Bernd Fakesch und Theresa Brüheim - 1. September 2017 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturgut Computerspiele

Die Menschen zum Lächeln bringen


Nintendo: Klassiker und Neuheiten

Theresa Brüheim spricht mit Bernd Fakesch von Nintendo über Erfolg, Spielideen, Zukunftsvisionen und Kulturgüter.

 

Theresa Brüheim: Das Spiel Super Mario oder den Gameboy kennt einfach jeder. Nintendo ist einer der bekanntesten Spiele- und Konsolenhersteller weltweit. Nur wenige andere japanische Marken sind auch in Deutschland so beliebt. Woher kommt der internationale Erfolg, Herr Fakesch?
Bernd Fakesch: Zunächst einmal wecken Spiele an sich schon Sympathie – genau wie gute Bücher, Filme, Musik oder andere Schöpfungen der Unterhaltungskultur. Dass Nintendo-Spiele auch außerhalb Japans so gut ankommen, dürfte vor allem damit zu tun haben, dass unsere Entwickler von den grundlegenden Bedürfnissen der Spieler her denken und dass diese Bedürfnisse universell gleich sind. Gute Spiele funktionieren immer länder- und kulturübergreifend. Denken Sie nur an Schach oder Fußball. Ein Bedürfnis von Kindern besteht beispielsweise darin, sich im Spiel die Welt der Erwachsenen anzueignen. Deshalb war die Spielzeugeisenbahn der Freizeitspaß des Industriezeitalters, so wie Videospiele der des Computerzeitalters sind. Oder nehmen Sie Spielbedürfnisse wie Suchen, Finden, Sammeln und Tauschen, die den Reiz der Pokémon-Titel ausmachen. Andere Nintendo-Spiele wie die der Super Mario- oder der Legend of Zelda-Serie befriedigen die Lust am Abenteuer und den Spaß daran, verborgene Schätze zu entdecken und Rätsel zu lösen. Sport- und Rennspiele wie Mario Kart 8 Deluxe kommen dem Wettkampfgeist entgegen, Partyspiele wie 1-2-Switch dem Bedürfnis nach Geselligkeit. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Worauf es ankommt, ist, dass die grundlegende Spielidee hinter jedem Nintendo-Titel Japanern ebenso viel Freude bereitet wie Deutschen oder US-Amerikanern. Dazu kommt, dass die japanische Manga- und Anime-Kultur, die manche unserer Spiele grafisch prägt, heute zum Gemeingut der internationalen Jugendkultur gehört. Ein typisch japanischer Aspekt der Nintendo-Spiele fördert deren internationale Beliebtheit sogar: Nach traditioneller japanischer Auffassung können auch unbelebte Gegenstände eine Seele haben und müssen daher mit Sorgfalt gefertigt und behandelt werden. Darum gestaltet man in Japan auch technische Geräte wie unsere Konsolen so, dass sie intuitiv verständlich und leicht zugänglich sind. Bei Nintendo kommt dazu, dass wir neue Konsolen nur dann auf den Markt bringen, wenn sie den Spielern etwas entscheidend Neues zu bieten haben. Der tragbare Nintendo 3DS etwa ermöglichte es als erste Spielkonsole, 3D-Bilder ohne 3D-Brille zu sehen. Nintendo Switch wiederum ist die erste TV-Konsole, die sich im Handumdrehen in eine mobile Konsole verwandelt. In einem Satz: Nintendo ist international deshalb so beliebt, weil es universelle Spielbedürfnisse befriedigt.

 

Spiele wie The Legend of Zelda sind mehr als 30 Jahre alt und immer noch topaktuell. Wie und warum begeistern Sie generationenübergreifend?
Bei The Legend of Zelda handelt es sich– genau wie bei den Super Mario- oder den Pokémon-Titeln – um Spielserien, die in Fortsetzung und in immer neuen Versionen erscheinen. Die Charaktere – Helden wie Schurken – bleiben im Wesentlichen die gleichen. Die jeweilige Handlung und die zu lösenden Aufgaben – ganz zu schweigen von den sich ständig weiterentwickelnden technischen und grafischen Möglichkeiten – lassen die Zelda-Fans aber jedes Abenteuer als etwas völlig Neues erleben. In The Legend of Zelda: Breath of the Wild, das zusammen mit Nintendo Switch erschienen ist, können sie sich z. B. erstmals völlig frei durch ihre Fantasie-Welt bewegen. Trotz aller Änderungen fühlt sich jedes Spiel der Reihe jedoch gleichzeitig auch vertraut an. Gute Geschichten und gute Charaktere veralten nicht. Man kann Link und Prinzessin Zelda durchaus mit traditionellen Gestalten aus Märchen, Sagen und der Unterhaltungsliteratur vergleichen, etwa mit Sherlock Holmes oder den Helden von Jules Verne. Anders als diese Figuren wachsen Link und Zelda aber mit den Spielern. Auch das schafft Bindung. Zudem versucht Nintendo, seine Spiele möglichst als Multiplayer-Titel auszulegen, die kinder- und familienfreundlich sind. Viele unserer Fans sind mit Nintendo-Spielen aufgewachsen und verbinden schöne Erinnerungen mit z. B. Super Mario oder The Legend of Zelda – weshalb sie diese Spielerfahrung nun gerne mit ihren Kindern teilen.

