Kristina Volke - 1. Dezember 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kunstmarkt

Dialog zwischen Kunst und Politik


Die Kunstsammlung des Parlaments

Noch bevor der Deutsche Bundestag 1999 seinen Sitz von Bonn nach Berlin als neuer Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands verlegte, blickte die Welt auf das Herz des Parlaments: Christo und Jeanne Claude verhüllten im Sommer 1995 das Reichstagsgebäude mit silbernen Stoffbahnen. 14 Tage lang regierte am Platz der Republik die Kunst und sorgte für ein Ereignis, das noch heute seines- gleichen sucht. Fünf Millionen Besucher aus aller Welt kamen, um das glänzend verpackte Bauwerk zu sehen. Viele blieben lange, fotografierten und berührten das Gewebe, tanzten und sangen davor und empfanden sich offensichtlich als Teil eines Wunders, das später Deutschlands erstes Sommermärchen genannt wurde. Der „Wrapped Reichstag“ war jedoch mehr als ein Spektakel. Er war ein Meisterstück der Kunst, ein Werk, das alle bis dahin geltenden Maßstäbe für Kunstprojekte sprengte: Beide Künstler hatten mehr als 25 Jahre für die Realisierung gekämpft, hatten über Jahrzehnte Abgeordnete und Politiker besucht und von ihrer Idee zu begeistern versucht, mussten dabei oft Skepsis, auch drei Ablehnungen durch frühere Bundestagspräsidenten in Kauf nehmen. Nach der Wiedervereinigung und einer weiteren Abstimmung des Plenums unter dem Vorsitz von Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth erhielten Christo und Jeanne – Claude dann doch die Erlaubnis, ihre Idee zu realisieren und gaben der Welt damit ein Symbol: für die Freiheit der Kunst, das unmöglich Scheinende zu denken, für die Kraft von Künstlern, es umzusetzen, für den Mut von Politikern, die sich schließlich doch auf das Wagnis einließen und damit sowohl der Kunst als auch Künstlern vertrauten, mit diesem geschichtsbeladenen Ort vergangener und zukünftiger deutscher Politik nicht nur angemessen, sondern sogar visionär umzugehen.

 

Die Verhüllung war nicht der Auftakt, aber ein wichtiges Zeichen für das Kunstengagement des Deutschen Bundestages. Schon in Bonn hatte das Parlament mehr als die üblichen Kunst-am-Bau-Projekte realisiert und 1969 eine Artothek begründet, die fortan Künstler durch Ankäufe in die Sammlung des Deutschen Bundestags unterstützen sollte. Der Abgeordnete Gustav Stein, im bürgerlichen Leben Kunstprofessor, initiierte damals den Ankauf von 500 Grafiken, die zum Grundstock für eine ständig wachsende Sammlung zeitgenössischer Kunst wurde. Inzwischen wird die Sammlung mit einem festen Haushaltsetat jährlich erweitert, fast 5.000 Werke aller Gattungen umfasst dieser Sammlungsteil momentan.

 

Aber es ist nur ein kleiner Teil des Kunstprogramms, das das Parlament seit seinem Umzug nach Berlin verfolgt. Denn neben der Artothek, deren Werke den Abgeordneten für die Zeit ihres Mandats als Ausstattung ihrer Büros zur Verfügung gestellt werden, werden regelmäßig ein bis zwei Prozent der Bausummen an Neu- und Umbauten der Liegenschaften für ortspezifische Installationen und ortsgebundene Kunstwerke ausgegeben. Beim Reichstag, das für den Umzug nach Berlin als Erstes saniert und umgebaut wurde, waren es sogar drei Prozent, mittels derer Werke von Günther Uecker, Gerhard Richter, Christian Boltanski, Jenny Holzer, Katharina Sieverding, Georg Baselitz, Bernhard Heisig, Gerhard Altenbourg und vielen anderen realisiert wurden. Auch alle anderen Parlamentsgebäude enthalten Installationen etwa von Antony Gormley, Dani Karavan, Ulrich Erben, Jörg Herold, Neo Rauch oder Katharina Grosse – die Liste der beteiligten Künstlerinnen und Künstler umfasst weit mehr als 100 Namen national und international renommierter Künstler. Gerade realisiert Tamara Grcic eine raumfüllende Wandmalerei in einem Parlamentsgebäude in der Dorotheenstraße. Jeder, der die Parlamentsgebäude schon betreten hat, wird deshalb nachvollziehen können, dass der Deutsche Bundestag als eines der außergewöhnlichsten Museen der Welt gilt.

 

Neben dem Kunst-am-Bau-Programm wurde vor einigen Jahren ein Auftragsprogramm ins Leben gerufen, für das zeitgenössische Künstler gezielt um Arbeiten zum parlamentarischen Alltag und der Geschichte des Parlaments gebeten werden. Außer Porträtgemälden bedeutender Abgeordneter und Porträtbüsten, die die Namensgeber der Häuser und damit besondere, mit den Persönlichkeiten verbundene Werte verkörpern, waren es zuletzt der Hamburger Künstler Simon Schwartz, der 45 Parlamentarier aus der Zeit zwischen 1848 und 1999 in je einem Comic porträtierte, die Berliner Künstlerin Juliane Ebner, die ihre Familiengeschichte und den Brand im Reichstagsgebäude zum Anlass für einen inzwischen vielfach prämierten gezeichneten Kurzfilm nahm, der Hallenser Künstler Moritz Götze, der vier Emaille-Tableaus zur Geschichte des Parlaments fertigte, der aus Frankreich stammende Maler Guillaume Bruère, der Menschen und Situationen im parlamentarischen Alltag zeichnete, die in Berlin lehrende Zeichnerin Pia Linz, die mehr als ein Jahr an einem „Porträt“ des Parlamentsviertels arbeitete. Anlässlich des 100. Jahrestags der Einführung des Frauenwahlrechts wurden 19 internationale Künstlerinnen um eine Arbeit zum Thema gebeten, die Schweizer Illustratorin Serpentina Hagner arbeitete an der Graphic Novel „Kurze Geschichte einer Selbstverständlichkeit“, die die 100 Jahre des Kampfs um die Mitbestimmung von Frauen in der Politik eindrücklich nachvollzieht. Alle Auftragsprojekte und viele Künstler, die mit Installationen oder Einzelwerken in der Sammlung vertreten sind, werden in Berlin und Brüssel mit Einzelausstellungen vorgestellt. Ein eigenes Kunstvermittlungsprogramm unterbreitet Kindern und Jugendlichen Angebote, den spannenden Raum zwischen Kunst und Politik selbst zu betreten.

 

Das gesamte Kunstprogramm obliegt dem Kunstbeirat des Deutschen Bundestages, einem parlamentarischen Gremium unter Vorsitz des Bundestagspräsidenten, das paritätisch mit Abgeordneten aus allen Fraktionen besetzt ist und die Entscheidungen über Ankäufe, Aufträge und alle anderen Projekte fällt. Eines ihrer Hauptanliegen ist der Dialog zwischen Kunst und Politik, denn sie verstehen Kunst als Verständigungsraum für all jene Fragen, die das Herz des Parlaments betreffen: das Leben, in dem es Mut, Kraft und Freiheit braucht.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021.


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