Kerstin Stutterheim - 30. September 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Digitalisierung & Kultur

Orientiert an der Bauhauspädagogik


Ausbildung in den medialen und digitalen Künsten

Derzeit sind insbesondere Künstlerinnen und Künstler, aber auch ihr Publikum von den anhaltenden Abstandsregeln zur Eindämmung der Corona-Pandemie betroffen. Dies kann nicht oft genug wiederholt werden. Der Ausbruch der Pandemie und die Reaktionen darauf haben viele Kulturereignisse und künstlerische Veranstaltungen zunächst unmöglich gemacht. Digitale Angebote schienen eine probate Alternative, auch für die Lehre. Doch Kunst und die Auseinandersetzung mit ihr, der Genuss und die Bereicherung, die von ihr ausgehen, braucht die konkrete physische Erfahrung. Der Mensch ist ein soziales Wesen, wie während der letzten Wochen und Monate immer wieder betont wurde. Menschen sind aber auch sensorische Wesen. Beides kann man uns nicht abtrainieren.

 

An der Kunsthochschule für Medien (KHM) studieren derzeit knapp 400 junge Künstlerinnen und Künstler aus den verschiedensten Regionen dieser Welt. Das Diplomstudium „Mediale Künste“ wird als neunsemestriges grundständiges Studium und als viersemestriges postgraduales Studium angeboten, im internationalen Kontext mit einem Master of Fine Arts vergleichbar.

 

Die KHM will künstlerische Talente fördern und die Studierenden auf die breiten Anforderungen und Chancen im Bereich der medialen Künste vorbereiten. Um dies zu erreichen, wird eine Kombination von Grundlagenseminaren, Fachseminaren und Projektarbeiten angeboten. Insbesondere die Arbeit an konkreten Projekten ist zentral. Dieses Konzept orientiert sich an der Bauhauspädagogik, die schon vom Zusammenwirken handwerklicher Fähigkeiten, der Entfaltung des künstlerischen Talents, konkreten Projektarbeiten und einer frühen Form künstlerischer Forschung geprägt war. Die Lehre ist von einem Ineinanderwirken von theoretischen und praktischen Lehrangeboten geprägt, die auf das Projektstudium vorbereiten, dieses einbetten und bis zum Diplom führen. Es wird kein striktes Curriculum vorgegeben, sondern die Studierenden ermutigt, sich die Schwerpunkte, Seminare und Projekte so zu wählen, dass sie die Entfaltung ihrer Talente bestmöglich unterstützen. Mit der Verwendung des Begriffs „Mediale Künste“ soll zum Ausdruck gebracht werden, dass in der Lehre an der KHM die Künste im medialen Kontext in einem Dialog zu „analogen“ Künsten stehen, auf diesen basieren, mit diesen zusammenwirken oder sich zumindest ergänzen und dies theoretisch reflektiert wird. Auch die Virtualität braucht die Erfahrung von Realität, um sich zu ihr ins Verhältnis setzen zu können und einen neuen, künstlerischen Interpretationsraum zu eröffnen. Dies gilt für die Künstlerinnen und Künstler ebenso wie für das Publikum oder die Nutzerinnen und Nutzer. Die KHM versteht sich als eine Hochschule, die Studierende vor allem zu einer konzeptionellen Kunst anregen möchte.
Unser Ziel ist es, künstlerische Talente zu fördern, die einen thematischen Zugang zur Welt und deren künstlerischen Reflexion wählen. Um die Studierenden in der Entfaltung ihrer Talente und der ebenfalls notwendigen Entwicklung von Kompetenzen und Fertigkeiten zu befähigen, werden gleichwertig drei grundlegende Bereiche vermittelt: die ästhetische Kompetenz, kunstgeschichtliches Wissen in seiner Breite und handwerkliche Fähigkeiten – einschließlich der Beherrschung digitaler Technologien, welche die Entfaltung von Talent im Bereich der medialen Künste ermöglichen. Ästhetische Kompetenz ergibt sich auch aus einer haptischen Erfahrung von „analogen“ Künsten, handwerkliche Fähigkeiten erwachsen aus einer realen physischen Kenntnis von Materialien und Prozessen. Diese Grundkompetenzen sind untrennbar und werden entsprechend interdisziplinär angeboten. Um auf internationale Entwicklungen im Bereich der digitalen Kunstausübung genauer einzugehen, planen wir zukünftig stärker als bisher, auch Virtual Reality und Augmented Reality anzubieten, ebenso wie den Bereich der künstlerischen Forschung auszubauen. Künstlerische Forschung kann dazu beitragen, die künstlerische Tätigkeit auch gesellschaftlich und zukunftsweisend einzubringen. So ist es möglich, ohne die Kunst zu theoretisieren, mit künstlerischen Mitteln auf eine besondere Art und Weise auf die erlebte Wirklichkeit und den Zustand der Gesellschaft zu reagieren. Künstlerinnen und Künstler leisten eine wissenschaftliche und rationale, faktenbasierte Auseinandersetzung mit Gegebenheiten und erlebter Wirklichkeit mit künstlerischen Mitteln. Auf diese Weise kann ein Verständnis für wissenschaftliche Erkenntnisse erreicht werden, indem unter anderem die emotionale Intelligenz angesprochen wird. Abstrakte Aspekte werden auch für Menschen vorstellbar und erfahrbar, die unter Umständen nicht den Erfahrungshorizont mitbringen, um eine wissenschaftliche Publikation, Statistiken und Ähnliches zu ihrer Alltagserfahrung in Beziehung zu setzen. Mit künstlerischer Forschung kann die Limitierung des geschriebenen und gesprochenen Wortes erweitert werden. Es handelt sich bei dieser Vorgehensweise nicht um Illustrationen, es geht um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit künstlerischen Mitteln. Insbesondere im Bereich der Auseinandersetzung mit den Folgen des Klimawandels kann die künstlerische Forschung einen Beitrag leisten.