 

Dem könnte man allerdings entgegenhalten, dass über die Computerspiel-Community hinaus wenig aktuelle Nintendo-Spielerfolge so bekannt wie die Klassiker sind. Woran liegt das? Mangelt es an Rekorde brechenden Spielideen?
Der Entwicklungsprozess zu einem Spiel beginnt immer mit einer Spiel­idee, einer Spielmechanik. Erst später im Prozess wird geschaut, welcher unserer Charaktere zu ihr passt. Super Mario bietet sich hier oft an, weil er kein eindimensionaler, durch und durch definierter Held ist: Daher akzeptiert man ihn z. B. als Rennfahrer, Sportler und natürlich den Mann, der Peach rettet. In diesem Sinne verkörpert er immer wieder neue Spielideen und natürlich auch Spielerfolge.

 

Darüber hinaus sind auch in jüngster Vergangenheit Nintendo-Neuheiten erschienen, die durchaus das Zeug zum Klassiker haben. Ein Beispiel dafür ist Splatoon, dessen erster Teil im Mai 2015 erschienen ist. Darin kämpfen zwei Vierer-Teams darum, möglichst große Territorien in ihrer jeweiligen Farbe zu markieren – mit Farbkanonen statt Waffen. Diese turbulenten Farbschlachten stellen ein ganz neues Genre dar und sind so erfolgreich, dass wir in diesem Jahr bereits eine Fortsetzung herausgebracht haben: Splatoon 2 für Nintendo Switch. Und tatsächlich müssen erfolgreiche innovative Spiele ja nicht unbedingt zu Klassikern werden: Denken Sie an unsere Bewegungsspiele wie etwa die Wii Sports- und die Wii Fit-Reihe oder an die edukativen Titel wie z. B. die Gehirn-Jogging- und die Art Academy-Reihe. Diese Spiele waren sehr innovativ, mit überraschenden Spielkonzepten, die viele Menschen angesprochen haben. Und diese Menschen verbinden Nintendo mit genau diesen Titeln – auch dann, wenn diese Reihen nach einer Weile im Markt nicht mehr relevant waren, sondern nur eine Weile den Zeitgeist treffen konnten.

 

Wie sieht für Nintendo das Computerspiel der Zukunft aus? Inwieweit werden Techniken wie Virtuelle Realität aufgegriffen? Was ist die Vision?
Unsere Vision ist seit mehr als 125 Jahren, die Menschen zum Lächeln zu bringen. Damals ist Nintendo dies mit einem, dem Rommee ähnlichen, Kartenspiel gelungen. Heute schaffen wir das unter anderem mit Nintendo Switch, die sich im Handumdrehen von einer TV-Konsole in einen Handheld verwandeln lässt, da sie über ein eigenes Display verfügt. Mit ihr ist es möglich, wann immer und wo immer man mag zu spielen – und dank der zwei eingebauten Controller geplant oder spontan andere mitspielen zu lassen. Grundsätzlich schaut sich Nintendo neue Technologien immer genau an – übernimmt diese aber nur dann, wenn sie einen tatsächlichen Mehrwert für das Spielerlebnis bedeuten.

 

Sind Computerspiele für Sie Kulturgüter? Wenn ja, was macht sie zu solchen und wie können Sie als Kulturgüter für kommende Generationen bewahrt werden?
Selbstverständlich sind sie das. Jede Kultur zu jeder Zeit drückt sich nicht nur in Kunst, Philosophie und Religion aus, sondern auch im Alltagsleben: in der Küche, in der Mode, in der Unterhaltung und eben auch im Spiel. Im digitalen Zeitalter gehören Videospiele sogar zu den prägenden Kulturgütern, denn sie bieten Kindern und Jugendlichen oft den ersten Zugang zu Technologien, die ihre Zukunft bestimmen werden. Video- und Computerspiele verschmelzen auch zunehmend mit traditionellen Medien wie Buch oder Film. Sie greifen Handlungen bekannter Romane und Erzählungen auf oder liefern ihrerseits die Vorlagen für Filme. Das Neue und Reizvolle an Videospielen ist ihre Interaktivität. Anders als Leser oder Kinobesucher können Videospieler selbst zu Akteuren werden. Um Videospiele als Kulturgüter zu bewahren, müssen sie allgemein als solche anerkannt sein. In dieser Hinsicht hat sich in den vergangenen Jahren vieles verbessert, aber man könnte noch mehr tun, etwa indem man die akademische Ausbildung von Spieledesignern verbessert und vermehrt spezielle Lehrstühle schafft – so wie es auch Film- und Musikhochschulen gibt.

 

Der Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2017.


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