauer wichtige Voraussetzungen für die Arbeit des Designers. Abschließend sei gesagt – Mode- und Textildesign ist nicht nur Beruf, sondern Berufung und Leidenschaft!

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/22.


Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat

Adresse: https://www.kulturrat.de/themen/modekultur/berufung-und-leidenschaft/