Andreas Kolb - 1. Dezember 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kunstmarkt

Kunstnachlass


Bausteine unserer Erinnerungskultur

Was geschieht mit dem nachgelassenen Werk, wenn die Künstler nicht mehr sind? In den letzten beiden Jahrzehnten entstanden vermehrt Archive zur bildenden Kunst, um die künstlerischen Œuvres einer stetig steigenden Kunstproduktion zu erhalten. Das einzige bundesweit agierende Künstlerarchiv ist das der Stiftung Kunstfonds, das 2010 in Brauweiler bei Köln eröffnet wurde. Es bewahrt Vor- und Nachlässe herausragender bildender Künstler der jüngeren Kunstgeschichte in Deutschland, darunter Ludger Gerdes, Jochen Gerz, Ulrike Grossarth, Barbara Hammann und Reiner Ruthenbeck.

 

Nun ist Kunst und Kunstproduktion aber kein Phänomen, das in den Kategorien bundesweit, regional oder gar von oben herab provinziell verhandelbar ist. Die Vorsitzende des Forum für Künstlernachlasse (FKN) und des Bundesverbands Künstlernachlässe (BKN), Gora Jain, sagt zur Bedeutung regionaler Kunstnachlässe: „Auch Künstlerverbände sind regional angesiedelt und bundesweit miteinander vernetzt. Einerseits bildet sich die regionale Verwurzelung nicht selten in der künstlerischen Arbeit selbst ab. Ausbildung, Zugehörigkeit zu Künstlerkreisen und -verbänden, Auftragsarbeiten in der Region u.v.m. sind oftmals prägend für den künstlerischen Schaffensweg und sichtbar im Werk.

 

Andererseits liegt bei nachlassbewahrenden Institutionen das Know-how und Wissen über die regionale Kunstszene bei denjenigen, die diese Kunst vor Ort entdecken, zur Ausstellung bringen, Austausch und Vermittlungsarbeit betreiben und zudem die Künstler*innen oftmals noch persönlich kannten. Es genügt nicht nur die Kenntnis einzelner Werke, wichtig ist auch der Entstehungskontext: Regionalität hat demzufolge also auch nichts mit einem allseits gefürchteten Provinzialismus zu tun.“

 

Ein perfektes Beispiel für die Bewahrung eines regionalen Kunstnachlasses und Lebenswerkes ist das Kunstpartner Schaulager in Adlmannstein, das im Mai 2020 seine Depots für Sammler, Kunstgeschichtler, Künstlerkollegen und Publikum öffnete. Adlmannstein ist ein Dorf vor den Toren der Weltkulturerbestadt Regensburg mit 150 Einwohnern, einer Bushaltestelle und einem Briefkasten.

 

Da, wo man glaubt, die Welt höre auf und der Horizont bestehe nur noch aus Himmel und Oberpfälzer Wald, da ist in einem Wirtschaftsgebäude neben der Kunstpartner Galerie das Kunstpartner Schaulager entstanden, begründet von den Galeristen Wilma Rapf-Karikari und Ingo Kübler. Aus einem ehemals landwirtschaftlich genutzten Stadel wurde nach dem Entwurf von planschmid-Architekten ein funktionales Gebäude, das sechs Depots und einen zentralen Ausstellungsraum für die Werke von Susanne Böhm, Margot Luf und Maximilian Bresele beherbergt.

 

Das Schaulager und seine Künstler fühlen sich der regionalen Tradition verpflichtet. So machte z. B. in den 1960er Jahren in der Gegend die Gruppe SPUR von sich reden. Sie leistete einen wichtigen künstlerischen und mit ihrem Manifest auch theoretischen Beitrag zur deutschen Avantgarde nach 1945. Zeitweise gelang ihr der Anschluss an die europäische Situationistische Internationale. Kern der Gruppe SPUR bildeten Lothar Fischer, Heimrad Prem, HP Zimmer und Helmut Sturm. Die Bildhauerin und Malerin Margot Luf war in den 1970er Jahren Assistentin bei Lothar Fischer und wird mit ihrer Formensprache der SPUR-Nachfolge zugeordnet.

 

Die Position des gesellschafts- und konsumkritischen Künstlers besetzt ein weitere Schaulager-Künstler, Max Bresele. Malerei und Grafik, Fotomontagen, Collagen, Künstlerbücher, Kunstmöbel, skurrile Objekte und Experimentalfilme – Bresele kannte keine Gattungsgrenzen und machte aus allem, was ihm in die Hände fiel, Kunst. Was Breseles Nachlass angeht, kooperiert das Schaulager mit dem Kunstverein Weiden, wo im Juli 2017 ein Max-Bresele-Museum eröffnet wurde.

 

Verbände wie das Forum für Künstlernachlasse (FKN) und der Bundesverband Künstlernachlässe (BKN) fordern schon länger, dass neben der Künstlerförderung auch die Erhaltung der Kunstwerke im Sinn der posthumen Nachsorge in kulturpolitische Strategien einbezogen wird: „Künstlernachlässe sind Geschichte, und sie erzählen Geschichten. Dieser wesentliche Baustein einer Erinnerungskultur zeichnet sich durch hohe Authentizität allein schon durch die oftmals sehr persönliche Nähe Kunstschaffender zu welterkundenden Fragestellungen aus. Der besondere Quellen- und Forschungswert von Künstlernachlässen sowohl für die Zeitgeschichte als auch für die vergleichende Kultur- und Kunstgeschichtsschreibung muss daher als Kulturgut und schützenswertes Kulturerbe anerkannt sowie im öffentlichen Bewusstsein und fachlichen Diskurs verankert werden. Aus kulturpolitischer Perspektive ergibt sich daraus die Notwendigkeit einer Etablierung eines neuen Typus einer ›Forschungsstelle für Erinnerungskultur durch Künstlernachlässe‹ als Kooperationspartner zu Museen und kulturbewahrenden Institutionen“, so Gora Jain.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021.


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