Martin Lorber - 1. September 2017 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturgut Computerspiele

Es braucht viel Zeit und viele Menschen


Wie ein Computerspiel entsteht

Digitale Spiele nehmen mittlerweile einen bedeutenden Platz innerhalb des kulturellen Kanons ein. Mit rund 34 Millionen männlichen und weiblichen Spielern aus allen Gesellschafts- und Altersschichten allein in Deutschland gehören digitale Spiele zu den wichtigsten Medien unserer Zeit. Computerspiele besitzen unbestritten das Potenzial, die Rolle als Leitmedium unserer digitalen Kultur einzunehmen. Unabhängig davon, welche Inhalte genau vermittelt werden, steckt in jedem Spiel jahrelange Arbeit.

 

Wissenschaft und Öffentlichkeit diskutieren aktuell das große Potenzial digitaler Spiele in Bildungs-, Gesundheits- und anderen sozialen Kontexten – wie der Friedenspädagogik und Konfliktbearbeitung. Auch der dokumentarisch-künstlerische Ansatz vieler sogenannter „Serious Games“ steht beispielhaft für diese Entwicklung.
Der spielerische Ansatz ist hier der große Vorteil des Mediums Computerspiel: Es ist weit weniger abstrakt als ein Text und vermittelt Wissen durch aktives Bewältigen von Aufgaben und Problemen. So ermöglichen Videospiele eine intellektuelle Auseinandersetzung im Hands on-Modus mit der jeweiligen von den Entwicklern in den Fokus gerückten Thematik. Digitale Spiele können damit weit über den Unterhaltungsaspekt hinaus Wirkung entfalten. Sie helfen, sich zu informieren, Dinge zu hinterfragen, sich zu bilden, sie können irritieren sowie Handlungen, Zustände und Ereignisse kritisieren.

 

Um größere Computerspiele zu entwickeln, braucht es Zeit – viel Zeit. Gehen wir von einem AAA-Titel wie FIFA oder Star Wars: Battlefront aus, dann dauert es von der Idee bis zur Konzeptentwicklung ca. zwei bis vier Monate. Parallel dazu muss die Finanzierung sichergestellt und ein Kostenplan aufgesetzt werden, das sind ein bis zwei Monate. Jetzt erst geht es an die Produktion des Spiels. Die Produktionsphase schlägt insgesamt mit ein bis zwei Jahren zu Buche. Dabei werden Levels und Missionen, das Drehbuch (Story/Charaktere) und das Spieldesign (Skizzen, Spielkonzept und Steuerung) entwickelt. Gleichzeitig programmieren Entwickler künstliche Intelligenz, eventuell die Grafik- und Physikengine sowie die Spielmechanik und die Steuerung. Außerdem werden Musik, Sprache, Sound sowie Figuren und Objekte komponiert, eingespielt und erstellt.

 

Da nicht alle beteiligten Teams über den kompletten Zeitraum hinweg gleich ausgelastet sind, entwickeln einige parallel schon spezielle Inhalte für Marketing und PR. Die abschließenden Testphasen und Fehlerbehebungen dauern noch einmal etwa sechs Monate. Außerdem erfolgen Motion Capturing und 3D Head Scanning mit sechs Monaten und schließlich Herstellung, Werbung und Verkauf mit zwei Monaten.

 

Anschließend oder parallel dazu werden oft auch Erweiterungen, Patches und Aktualisierungen für den Multiplayer-Modus entwickelt und veröffentlicht. Von der Idee bis zum Verkaufsstart eines Spiels dauert es also insgesamt durchaus zwei bis vier Jahre. Um größere Computerspiele zu entwickeln braucht es Menschen – viele Menschen: Computerspiele sind komplexe Kulturgüter, bei der Künstler aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammenarbeiten, um ein einziges Produkt zu schaffen. Musik, Design, Drehbücher, Sprache, Schauspielerei, Storytelling usw., um nur ein paar Beispiele von kreativen Elementen zu nennen, die bei der Produktion von Videospielen anfallen und zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen.

 

Neben dem klassischen Einzelhandel etablierten sich in den letzten Jahren Online-Portale wie Steam oder Origin. Diese bieten eine Auswahl aktueller oder älterer Spiele zum Kauf an. Die Spieler legen einen persönlichen Account an und können nun auf die von ihnen gekauften Spiele von jedem Standort zugreifen. Waren Spiele früher nach der Fertigstellung kaum mehr zu verändern, gibt es heute die Möglichkeit, Spiele auch nach der Auslieferung mit neuen Inhalten zu versorgen. Meist handelt es sich dabei um Patches und Add-Ons, die kleinere oder größere Fehler ausmerzen oder Spiele um neue Spielmodi oder Inhalte erweitern.

 

Diese Möglichkeit nehmen Entwickler immer mehr wahr: Sie verlängern die Lebensdauer ihrer Titel und weichen die klare Trennung von Entwicklung und Verkauf auf. Sogenannte Service-Games werden teilweise jahrelang von einer treuen und großen Community gespielt und von den Entwicklern konstant mit neuen Inhalten bespielt. Natürlich ist der Ausgangspunkt auch hier die Entwicklung, doch diese endet nicht mehr mit dem Erscheinen des Spiels.

 

Im Grunde unterscheidet sich die Produktion bei großen Entwicklern und Publishern wie EA nicht sehr vom »Indie«-Bereich. Der beschriebene Ablauf gilt für alle Computerspiele. Der größte Unterschied liegt wahrscheinlich in der Höhe des zur Verfügung gestellten Budgets und der Größe des Teams. AAA-Entwicklungen müssen meist die Zielgruppe weiter fassen, um möglichst viele Spieler zu erreichen. Indie-Games können dagegen einfacher und gezielter Nischen ansprechen. Auch deshalb gelten Indie-Games oft als besondere Quelle der Kreativität und Innovation. Hier setzen auch Förderprogramme großer Publisher an. Die Aufgabe von Programmen wie z. B. EA Originals ist es, die Perlen zu finden und zu fördern. Förderprogramme dieser Art schaffen Sicherheit für die Entwickler kleinerer Spiele. Letztendlich bleibt festzuhalten: Sowohl große AAA-Produktionen als auch kleinere Titel sind als Kulturbotschafter gleich wertvoll und profitieren gleichermaßen voneinander.

 

Der Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2017.


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