 

Unsere Studierenden haben oft, insbesondere im postgradualen Studium, zuvor Erfahrungen im Bereich Kunst und Kultur sammeln können. Über Veranstaltungen, wie den Rundgang oder das Showcase, aber auch über Veranstaltungen mit eingeladenen Gästen werden die Studierenden auf die Arbeitswelt vorbereitet. Nicht minder wichtig sind die Professorinnen und Professoren, die überwiegend weiterhin selber künstlerisch wirken, wie auch Kooperationen mit Institutionen in der Region und darüber hinaus, um unsere Absolventinnen und Absolventen auf die Situation nach dem Studium vorzubereiten. Viele unserer Absolventinnen und Absolventen wurden bereits für ihre Abschlussarbeit mit einem Arbeitsstipendium, einer Residency, einer Ausstellung, Performance, Festivalteilnahmen und Preisen aller Art geehrt. Durch die Breite der Ausbildung, die es den Studierenden ermöglicht, ihre Talente zu entfalten und sich entsprechende Fertigkeiten anzueignen, sind sie befähigt, sich den Entwicklungen im künstlerischen Bereich anzupassen, sich entsprechend einzubringen und auf Veränderungen kreativ zu reagieren. Zumal die meisten nach dem Studium in ihre Heimatregionen zurückkehren, wo die Situation jeweils sehr unterschiedlich – insbesondere zu der in der Bundesrepublik – ist. Andere arbeiten an internationalen Projekten mit oder orientieren sich überregional. So reicht das Spektrum der Arbeiten unserer Absolventinnen und Absolventen von Ausstellungen und Publikationen, Performances, Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilmen, interdisziplinärer Medienkunst und Fotografie, über ein Release auf einem international anerkannten Label, Installationskunst bis hin zum Promotionsstudium mit entsprechendem Stipendium. Einige arbeiten in Agenturen, andere in gemeinsamen Projektbüros, viele unabhängig und freischaffend.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2020.


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